Goodbye, Silicon Valley
Die europäische Softwareindustrie ist der amerikanischen in manchen Bereichen überlegen.
Von Susanne Eyrich
In einem so vielfältigen Markt wie Europa mit so vielen unterschiedlichen Kulturen, Wirtschafts- und Rechtssystemen zu agieren macht es zwar schwieriger, bei der Unternehmensgröße eine "kritische Masse" zu erreichen. Aber die europäischen Softwareunternehmen haben gelernt, auf Allianzen und Kooperationen zu setzen und ihre Anwendungen auf Kundenbedürfnisse zuzuschneiden. Damit haben sie in manchen Bereichen den großen, auf standardisierte Software spezialisierten US-Firmen gegenüber die Nase vorn.
Wer an Software denkt, dem kommen fast automatisch das Silicon Valley, Microsoft und andere amerikanische Firmen in den Sinn. Wie in vielen Bereichen scheinen auch hier die USA die Nase vorn zu haben. Doch der Schein trügt - die europäische Softwareindustrie ist stärker, als der Öffentlichkeit oft bewusst ist.

Standardisiert oder auf den Kunden zugeschnitten.


Zwei verschiedene Zweige gibt es in dieser Industrie. Auf der einen Seite stehen Firmen wie IBM oder Oracle, die standardisierte Anwendungen oder Systemsoftware anbieten. Dieser Markt wird tatsächlich von den US-Kollegen beherrscht - mit Ausnahme zweier wichtiger Player, der deutschen Firma SAP und der Software AG mit Hauptquartier in Darmstadt. Aber es gibt auch noch einen anderen Zweig der Softwareindustrie. Gerade in Europa gibt es tausende von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die auf die Kundenbedürfnisse zugeschnittene Anwendungen entwickeln und verkaufen.
In den 80er und 90er Jahren - der ersten Hochblüte der Softwareindustrie - konnten die US-Firmen in einem homogenen großen Markt arbeiten. Ungehindert durch internationale Begrenzungen konnten sie eine kritische Größe erreichen und damit große Marktanteile gewinnen. Sie hatten nicht mit der Fragmentierung zu kämpfen, die für den europäischen Markt typisch ist. Ihre Strategie wurde, sich auf standardisierte Software zu spezialisieren und für ihre Applikation möglichst ein Monopol zu bekommen, also zum Standard zu werden.
Europäische Softwareunternehmen hatten es dagegen durch kulturelle und sprachliche Barrieren ebenso wie unterschiedliche Gesetzgebungen schwer, zu großen Playern aufzusteigen. Doch die europäische Softwareindustrie hat aus den Herausforderungen Stärken gemacht. Europäische Firmen - viele von ihnen Ausgründungen aus großen Unternehmen - haben sich auf Services und Systemintegration spezialisiert; sie konnten sich auf dem Markt nur behaupten, indem sie kundenorientierte Anwendungen anboten. Sie haben gelernt, mit den verschiedensten Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette Allianzen zu formen. Heute sind sie mit diesem Wissen in der Lage, kundenorientiert zu arbeiten. Nicht dem Kunden Standards aufzuzwingen, sondern seine Anforderungen mit auf ihn zugeschnittenen Lösungen zu erfüllen.
Schon früh setzten europäische Softwareanbieter auf internationale Zusammenarbeit, um so eine kritische Größe zu erreichen und im Markt wahrgenommen zu werden. Denn Akquisitionen, wie sie von den amerikanischen Unternehmen als Mittel des Wachstums angesehen wurden, funktionierten in dem zersplitterten europäischen Markt nicht. Schon in den frühen 90er Jahren hatten 63 Prozent der europäischen Softwareunternehmen internationale Verflechtungen, dagegen hatten nur 31 Prozent der amerikanischen Unternehmen internationale Allianzen und Kooperationen aufgebaut.

Innovationstreiber Software.


Mit dieser Spezialisierung auf kundenangepasste Software und Computer Services ist die europäische Softwareindustrie heute sehr gut positioniert. Denn gerade in diesem sogenannten Customized-Bereich ist Software Innovationstreiber und Innovation zugleich. Sie hat dazu geführt, dass Unternehmen ihre Produktivität deutlich steigern konnten. Das überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass inzwischen 50 Prozent der Industrieproduktion und über 80 Prozent der Exporte vom Einsatz modernster IT-Systeme abhängen.
Diese Technologie ist Basis für die Stärke des gemeinsamen Marktes Europa:

  • Deutschland verfügt laut World Economic Forum über die Unternehmen, die im Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien weltweit an erster Stelle stehen.
  • Europa gehört zu den intensivsten Nutzern von E-Mail, E-Commerce, E-Procurement, B2B-Marktplätzen und Websites.
  • Deutschland ist Exportweltmeister und exportiert Güter mit einem überdurchschnittlich hohen F&E-Anteil.

All das weist auf eine besondere Stärke Europas hin: die Anpassungen von Informations- und Kommunikationstechnologien in der Wirtschaft. Grundlage dafür ist betriebliche Anwendungssoftware. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens hängt von seiner Innovationskraft ab. Es muss schnell auf Anforderungen wie kurze Produktlebenszeiten und höhere Innovationsgeschwindigkeit reagieren können - und das ist nur mit modernen IT-Systemen zu schaffen. Unternehmen, die sich dem Wettbewerb stellen, brauchen also betriebliche Software, die auf sie und ihren Markt zugeschnitten ist. Deshalb ist es so wichtig, dass Anbieter von betrieblicher Systemsoftware ihre Anwendungen kontinuierlich den neuen Anforderungen anpassen. Das betrifft Programme für E-Government oder Onlinebanking genauso wie Software, die es Kunden möglich macht, in Zusammenarbeit mit dem Hersteller ihr Auto nach eigenen Wünschen "mitzudesignen".
Kurz, die Anwender brauchen Customized Software, die ihnen Innovationen bei Produkten, Prozessen und Kooperationen möglich macht und die sich mit den Kunden weiterentwickelt. Standardisierte Software kann das nur eingeschränkt. Wir haben in Europa mit unseren Unternehmen ein Laboratorium für Software als Innovationstreiber und Innovation!

Vernetzt und integriert.


Europäische Softwareunternehmen haben ihre Stärke in der Fähigkeit zu vernetztem Arbeiten und sind damit optimal für die global vernetzte Wirtschaft geeignet. Heute ist die Europäische Union mit 450 Millionen Menschen nach China der größte Binnenmarkt. 25 Mitgliedsstaaten hat die Europäische Union inzwischen - das sind viele Sprachen, Kulturen und Märkte. Doch die wenigsten europäischen Unternehmen lassen sich davon bremsen, dass sie es mit einem Markt mit unterschiedlichen Kulturen, unterschiedlichen Rechtssystemen und unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Wirtschaft zu tun haben. Die innereuropäische Zusammenarbeit in der Wirtschaft ist bereits weit fortgeschritten. Dynamische Unternehmensnetzwerke und die daraus entstehenden virtuellen Organisationen sind die Wirtschaftsszenarien der Zukunft.
Die zentrale Herausforderung von Organisationssoftware besteht in Zukunft darin, die komplexen Aktivitäten in diesen Netzen zu integrieren und zu unterstützen. Der gesamte Prozess der Unternehmensnetzwerke muss auf operativer Ebene begleitet werden. Anwendungen müssen integriert und Systeme aneinander gekoppelt werden. Unternehmensportale müssen für alle Partner im Netz einen "single view" ermöglichen, also eine einheitliche Sicht auf Unternehmensdaten. Eine große Chance sind die Zukunftstechnologie XML und webbasierte Anwendungen - sie machen neue Szenarien der Unternehmenszusammenarbeit möglich. Mit der Software AG und Unternehmen wie IDS Scheer oder der SAP AG verfügt Europa hier über eine starke Ausgangslage.
Die europäischen Softwareunternehmen haben gelernt, mit Hardwareanbietern und mit ihren Kunden zu kooperieren, um am Markt erfolgreich zu bestehen. Sie sind in der Lage, ihre Wertschöpfungskette durch Informationstechnologie zu integrieren. Sie verstehen heute, welche Anforderungen an die Integration der internen Anwendungen und der Anwendungen von ihren Kunden gestellt werden. Sie wissen, dass die Lösung für diese Fragen und Themen keine standardisierte Software oder eine Schablone ist.
Es gibt kein Naturgesetz, dass die Software aus Silicon Valley kommen muss. Die europäische Softwareindustrie muss sich nur noch besser vernetzen und den Nutzen für die Kunden klar machen, der entsteht, wenn Europa weiterhin eigene IT-Firmen mit Unternehmenszentrale und Forschung und Entwicklung in Europa hat. Denn jede von den USA übernommene europäische IT-Firma verliert ihr Hauptquartier und ihre Forschungs- und Entwicklungsfunktion. Sie wird zu einer Verkaufsstelle, einem "Sales Outlet". Europa darf nicht nur eine Verbraucherzone für US-Produkte werden, sondern muss eigene Produkte entwickeln und exportieren. Nur so werden wir unseren Lebensstandard in Europa halten können.

Susanne Eyrich ist Vice President Corporate Communications der Software AG.

www.softwareag.com

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