Speed Economy
Living at Work-Serie | Folge 41 | - Susanne Eyrich über Unternehmen und die Beschleunigung.
Schnell, flexibel, schlank. Ein Unternehmen, das heute überleben will, muss sich ständig anpassen. Es muss mit seinen Kunden zusammenarbeiten und intern so weit wie möglich auf Hierarchien verzichten. Denn Hierarchien machen langsam und provozieren oft teures Kompetenzgerangel.
Wir leben in einer Gesellschaft, die ständig beschleunigt. Vom Reisen bis zum Kommunizieren vollziehen sich alle Prozesse immer schneller. Sie haben inzwischen eine erstaunliche Geschwindigkeit erreicht. Genauso erstaunlich ist der Anpassungsprozess der Wirtschaft an diese zunehmende Geschwindigkeit. Dauerte beispielsweise die Anpassung an zyklische Schwankungen noch vor wenigen Jahren einige Monate, geschieht das jetzt in wenigen Wochen. Die Unternehmen sind anpassungsfähiger geworden - auch, weil durch die neuen Technologien die Produktionsmethoden flexibler geworden sind. Durch Just-in-time-Produktion können Firmen zum Beispiel Nachfrageschwankungen leichter ausgleichen als früher. Es ist nicht mehr nötig, ein großes Lager vorzuhalten. Bricht die Nachfrage ein, spürt der Zulieferer das sofort. Hersteller und Lieferanten von Handykomponenten mussten dies beim Einbruch des Handymarktes schmerzhaft erfahren.

Customizing statt Massenproduktion.


Weniger offensichtlich, aber logisch, sind die Auswirkungen der Beschleunigung auf die Organisation von Unternehmen- und Unternehmenstätigkeiten. Schnell ein Produkt zu liefern bringt größeren wirtschaftlichen Erfolg und ist inzwischen wichtiger, als über den traditionellen Vorteil von großen Stückzahlen von Produkten zu verfügen. Die Zeit zwischen der Auftragserteilung und der Auftragserledigung oder die Kürze eines Innovationszyklus gibt immer häufiger den Ausschlag für die Auftragserteilung - wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Damit verbunden ist, dass heute nicht mehr effiziente Massenproduktion der Maßstab für eine Firma ist, sondern ihre Problemlösungskompetenz und ihre Fähigkeit, Systeme und Services anzubieten. Individuelle, maßgeschneiderte Angebote - Customizing - liefern zu können ist immer entscheidender für die Kundenbindung.
Die Änderungen der Angebote von Massenware für einen anonymen Markt zu einer kundenindividuellen Produktion von Gütern und Leistungen führt auch zu tief greifenden Veränderungen in der Ausrichtung und dem Selbstverständnis von Unternehmen. Industrien wandeln sich zu Systemlösungsanbietern. Doch man muss diese Prozesse gemeinsam mit den Kunden gestalten, nicht gegen sie.
In den neuen Wertschöpfungsprozessen werden die Entwicklung, die Bereitstellung und der Vertrieb von Produkten oder Leistungen durch die Entwicklung, Bereitstellung und den Vertrieb von Leistungspotentialen ausgetauscht, die dann in eine auf den Kunden zugeschnittene Lösung oder ein zugeschnittenes Produkt münden. Diese Leistung kann aber nur dann erbracht werden, wenn der Kunde in direkter Interaktion mit dem Hersteller Informationen über die Produktmerkmale bereitstellt, die er benötigt und wünscht. Der Kunde wird in einer Form in den Leistungsprozess integriert, der sowohl von dem Hersteller als auch von dem Kunden Input und Informationen erfordert.

Der Kunde arbeitet mit.


Damit entsteht auch ein ganz neues Beziehungsgeflecht zwischen einem Unternehmen und seinen Kunden. Beide Seiten investieren in den Aufbau eines Datenvorrats. Der Kunde investiert in eine zuverlässige und zugeschnittene Lieferquelle. Denn je mehr ich als Kunde von meinen Gewohnheiten preisgegeben habe, desto maßgeschneiderter ist das Produkt und desto besser ist der Service für mich - und desto unwilliger steige ich auf einen anderen Anbieter um.
Auch hier treten altbekannte Mechanismen außer Kraft. Das klassische Kunden-Lieferanten-Verhältnis löst sich auf. Der Kunde wird Teil des Wertschöpfungsprozesses. Er beginnt, auch für den Lieferanten zu arbeiten. Wenn Sie Ihre Kontoauszüge ausdrucken, arbeiten Sie dann für sich oder für die Bank, die Ihnen die Auszüge früher zugeschickt hat? Wenn der Kunde über seine Wünsche und Ideen Auskunft gibt, arbeitet er genauso für den Anbieter. Der Kunde wird durch die Geltendmachung seiner Wünsche und die Einforderungen seiner Bedürfnisse Mitproduzent bei der Gestaltung des Produktes.
Doch damit sind die Ansprüche der Kunden gestiegen. Nicht mehr so fehlerfrei wie nötig, sondern so fehlerfrei wie möglich muss ein Produkt hergestellt werden und funktionieren. Der Kunde erwartet darüber hinaus, über die gesamte Lebensdauer des Produktes vom Unternehmen betreut zu werden - und mit dem Produkt zufrieden zu sein. Zahlreiche Initiativen wie Total Quality Management oder der European Quality Award zur Qualitätskontrolle sind entstanden.

Groß ist nicht gleich gut.


Das ist ein Teil der Veränderungen, die in der Wirtschaft schon Platz gegriffen haben und die immer noch stattfinden. Die Art und Weise, wie Unternehmen funktionieren, ändert sich; die Industrie ist komplexer geworden. Es geht nicht mehr nur um das einfache mechanistische Organisieren der Aneinanderreihung von modularen Arbeitsvorgängen. Neue Technologien haben Auswirkungen auf die Unternehmensstruktur - und am Ende auch auf die Unternehmenskultur.
Ein Blick zurück: In den 60er Jahren hat jeder nach Lean Production, nach der schlanken Produktion nach japanischem Vorbild gefragt. Alles wurde auf einen Prüfstand gestellt - aus Sicht der Kostenersparnis.
In den 70er Jahren waren Datenverarbeitung, Diversifizierung und die Bildung von Konglomeraten state of the art. In den 80er Jahren brach die Fusionitis aus - Kompensationsgeschäfte, Skaleneffekte, Hierarchieabflachung und Teamwork definierten Unternehmensumstrukturierungen. Es waren nicht Unternehmensfusionen im Rahmen von Marktkonsolidierung, wie wir sie heute etwa in der Auto- oder der Pharmaindustrie erleben. Es waren Fusionen unter dem Aspekt: je größer, desto wettbewerbsfähiger.
Heute müssen wir schnell, flexibel und intelligent auf die Veränderungen reagieren können. Die großen Unternehmen, die wie Riesendampfer durch das Wirtschaftsgeschehen fahren, sind nicht mehr steuerbar. Nach wie vor gilt die Annahme: Die schnellen Unternehmen werden die langsamen vom Markt drücken. Gerade organisatorische "Kolosse" können sich nicht schnell genug verändern. Einen Umlernprozess durchzusetzen in einem Unternehmen mit "nur" 10.000 Mitarbeitern dauert geradezu schmerzhaft lange. Je größer eine Gruppe ist, desto stabiler und behäbiger ist sie - und damit resistenter gegen Veränderungen. Und Veränderungsmanagement ist heute auf einer alltäglichen Basis notwendig, um sich den kontinuierlichen Veränderungen und der kontinuierlichen Beschleunigung des Marktes anzupassen.

Hierarchien kosten Zeit und Kraft.


Strategische Allianzen prägen das Bild der modernen Wirtschaft. Sie entstehen aus Firmen, die sich auf die Kernbereiche ihrer Fähigkeiten reduziert haben und die sich durch Outsourcing oder andere Maßnahmen des Business Process Reengineerings verkleinert und verschlankt haben.
Das hat Auswirkungen auf die Managementhierarchien. Denn die alte Regel, dass ein Manager fünf Mitarbeiter optimal beaufsichtigen kann, resultierte in einer Pyramide von Führungsebenen. Kompetenz und Informationsgrad in jeder Stufe sind genau definiert. Von unten nach oben werden Berichte und Anfragen weitergereicht, von oben nach unten Anordnungen. Dazwischen werden sauber Kompetenzen definiert - und die Nichtüberschreitung von Kompetenzgrenzen wird eifersüchtig überwacht. Das ganze Verfahren frisst viel Zeit und Arbeitskraft - und Motivation. Dieses Verfahren macht aus jedem Schnellboot einen Dampfer.
Meetings sind dann auch nicht Treffen zum Austausch und zur Weiterentwicklung von Ideen. Sie sind Kontrollgremien. Das kostet immense Summen: Eine Abteilung besteht aus acht Mitarbeitern. Einmal wöchentlich trifft sich die Abteilung für zwei Stunden zur Arbeitskontrolle, acht Mitarbeiter mit einem durchschnittlichen Stundenlohn von 300 Euro sind für monatlich acht Stunden von der Arbeit ferngehalten: 19.200 Euro. Ein Meeting zweier Abteilungen mit acht Mitarbeitern, um Kompetenzen abzustecken - nach wie vor ein beliebtes Spiel zwischen Abteilungen. Dauer etwa zwei Stunden. Kosten: 9.600 Euro. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Projekt ist Trumpf.


Das heute notwendige projektorientierte Arbeiten an kundenspezifischen Problemlösungen verlangt völlig andere Managementstrukturen. Nicht mehr die Kontrolle der Mitarbeiter, sondern die Evaluierung der Ergebnisse steht im Vordergrund. Und für die Entwicklung der Ergebnisse brauchen Mitarbeiter zeitliche Spielräume - auch für das Gespräch auf dem Gang oder an der Kaffeemaschine, für den informellen Austausch. Er ist - so wissenschaftliche Untersuchungen - für 80 Prozent aller innovativen Problemlösungen verantwortlich.
Danach wird Projektarbeit ausgerichtet: Für ein neues Projekt bildet sich ein kompetentes Team, das aus fähigen Mitarbeitern der Firma, externen Spezialisten (zum Beispiel von Subunternehmen) und eventuell auch dem Kunden selbst besteht. Jedes Team arbeitet weitgehend ungehindert selbstständig, es erhält ein großes Maß an Entscheidungskompetenz und hat Zugriff auf alle nötigen Informationen. Man arbeitet wie ein Unternehmen im Unternehmen. Ähnliche Regeln gelten auch innerhalb des Teams für die einzelnen Mitglieder. Vertrauen tritt an die Stelle von Kontrolle. Der Manager hat überwiegend koordinierende Funktion. Und die Unternehmensleitung managt keine durchsteuerbaren Hierarchien mehr, sondern komplexe Systeme.

Vom Team zum Netzwerk.


Dies ist zwingend notwendig, denn Hierarchien begrenzen Innovation. Nehmen wir ein Netzwerk aus drei Teilnehmern. Für jeden der Teilnehmer gibt es zwei Möglichkeiten, eine Verbindung herzustellen. Der Austausch von Ideen und Gedanken und damit die Möglichkeit zur Entwicklung von Innovation sind begrenzt. Die gegenseitige Befruchtung wächst, wenn ein Teilnehmer hinzukommt. Die Verbindungen wachsen auf drei Verbindungen für jeden einzelnen Teilnehmer an, in der Summe aller Teilnehmer sogar auf sechs. Allerdings tritt mit gemeinsamer Kommunikation in der Gruppe ein weiterer steigernder Parameter hinzu: Parallelschaltungen von Teilnehmer 1 mit Teilnehmer 2 und 3; Teilnehmer 1 mit Teilnehmer 3 und Teilnehmer 4, Teilnehmer 2 mit Teilnehmer 3 und Teilnehmer 4 und Teilnehmer 1 mit Teilnehmer 2, 3 und 4. Bei fünf Teilnehmern sind es bereits zehn bipolare Verbindungen und 16 Mehrfachkontakte. Es ist eine Rechnung mit mathematischen Variationen. Je mehr Teilnehmer hinzukommen, desto stärker wird die Innovationsfähigkeit. Allerdings - und das muss ich betonen - funktioniert das nur bis zu einer kritischen Größe. Wird sie überschritten, entwickeln sich Hierarchien - und das System führt sich selber ad absurdum.
Mit solchen Netzwerken verändern sich auch Strukturen. Haben Sie sich einmal Hollywood angeschaut? Zu Beginn wurden Zeitarbeitskräfte an die bestehenden Produktionsfirmen angebunden. Gegenwärtig gibt es projektbezogene Verträge, in denen "outgesourctes" Personal zu einer zeitlich befristeten Produktionseinheit zusammengeführt wird. Die Produktionseinheit löst sich wieder auf, wenn das Projekt beendet ist. Das ist eine hochproduktive und äußerst flexible Arbeitsweise. In Hollywood gibt es kaum noch eine Filmproduktion, die nicht über diese Mechanismen arbeitet. Es entsteht also eine Unternehmensstruktur, in der weniger als zehn Unternehmen mehr als 1.000 Mitarbeiter beschäftigen. 85 Prozent der Firmen haben aber nur noch maximal zehn Angestellte - von denen sich immer mehr am Gewinn beteiligen lassen und damit als Angestellte im herkömmlichen Sinn nicht mehr fungieren können. So verändern sich langsam, aber sicher Strukturen an den Arbeitsmärkten - unabhängig von irgendwelchen Branchen.

Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".

English version: PDF-File.

Susanne Eyrich berät Unternehmen in der wirtschaftspolitischen Positionierung und lebt und arbeitet in Frankfurt und Berlin.

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Vom 19. bis 23. Oktober 2004

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