Ein Lehrstück über die Gier

Die Flicks - das neue Buch von Thomas Ramge.

Von Nina Hesse

Wer wissen will, in was für Abgründe die Jagd nach Geld und Macht führen kann, der sollte sich die Biografie eines der mächtigsten Familienclans Deutschlands zu Gemüte führen. Geschickt erzählt Thomas Ramge die Geschichte der Flicks parallel zur Geschichte Deutschlands, denn beide "Biografien" sind eng verbunden.

Es ist erstaunlich, wie sich die Lebensgeschichten einiger reicher Familienclans gleichen. Fast scheint es darin universelle Muster zu geben. Der Gründer ist gewöhnlich ein fleißiger, sparsamer Mann, ein Machtmensch zumeist, der sein Reich gut, aber mit eiserner Faust regiert und fast schon manisch vergrößert. Seine Kinder bekommen nicht viel von ihm zu sehen. Sie stehen in seinem überlebensgroßen Schatten, sind schon geprägt von ihrem berühmten Namen, dem Mythos. Oft sind sie geradezu versessen darauf, in den Adel einzuheiraten, denn nur sehr, sehr viel Geld zu haben ist ihnen zu wenig, immaterielle Statussymbole müssen her. Oft muss die zweite Generation auch leiden für die Sünden ihrer Väter. Und sie ans Ruder zu lassen fällt dem Senior nicht ein, solange es noch irgendwie anders geht. Die dritte Generation hat es leichter. Sie entscheidet sich meist zwischen den beiden Alternativen, im Jetset mitzumischen und sich mit dem Vermögen ein schönes Leben zu machen, oder fortan hauptberuflich Kunst zu sammeln. So lief es bei den Krupps ab, so lief es bei den Flicks und Thyssens ab. All diese Familien sind in einer ähnlichen Zeit groß und mächtig geworden, bei allen sind Erz und Stahl - und natürlich das Gehirnschmalz der Gründer - die Grundlage des Vermögens.
Auch die Biografien selbst gleichen sich - im positiven Sinne. Wie auch für die anderen Titel seiner Familien-Reihe hat der Campus Verlag auch für Die Flicks einen exzellenten Autor verpflichtet. Thomas Ramge hat solide recherchiert, schreibt packend und bezieht geschickt und noch stärker als andere Biografen den historischen Hintergrund ein. Was sinnvoll ist bei einer Familie, die, "abgesehen von vier Jahren Besatzungszeit, immer obenauf war, egal ob gerade ein Kaiser, ein Diktator oder Demokraten herrschten ... Die Biografie der Familie Flick ist eine Geschichte parallel zur 'Biografie' Deutschlands - und als solche soll sie erzählt werden." Mit der Flick-Affäre, auch sie ein Stück Zeitgeschichte, hat Ramge sich schon in seinem ebenfalls bei Campus erschienenen Buch über die großen Polit-Skandale ausführlich beschäftigt.

Ein Lehrstück über die Gier.


Ramges Biografie ist kritisch, aber fair. Nicht er verdammt den Familienclan der Flicks - die Fakten sprechen für sich. Es schaudert einen oftmals bei der Lektüre. Dieses Buch ist ein Lehrstück darüber, was Unternehmen im Namen des Profits zu tun gewillt waren, über das völlige Fehlen von Skrupeln und Unrechtsbewusstsein bei der Jagd nach der Rendite. Es ist Anschauungsunterricht darüber, dass die Gier keine Grenzen kennt. Selbst wenn ein Einzelner so viel Geld anhäuft, wie er und seine Erben niemals ausgeben können, ist es nie genug.
Anfangs hält Friedrich Flick, der geschäftstüchtige Gründer, nicht viel von den Nazis. Obwohl er ihnen genauso spendet wie den anderen Parteien. Als absehbar ist, dass die Nazis an die Macht kommen, richtet er sich sofort darauf ein, tritt der NSDAP bei - und wirft begehrliche Blicke auf Unternehmen, die Juden gehören, an die er also im Zuge der "Arisierung" herankommen könnte. "Bis Ende 1938 gab es in Deutschland kein Gesetz, das die Enteignung jüdischen Eigentums auf rechtlichem Wege möglich macht", berichtet Ramge. "Flick hatte bereits im Zuge der Verhandlungen mit Julius Petschek mehrfach darum gebeten, ein solches Gesetz zu entwerfen, um es zumindest als Druckmittel einsetzen zu können." Da die Juristen im Wirtschaftsministerium und im Amt für den Vierjahresplan nicht vorankommen, beauftragt Flicks persönlicher Assistent den Hausjuristen des Konzerns damit, einen Gesetzesentwurf zu schreiben - er tritt später beinahe wortwörtlich in Kraft. Sofort macht sich Flick daran, Betriebe in den besetzten Gebieten unter seine Kontrolle zu bekommen.

98 Stunden Wochenarbeitszeit.


Doch wirklich übel wird einem erst beim nächsten Kapitel der Unternehmensgeschichte. Flick lässt Zehntausende von Zwangsarbeitern in seinen Betrieben schuften, viele von ihnen überleben es nicht. Nun mag man einwenden: Es war Krieg, und die deutsche Industrie war auf Arbeitskräfte angewiesen, um nicht zum Stillstand zu kommen. Doch wenn man liest, unter was für grausamen Bedingungen diese 400.000 Menschen arbeiten mussten, dann ist keine Erklärung dafür gut genug. "Zwangsarbeiter waren ein begehrtes 'Gut'", schreibt Thomas Ramge. "Viele Unternehmen drängten, Konzentrationslager in der Nähe ihrer Produktionsanlagen zu bauen. Andere errichteten neue Werke neben den Lagern." Bei Flick stellen die Zwangsarbeiter bis zu der Hälfte der Belegschaft. Sie müssen bis zu 98 Stunden in der Woche arbeiten und sind völlig unterernährt.
Widerlich ist auch, wie Flick lebenslang jede Schuld abstritt und sich weigerte, auch nur eine Mark Entschädigung an die damals Betroffenen zu zahlen. Stattdessen behaupteten seine Verteidiger in den Nürnberger Prozessen, dass die Geschäftsleitung damals glaubte, es handele sich um Freiwillige aus den besetzten Gebieten. Flicks ohnehin schon immenses Privatvermögen wächst in den Kriegsjahren auf zwei bis drei Milliarden Reichsmark an, er wird der reichste Deutsche überhaupt. Nach der Niederlage Deutschlands büßt Flick zwar einen Teil seines Vermögens ein und muss einige wenige Jahre im Gefängnis verbringen, aber während des Wirtschaftswunders schafft er es schnell wieder, reich zu werden.

"Die gekaufte Republik."


Klar, dass ein solcher Mensch alles daransetzt, keine Steuern zu zahlen. Er schafft es mit einem Trick, dass keine Mark Erbschaftssteuern auf sein gigantisches Vermögen fällig werden. Kopfzerbrechen macht dem Clan eher die Nachfolgeregelung: Der älteste Sohn Ernst-Otto steht so unter der Fuchtel des übermächtigen Vaters, dass er kein Selbstvertrauen entwickeln kann. Er wird vom Vater ausgebootet und stirbt nur wenige Jahre nach ihm als gebrochener Mann. Friedrich Karl, der jüngere Sohn, der sich stets rausgehalten hat, übernimmt die Rolle des Kronprinzen. Das stellt sich als schlechte Entscheidung des Seniors heraus. Für Friedrich Karl Flick ist "Kasse machen" das, was zählt, er verjubelt das Erbe auf Hochtouren und drängt die Enkel - beide von ihnen mit Adeligen verheiratet - aus dem Unternehmen.
Die nächste Generation zeigt auch nicht mehr Skrupel als der Gründer. Ein mutiger Steuerfahnder deckt 1982 trotz politischen Drucks auf, dass der Flick-Konzern durch illegale Parteispenden einen großen Teil der Regierung geschmiert hat. Das Wort von der "gekauften Republik" macht die Runde. Doch ohne Mühe schafft es Friedrich Karl, den Skandal zu überstehen; er selbst hat sich die Hände nicht mit Geldübergaben schmutzig gemacht. Wieder zeigt die Führungsspitze des Flick-Imperiums keinerlei Einsicht oder gar Reue.

Was wäre, wenn ...?


Eine solche Biografie kann man nicht lesen, ohne sich immer wieder zu fragen: Wäre das auch heute möglich? Wie würden die deutsche Wirtschaft handeln, wenn sie noch einmal so wie damals die Gelegenheit hätte, an billige, legal ausbeutbare Arbeitskräfte zu kommen? Darauf mag sich jeder selbst die Antwort geben. Nimmt man aber die Wirtschaftsskandale der letzten Jahre als Anhaltspunkt, dann ist das bittere Fazit: Noch allzu oft wird nach den alten Regeln gespielt. "Verantwortung" wird vor allem in Reden gepriesen, aber selten praktiziert, weil die Götter Rendite und Shareholder-Value heißen. Von Gemeinsinn ist bei kaum einem Unternehmen etwas zu spüren, Kosten sparen ist tausendmal wichtiger. Und Ausbeutung mag sich in andere Länder verlagert haben, aber verschwunden ist sie nicht.

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

Thomas Ramge:
Die Flicks.
Eine deutsche Familiengeschichte
zwischen Geld, Macht und Politik,

Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
288 Seiten, 24.90 Euro,
ISBN 3-593-37404-8
www.campus.de

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: Die Flicks. . Eine deutsche Familiengeschichte zwischen Geld.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 288 Seiten, ISBN 3-593-37404-8

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