Ein Lehrstück über die Gier
Die Flicks - das neue Buch von Thomas Ramge.
Wer wissen will, in was für Abgründe die Jagd nach Geld und Macht führen kann, der sollte sich die Biografie eines der mächtigsten Familienclans Deutschlands zu Gemüte führen. Geschickt erzählt Thomas Ramge die Geschichte der Flicks parallel zur Geschichte Deutschlands, denn beide "Biografien" sind eng verbunden.
Auch die Biografien selbst gleichen sich - im positiven Sinne. Wie auch für die anderen Titel seiner Familien-Reihe hat der Campus Verlag auch für Die Flicks einen exzellenten Autor verpflichtet. Thomas Ramge hat solide recherchiert, schreibt packend und bezieht geschickt und noch stärker als andere Biografen den historischen Hintergrund ein. Was sinnvoll ist bei einer Familie, die, "abgesehen von vier Jahren Besatzungszeit, immer obenauf war, egal ob gerade ein Kaiser, ein Diktator oder Demokraten herrschten ... Die Biografie der Familie Flick ist eine Geschichte parallel zur 'Biografie' Deutschlands - und als solche soll sie erzählt werden." Mit der Flick-Affäre, auch sie ein Stück Zeitgeschichte, hat Ramge sich schon in seinem ebenfalls bei Campus erschienenen Buch über die großen Polit-Skandale ausführlich beschäftigt.
Ein Lehrstück über die Gier.
Ramges Biografie ist kritisch, aber
fair. Nicht er verdammt den Familienclan der Flicks - die Fakten
sprechen für sich. Es schaudert einen oftmals bei der Lektüre.
Dieses Buch ist ein Lehrstück darüber, was Unternehmen im Namen
des Profits zu tun gewillt waren, über das völlige Fehlen von
Skrupeln und Unrechtsbewusstsein bei der Jagd nach der Rendite.
Es ist Anschauungsunterricht darüber, dass die Gier keine Grenzen
kennt. Selbst wenn ein Einzelner so viel Geld anhäuft, wie er und
seine Erben niemals ausgeben können, ist es nie genug.
Anfangs hält Friedrich Flick, der geschäftstüchtige
Gründer, nicht viel von den Nazis. Obwohl er ihnen genauso
spendet wie den anderen Parteien. Als absehbar ist, dass die
Nazis an die Macht kommen, richtet er sich sofort darauf ein,
tritt der NSDAP bei - und wirft begehrliche Blicke auf
Unternehmen, die Juden gehören, an die er also im Zuge der
"Arisierung" herankommen könnte. "Bis Ende 1938 gab es in
Deutschland kein Gesetz, das die Enteignung jüdischen Eigentums
auf rechtlichem Wege möglich macht", berichtet Ramge. "Flick
hatte bereits im Zuge der Verhandlungen mit Julius Petschek
mehrfach darum gebeten, ein solches Gesetz zu entwerfen, um es
zumindest als Druckmittel einsetzen zu können." Da die Juristen
im Wirtschaftsministerium und im Amt für den Vierjahresplan nicht
vorankommen, beauftragt Flicks persönlicher Assistent den
Hausjuristen des Konzerns damit, einen Gesetzesentwurf zu
schreiben - er tritt später beinahe wortwörtlich in Kraft. Sofort
macht sich Flick daran, Betriebe in den besetzten Gebieten unter
seine Kontrolle zu bekommen.
98 Stunden Wochenarbeitszeit.
Doch wirklich übel wird einem erst
beim nächsten Kapitel der Unternehmensgeschichte. Flick lässt
Zehntausende von Zwangsarbeitern in seinen Betrieben schuften,
viele von ihnen überleben es nicht. Nun mag man einwenden: Es war
Krieg, und die deutsche Industrie war auf Arbeitskräfte
angewiesen, um nicht zum Stillstand zu kommen. Doch wenn man
liest, unter was für grausamen Bedingungen diese 400.000 Menschen
arbeiten mussten, dann ist keine Erklärung dafür gut genug.
"Zwangsarbeiter waren ein begehrtes 'Gut'", schreibt Thomas
Ramge. "Viele Unternehmen drängten, Konzentrationslager in der
Nähe ihrer Produktionsanlagen zu bauen. Andere errichteten neue
Werke neben den Lagern." Bei Flick stellen die Zwangsarbeiter bis
zu der Hälfte der Belegschaft. Sie müssen bis zu 98 Stunden in
der Woche arbeiten und sind völlig unterernährt.
Widerlich ist auch, wie Flick lebenslang jede Schuld
abstritt und sich weigerte, auch nur eine Mark Entschädigung an
die damals Betroffenen zu zahlen. Stattdessen behaupteten seine
Verteidiger in den Nürnberger Prozessen, dass die
Geschäftsleitung damals glaubte, es handele sich um Freiwillige
aus den besetzten Gebieten. Flicks ohnehin schon immenses
Privatvermögen wächst in den Kriegsjahren auf zwei bis drei
Milliarden Reichsmark an, er wird der reichste Deutsche
überhaupt. Nach der Niederlage Deutschlands büßt Flick zwar einen
Teil seines Vermögens ein und muss einige wenige Jahre im
Gefängnis verbringen, aber während des Wirtschaftswunders schafft
er es schnell wieder, reich zu werden.
"Die gekaufte Republik."
Klar, dass ein solcher Mensch alles
daransetzt, keine Steuern zu zahlen. Er schafft es mit einem
Trick, dass keine Mark Erbschaftssteuern auf sein gigantisches
Vermögen fällig werden. Kopfzerbrechen macht dem Clan eher die
Nachfolgeregelung: Der älteste Sohn Ernst-Otto steht so unter der
Fuchtel des übermächtigen Vaters, dass er kein Selbstvertrauen
entwickeln kann. Er wird vom Vater ausgebootet und stirbt nur
wenige Jahre nach ihm als gebrochener Mann. Friedrich Karl, der
jüngere Sohn, der sich stets rausgehalten hat, übernimmt die
Rolle des Kronprinzen. Das stellt sich als schlechte Entscheidung
des Seniors heraus. Für Friedrich Karl Flick ist "Kasse machen"
das, was zählt, er verjubelt das Erbe auf Hochtouren und drängt
die Enkel - beide von ihnen mit Adeligen verheiratet - aus dem
Unternehmen.
Die nächste Generation zeigt auch nicht mehr Skrupel als
der Gründer. Ein mutiger Steuerfahnder deckt 1982 trotz
politischen Drucks auf, dass der Flick-Konzern durch illegale
Parteispenden einen großen Teil der Regierung geschmiert hat. Das
Wort von der "gekauften Republik" macht die Runde. Doch ohne Mühe
schafft es Friedrich Karl, den Skandal zu überstehen; er selbst
hat sich die Hände nicht mit Geldübergaben schmutzig gemacht.
Wieder zeigt die Führungsspitze des Flick-Imperiums keinerlei
Einsicht oder gar Reue.
Was wäre, wenn ...?
Eine solche Biografie kann man nicht lesen, ohne sich immer wieder zu fragen: Wäre das auch heute möglich? Wie würden die deutsche Wirtschaft handeln, wenn sie noch einmal so wie damals die Gelegenheit hätte, an billige, legal ausbeutbare Arbeitskräfte zu kommen? Darauf mag sich jeder selbst die Antwort geben. Nimmt man aber die Wirtschaftsskandale der letzten Jahre als Anhaltspunkt, dann ist das bittere Fazit: Noch allzu oft wird nach den alten Regeln gespielt. "Verantwortung" wird vor allem in Reden gepriesen, aber selten praktiziert, weil die Götter Rendite und Shareholder-Value heißen. Von Gemeinsinn ist bei kaum einem Unternehmen etwas zu spüren, Kosten sparen ist tausendmal wichtiger. Und Ausbeutung mag sich in andere Länder verlagert haben, aber verschwunden ist sie nicht.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
Thomas Ramge:
Die Flicks.
Eine deutsche Familiengeschichte
zwischen Geld, Macht und Politik,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
288 Seiten, 24.90 Euro,
ISBN 3-593-37404-8
www.campus.de
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Zum Buch
Thomas Ramge: Die Flicks. . Eine deutsche Familiengeschichte zwischen Geld.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 288 Seiten, ISBN 3-593-37404-8
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