Der gar nicht so schwarze Kontinent

Die Geschichte Afrikas, das neue Buch von Lutz van Dijk.

Von Nina Hesse

Afrika ist ungeheuer vielfältig. Um dem Kontinent gerecht zu werden, gibt van Dijk in seinem Buch vielen Menschen Raum, lässt sie über ihr Leben und ihre Erfahrungen berichten. Das ist spannend, schwächt aber auch den roten Faden des Buches. Sein Buch ist oft mehr Fundgrube als geschichtlicher Überblick.

Es gibt nicht nur ein Afrika. Das Afrika der Nachrichtenbilder besteht aus Kriegen, Hungersnöten, AIDS. In den meisten Kinder- und Jugendbüchern ist Afrika gleichbedeutend mit uralten Traditionen und Mythen, bunter Folklore und jeder Menge Natur. Ein komplexeres Bild zu bekommen und zu vermitteln gelingt selten. Wahrscheinlich, weil es sehr, sehr schwierig ist, einem so vielfältigen Kontinent gerecht zu werden. Der polnische Journalist Ryszard Kapuscinski, der mehr als 40 Jahre lang Afrika bereiste, hat geschrieben: "Afrika, das sind Tausende von Situationen. Verschiedenste, unterschiedlichste, völlig gegensätzliche Situationen. Jemand sagt: 'Dort herrscht Krieg.' Und er hat Recht. Ein anderer sagt: 'Dort ist es friedlich.' Und er hat auch Recht. Denn alles hängt davon ab - wo und wann."
Lutz van Dijk schafft es, diese Herausforderung zu meistern. Er entführt seine jungen Leser in ein Afrika, das bunt und vielfältig ist, uralt und modern, mit einer Geschichte voller Hoch- und Tiefpunkte. In vielen Schlaglichtern, in fast kaleidoskopischer Art zeigt er seinen Lesern die kulturelle Vielfalt Afrikas: von der Kultur des Islam im Norden nach Schwarzafrika im Süden; vom Leben der Buschmänner in der Steppe zum pulsierenden Leben der Großstädte; von der Kultur der Pygmäen zu den Pyramiden in Ägypten. Zwar gehört sein Buch zu den Jugendsachbüchern des Campus Verlags, ist aber gleichzeitig auch eine interessante Lektüre für Erwachsene.
Kaum ein Autor war so gut dafür geeignet, die Herausforderung dieses Themas anzunehmen: Lutz van Dijk kennt den Kontinent aus erster Hand, er lebt seit 2001 in Kapstadt (nachdem er bis 1990 aufgrund seines Engagements gegen Apartheid Einreiseverbot hatte). Als Mitbegründer der Stiftung HOKSIA setzt er sich für von AIDS betroffene Kinder ein. Seine Jugendromane sind sehr erfolgreich, seine Geschichte der Juden, 2001 ebenfalls bei Campus erschienen, wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. In diesem neuen Buch spürt man seine tiefe Liebe zu Afrika und seinen Respekt vor den Menschen dort.
Auch optisch ist Die Geschichte Afrikas liebevoll gestaltet. Erklärenden Karten stehen die farbenprächtigen, an Volkskunst erinnernden Illustrationen von Dennis Doe Tamakloe gegenüber. Oft hat er Fotos in Ölbilder umgesetzt, so dass einem aus den Seiten unter anderem Nelson Mandela, Ama Ata Aidoo (die als eine der Mütter der modernen afrikanischen Literatur gilt) und Léopold Senghor, dem ersten Präsidenten des Senegal entgegenblicken.

Ein Buch - viele Stimmen.


Das Prinzip des Buchs: Van Dijk hält sich raus. Er hat versucht, so wenig wie möglich selbst zu erzählen, sondern stattdessen bekannte und unbekannte Menschen aus der Geschichte Afrikas selbst zu Wort kommen zu lassen. Ein Mädchen aus einer Township in Südafrika, einen jungen Mann aus Zaire, der heute in Paris studiert, den Herero-Häuptling Samuel Maharero, den afrikanischen Bischof von Lissabon, den AIDS-Waisen Nkosi Johnson, die ehemalige Kindersoldatin China Keitetsi, Nelson Mandela und viele mehr, die Leid und Hoffnung Afrikas verkörpern. Das ist einerseits eine Stärke des Buchs - andererseits seine Schwäche. Die kleinen Berichte sind faszinierend, aber durch ihre schiere Zahl brechen sie auch den Erzählfluss des Buchs, die Kontinuität geht verloren. Eine einfache, klare Übersicht über die afrikanische Geschichte ist van Dijks Buch nicht, eher eine Fundgrube von Berichten, Gedichten, Geschichten, Zitaten, Mythen und Legenden, die er zusammengetragen hat. In seiner hervorragenden Geschichte der Juden ist ihm der Überblick weitaus besser gelungen, hier hat er knapper und stärker auf den Punkt erzählt. Ebenso wie in einem anderen Campus-Jugendbuch, Die Geschichte des Islam von Dilek Zaptcioglu geht auch in van Dijks Afrikabuch der rote Faden leicht in einer Fülle von Details unter.

Ethnische Vielfalt.


Gleichzeitig wirkt es auch etwas irritierend, dass van Dijk mit seiner Geschichte noch früher als bei Adam und Eva, nämlich bei der Erdgeschichte beginnt - die geologischen Informationen über den Kontinent werden wohl nur eine kleine Zahl von Lesern interessieren, die etwas über Afrika erfahren wollen. Erhellend ist dagegen, was van Dijk über die Entwicklung der Menschheit dort zu erzählen hat: "Die Hälfte seiner gesamten bisherigen Geschichte verbrachte der Homo sapiens in Afrika. In dieser Zeitspanne konnten sich viele unterschiedliche Völker, Ethnien und Clans auf dem afrikanischen Kontinent herausbilden, lange bevor es den modernen Menschen irgendwo anders auf der Welt gab ... aus der kleinen Gruppe von Menschen, die Afrika Richtung Naher Osten verließ, kommt das genetische Material der allermeisten Menschen heutzutage." So weckt van Dijk Verständnis für das, was viele abfällig als "Sprachengewirr" und "Stammeschaos" bezeichnen und was in Wahrheit eine große ethnische Vielfalt ist. Die natürlich - wie überall anders auch - Konflikte hervorbringt.
Das Beispiel ist typisch für van Dijks Buch. Er berichtet kritisch, nicht idealisierend. Zwar ergreift er Partei, aber er bewahrt auch Distanz. Zum Beispiel zu Europa und dem, was es in Afrika hineinprojiziert. So kommentiert er zum Thema Religionen: "So anregend solche Betrachtungen sind - es soll nicht geleugnet werden, dass afrikanische Glaubensvorstellungen von manchen Menschen in westlichen Gesellschaften auf eine Weise idealisiert werden, die nur wenig mit Afrika, aber viel mit eigenen Sehnsüchten und ungelösten Problemen zu tun hat." Aber auch zu Afrika, zum Beispiel beim düsteren Thema Sklaverei: "Das Infragestellen autoritärer Strukturen in Afrika, die wesentlich zum Ausmaß der Katastrophe beitragen, ist ebenfalls eine wichtige Aufgabe, die noch bevorsteht." Er beschönigt nichts, wenn er von den blutigen Regimes der diversen Machtherrscher berichtet.

Von den Großreichen bis zum Weg in die Freiheit.


Van Dijk beschreibt die Großreiche, die es im Mittelalter in Ghana und Mali gab, erzählt von der Ausbreitung und Herkunft der "Importreligionen" Islam und Christentum. Ein großer Teil des Buches beschäftigt sich mit dem Thema Kolonialisierung. Afrikas Unterdrückung durch europäische Mächte begann vor 500 Jahren - mit der Ankunft der Portugiesen in Westafrika. Dabei trafen sie keineswegs auf nackte Wilde und "leeres" Land, der Kontinent war längst besiedelt. Doch das interessierte niemanden. Ein Wettlauf zwischen den europäischen Monarchien setzte ein; auch die Deutschen machten mit, sie setzten sich in Südwestafrika (heute Namibia) fest.
Der lange Weg zur Freiheit und zum modernen Afrika (bis hin zu den Chancen und Problemen der Afrikanischen Union) bekommt ebenfalls einen großen Abschnitt in Van Dijks Buch. Wobei er Verständnis dafür weckt, dass so vieles drunter und drüber ging beziehungsweise geht: "Nach 500 Jahren Ausbeutung, Sklaverei und Kolonisation soll plötzlich in nur 50 Jahren alles gut sein. Lächerlich." Interessant auch, wie van Dijk Afrikas und Europas Mitschuld dabei gegenüberstellt: "In Europa sind die Grausamkeiten verrückt gewordener Diktatoren wie Idi Amin aus Uganda oft als genereller Beleg für die 'erschreckende Unreife' politischer Führer in Afrika missbraucht worden, ohne die europäische Rückendeckung ausreichend darzustellen. In Afrika wird gerne die Mitverantwortung einheimischer konservativer Eliten geleugnet, die, vor allem wenn eine Diktatur einmal zusammengebrochen ist, alle 'schon immer' gegen diesen oder jenen Despoten waren."
Klingt gerade für Deutsche sehr vertraut. Verrückt gewordene Diktatoren hatten wir auch schon. Und der Widerstand hielt sich in Grenzen.

Lutz van Dijk:
Die Geschichte Afrikas,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2003,
231 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 3-593-37101-4
www.campus.de

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

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: Die Geschichte Afrikas.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 231 Seiten, ISBN 3-593-37101-4

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