Der gar nicht so schwarze Kontinent
Die Geschichte Afrikas, das neue Buch von Lutz van Dijk.
Afrika ist ungeheuer vielfältig. Um dem Kontinent gerecht zu werden, gibt van Dijk in seinem Buch vielen Menschen Raum, lässt sie über ihr Leben und ihre Erfahrungen berichten. Das ist spannend, schwächt aber auch den roten Faden des Buches. Sein Buch ist oft mehr Fundgrube als geschichtlicher Überblick.
Lutz van Dijk schafft es, diese Herausforderung zu meistern. Er entführt seine jungen Leser in ein Afrika, das bunt und vielfältig ist, uralt und modern, mit einer Geschichte voller Hoch- und Tiefpunkte. In vielen Schlaglichtern, in fast kaleidoskopischer Art zeigt er seinen Lesern die kulturelle Vielfalt Afrikas: von der Kultur des Islam im Norden nach Schwarzafrika im Süden; vom Leben der Buschmänner in der Steppe zum pulsierenden Leben der Großstädte; von der Kultur der Pygmäen zu den Pyramiden in Ägypten. Zwar gehört sein Buch zu den Jugendsachbüchern des Campus Verlags, ist aber gleichzeitig auch eine interessante Lektüre für Erwachsene.
Kaum ein Autor war so gut dafür geeignet, die Herausforderung dieses Themas anzunehmen: Lutz van Dijk kennt den Kontinent aus erster Hand, er lebt seit 2001 in Kapstadt (nachdem er bis 1990 aufgrund seines Engagements gegen Apartheid Einreiseverbot hatte). Als Mitbegründer der Stiftung HOKSIA setzt er sich für von AIDS betroffene Kinder ein. Seine Jugendromane sind sehr erfolgreich, seine Geschichte der Juden, 2001 ebenfalls bei Campus erschienen, wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. In diesem neuen Buch spürt man seine tiefe Liebe zu Afrika und seinen Respekt vor den Menschen dort.
Auch optisch ist Die Geschichte Afrikas liebevoll gestaltet. Erklärenden Karten stehen die farbenprächtigen, an Volkskunst erinnernden Illustrationen von Dennis Doe Tamakloe gegenüber. Oft hat er Fotos in Ölbilder umgesetzt, so dass einem aus den Seiten unter anderem Nelson Mandela, Ama Ata Aidoo (die als eine der Mütter der modernen afrikanischen Literatur gilt) und Léopold Senghor, dem ersten Präsidenten des Senegal entgegenblicken.
Ein Buch - viele Stimmen.
Das Prinzip des Buchs: Van Dijk hält sich raus. Er hat versucht, so wenig wie möglich selbst zu erzählen, sondern stattdessen bekannte und unbekannte Menschen aus der Geschichte Afrikas selbst zu Wort kommen zu lassen. Ein Mädchen aus einer Township in Südafrika, einen jungen Mann aus Zaire, der heute in Paris studiert, den Herero-Häuptling Samuel Maharero, den afrikanischen Bischof von Lissabon, den AIDS-Waisen Nkosi Johnson, die ehemalige Kindersoldatin China Keitetsi, Nelson Mandela und viele mehr, die Leid und Hoffnung Afrikas verkörpern. Das ist einerseits eine Stärke des Buchs - andererseits seine Schwäche. Die kleinen Berichte sind faszinierend, aber durch ihre schiere Zahl brechen sie auch den Erzählfluss des Buchs, die Kontinuität geht verloren. Eine einfache, klare Übersicht über die afrikanische Geschichte ist van Dijks Buch nicht, eher eine Fundgrube von Berichten, Gedichten, Geschichten, Zitaten, Mythen und Legenden, die er zusammengetragen hat. In seiner hervorragenden Geschichte der Juden ist ihm der Überblick weitaus besser gelungen, hier hat er knapper und stärker auf den Punkt erzählt. Ebenso wie in einem anderen Campus-Jugendbuch, Die Geschichte des Islam von Dilek Zaptcioglu geht auch in van Dijks Afrikabuch der rote Faden leicht in einer Fülle von Details unter.
Ethnische Vielfalt.
Gleichzeitig wirkt es auch etwas
irritierend, dass van Dijk mit seiner Geschichte noch früher als
bei Adam und Eva, nämlich bei der Erdgeschichte beginnt - die
geologischen Informationen über den Kontinent werden wohl nur
eine kleine Zahl von Lesern interessieren, die etwas über Afrika
erfahren wollen. Erhellend ist dagegen, was van Dijk über die
Entwicklung der Menschheit dort zu erzählen hat: "Die Hälfte
seiner gesamten bisherigen Geschichte verbrachte der Homo sapiens
in Afrika. In dieser Zeitspanne konnten sich viele
unterschiedliche Völker, Ethnien und Clans auf dem afrikanischen
Kontinent herausbilden, lange bevor es den modernen Menschen
irgendwo anders auf der Welt gab ... aus der kleinen Gruppe von
Menschen, die Afrika Richtung Naher Osten verließ, kommt das
genetische Material der allermeisten Menschen heutzutage." So
weckt van Dijk Verständnis für das, was viele abfällig als
"Sprachengewirr" und "Stammeschaos" bezeichnen und was in
Wahrheit eine große ethnische Vielfalt ist. Die natürlich - wie
überall anders auch - Konflikte hervorbringt.
Das Beispiel ist typisch für van Dijks Buch. Er berichtet
kritisch, nicht idealisierend. Zwar ergreift er Partei, aber er
bewahrt auch Distanz. Zum Beispiel zu Europa und dem, was es in
Afrika hineinprojiziert. So kommentiert er zum Thema Religionen:
"So anregend solche Betrachtungen sind - es soll nicht geleugnet
werden, dass afrikanische Glaubensvorstellungen von manchen
Menschen in westlichen Gesellschaften auf eine Weise idealisiert
werden, die nur wenig mit Afrika, aber viel mit eigenen
Sehnsüchten und ungelösten Problemen zu tun hat." Aber auch zu
Afrika, zum Beispiel beim düsteren Thema Sklaverei: "Das
Infragestellen autoritärer Strukturen in Afrika, die wesentlich
zum Ausmaß der Katastrophe beitragen, ist ebenfalls eine wichtige
Aufgabe, die noch bevorsteht." Er beschönigt nichts, wenn er von
den blutigen Regimes der diversen Machtherrscher
berichtet.
Von den Großreichen bis zum Weg in die Freiheit.
Van Dijk beschreibt die Großreiche,
die es im Mittelalter in Ghana und Mali gab, erzählt von der
Ausbreitung und Herkunft der "Importreligionen" Islam und
Christentum. Ein großer Teil des Buches beschäftigt sich mit dem
Thema Kolonialisierung. Afrikas Unterdrückung durch europäische
Mächte begann vor 500 Jahren - mit der Ankunft der Portugiesen in
Westafrika. Dabei trafen sie keineswegs auf nackte Wilde und
"leeres" Land, der Kontinent war längst besiedelt. Doch das
interessierte niemanden. Ein Wettlauf zwischen den europäischen
Monarchien setzte ein; auch die Deutschen machten mit, sie
setzten sich in Südwestafrika (heute Namibia) fest.
Der lange Weg zur Freiheit und zum modernen Afrika (bis hin
zu den Chancen und Problemen der Afrikanischen Union) bekommt
ebenfalls einen großen Abschnitt in Van Dijks Buch. Wobei er
Verständnis dafür weckt, dass so vieles drunter und drüber ging
beziehungsweise geht: "Nach 500 Jahren Ausbeutung, Sklaverei und
Kolonisation soll plötzlich in nur 50 Jahren alles gut sein.
Lächerlich." Interessant auch, wie van Dijk Afrikas und Europas
Mitschuld dabei gegenüberstellt: "In Europa sind die
Grausamkeiten verrückt gewordener Diktatoren wie Idi Amin aus
Uganda oft als genereller Beleg für die 'erschreckende Unreife'
politischer Führer in Afrika missbraucht worden, ohne die
europäische Rückendeckung ausreichend darzustellen. In Afrika
wird gerne die Mitverantwortung einheimischer konservativer
Eliten geleugnet, die, vor allem wenn eine Diktatur einmal
zusammengebrochen ist, alle 'schon immer' gegen diesen oder jenen
Despoten waren."
Klingt gerade für Deutsche sehr vertraut. Verrückt
gewordene Diktatoren hatten wir auch schon. Und der Widerstand
hielt sich in Grenzen.
Lutz van Dijk:
Die Geschichte Afrikas,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2003,
231 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 3-593-37101-4
www.campus.de
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
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© changeX Partnerforum [14.07.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Lutz van Dijk: Die Geschichte Afrikas.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 231 Seiten, ISBN 3-593-37101-4
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