What‘s art gotta do with it?
Living at Work-Serie | Folge 26 | – Stefan Shaw über Unternehmenskommunikation mit den Mitteln der Kunst.
Künstler sind Profis darin, abstrakte Werte in Bilder und Metaphern umzusetzen – und damit können sie gerade für Unternehmen aus der Dienstleistung, die starke, einprägsame Symbole brauchen, unschätzbar wertvoll sein.
Nie gab es so viele Produkte und
Dienstleistungen wie heute. Nie war der Kunde so anspruchsvoll.
Nie war es für den Kunden so leicht, Produkte und
Dienstleistungen mit ähnlichen Produkten und Dienstleistungen zu
vergleichen. Der Blick gleitet durch die Regale und 1.000
Tütchen, Päckchen, Döschen, Tübchen und Dienstleistungen
schreien: "Hier!" Alle bieten "den vollen Service", "die
maßgeschneiderte Kundenbetreuung". Sie wollen mit uns "laut
nachdenken" und dann "den Weg freimachen". "Das grüne Band der
Sympathie", "Gelber Strom", "Für meine Zukunft sehe ich blau".
Nach den Farben jetzt die Liebe: Volkswagen produziert "aus Liebe
zum Automobil". ProSieben "loves to entertain you". McDonald‘s
sagt "Ich liebe" und selbst bei McKinsey heißt es "Passion
wanted".
Worum geht es bei diesem multimedialen Lärm? Es geht in
erster Linie um Differenzierung und Emotionalisierung. Zunächst
sollen Firmen und Produkte erkannt und dann sollen sie begehrt
werden. Je hochwertiger die Produktgruppe, desto notwendiger, sie
gegenüber anderen Angeboten abzusetzen.
Profis in visueller Kommunikation.
Hierfür liegen in der bildenden
Kunst und ihren Schöpfern enorme Potenziale, die von Unternehmen
gewinnbringend genutzt werden können. Dies bestätigen sowohl
konkrete Erfahrungen von Unternehmen, die Kunst und Künstler
gezielt einsetzen, als auch empirische Studien, die in den
letzten Jahren zu diesem Thema durchgeführt wurden.
Zeitgenössische Kunst operiert in erster Linie visuell und
so sind es vor allem visuelle Anwendungsfelder, insbesondere im
Rahmen der Unternehmenskommunikation, für die Künstler Wert
schaffen können. Die Schlüsselbegriffe für das Verständnis des
konkreten künstlerischen Wertbeitrages sind "Distanz" und
"Metapher". Eigene Behauptungen allein reichen selten aus, um
glaubwürdig zu sein. Da bedarf es schon einer Bestätigung von
außen, um aus einer Meinung eine Tatsache zu machen. Eine solche
unabhängige Position hat ein Künstler per se inne, da er sich in
einer natürlichen
Distanz zu seinem Gegenstand befindet. Nicht nur, dass der
Künstler nicht dem Unternehmen zugehörig ist; er ist ja zumeist
noch nicht einmal in der Wirtschaftswelt an sich zu Hause.
Distanzierter, somit authentischer kann ein externer Beobachter
kaum sein.
Gerade theoretische Konzepte wie Toleranz, Individualität,
Respekt, Leistungsbereitschaft, Loyalität et cetera, wie sie als
Unternehmenswerte und -kultur beschworen werden, bedürfen Bildern
und Symbolen, damit sie als einprägsame Botschaft wahrgenommen
werden können. Künstler sind Profis, wenn es darum geht, für
Aussagen Metaphern zu finden, ihnen Symbole oder Bilder
zuzuordnen oder ihnen durch die Neukombination mit anderen
Inhalten frischen Wind zu verleihen.
Drei Beispiele aus einer Stadt sollen dies
veranschaulichen.
Dynamische Schritte für die Münchener Rück.
Versicherungsunternehmen sind –
visuell gesehen – ein schwieriges Thema, da ihnen kaum eindeutige
Bildmotive zuzuordnen sind. Es geht um Absicherung gegenüber
Schadensfällen. Bei einer Rückversicherung geht es gar um die
Versicherung für Versicherungen. Wie soll man so etwas
visualisieren? Durch Zahlenkolonnen? Ärmelschoner? Schadensfälle?
Das Versprechen einer heilen, sicheren Welt? Was ist das passende
Bild, die passende Skulptur?
Diese Aufgabe stellte sich dem Künstler Jonathan Borofsky,
als die Münchener Rück ihrem Gebäude an der Münchner
Leopoldstraße ein neues Gesicht gab und nach Kunst für den der
Straße zugewandten Außenbereich suchte. Borofsky schlug vor, eine
gigantische, die Bäume der Straße überragende, menschenartige
Skulptur aufzustellen, die mit energischem Schritt voranschreiten
sollte, einen "Walking Man".
Die Münchener Rück entschied sich, dem Vorschlag des
Künstlers zu folgen. Was nach der Aufstellung der 17 Meter hohen
und 16 Tonnen schweren Skulptur im Jahr 1995 geschah, erstaunte
alle Beteiligten. In nahezu jedem größeren Presseartikel, der
über die Münchener Rück publiziert wurde, tauchte der Walking Man
als willkommene Bebilderung auf. In der Folge weitete sich die
Nutzung des Bildmotivs sogar auf Pressebeiträge über das
Versicherungsgeschäft im Allgemeinen aus.
Somit wurde in einer als wenig aufregend und dynamisch
wahrgenommenen Branche einem Unternehmen ein einprägsames Symbol
zugeordnet, das Dynamik mit Stil und (Kunst-)Geschmack
verknüpfte. Die vergleichsweise simple Entscheidung für die
Arbeit von Jonathan Borofsky hatte einem der größten, mächtigsten
und traditionsreichsten Unternehmen Deutschlands ein Image
beschert, wie es durch die ausgefeilteste (und teuerste) Kampagne
kaum besser hätte erreicht werden können.
Symbolische Funktion für die TU München.
Zweites Beispiel: Die Technische
Universität München plante einen Neubau für ihre Fakultät für
Mathematik und Informatik. Universitäten treten zunehmend
miteinander in einen Wettbewerb um die besten Talente. Dieser
Wettbewerb wird in Zukunft ergänzt werden durch einen
Konkurrenzkampf um die potentesten privaten Förderer. Zumeist
werden dies Alumni sein, die in der jeweiligen Universität
ausgebildet wurden.
Es geht also um
Kundengewinnung und
Kundenbindung. Wie gibt man nun einer Fakultät für
Mathematik und Informatik ein Gesicht, welches das Institut
sowohl für die talentiertesten Studenten als auch die künftigen
Alumni unverwechsel- und erinnerbar macht? Wie kann ein Symbol
beschaffen sein, mit dem man den Ort und das Thema des Studiums
miteinander verknüpft bekommt? Welche Metapher bietet sich an?
Das Künstlerduo Brunner und Ritz packte das Problem an der
Wurzel beziehungsweise an dessen Exponentialfunktion. Zusammen
mit einem Professor des Instituts wurde eine elegante
Funktionsgleichung für eine Parabel entwickelt. In der Form genau
dieser Parabel konzipierten Brunner und Ritz im Jahr 2002 eine
Hochgeschwindigkeitsrutsche und bauten sie quer durch das gesamte
Gebäude in den Lichthof. Wer vom dritten Stock nach einem
schnellen Ausweg aus dem Gebäude sucht, kann sich auf die Rutsche
setzen und binnen Sekunden das Erdgeschoss erreichen, von dem aus
das Gebäude verlassen werden kann. Rutschen auf dem Buckel einer
eleganten Funktionsgleichung – ein einzigartiges Symbol für die
Fakultät, das Mitarbeiter, Studenten, Alumni und Besucher
erfahren, indem sie es befahren.
Lovells zeigt seine Hände.
Die Sozietät Lovells gehört zu den
größten Anwaltssozietäten weltweit. In Deutschland ist die
Sozietät seit Anfang 2000 präsent, und zwar durch eine Fusion mit
der deutschen Sozietät Boesebeck Droste, die wiederum aus
Zusammenschlüssen lokaler Anwaltsbüros entstanden war. Das
dynamische Wachstum von Lovells – auch in München – verlangte
bald nach einem neuen Standort und damit auch nach Kunst für den
repräsentativen Eingangsbereich. Aber nicht irgendeine Kunst,
sondern Kunst, die für das neue Unternehmen Lovells stehen, aber
auch die Tradition der (teils lokalen) Vorgängersozietäten
transportieren sollte.
Der Schlüssel für eine Lösung lag in der Selbstdarstellung
von Lovells. Viele Sozietäten, insbesondere Kanzleien mit
vergleichbarer Größe betonen, mit ihrer "global firm" ihrem
Kunden in alle Geschäfte und an alle Orte der Erde folgen zu
können. Lovells hingegen stellt die Individualität, die
Persönlichkeit des einzelnen Anwalts in den Vordergrund ihrer
Kommunikation. Persönlichkeit heißt auch Geschichte und genau
dies war die Klammer, die den Anspruch von Lovells mit der
Geschichte von Boesebeck Droste zusammenführen konnte.
Lovells beauftragte die Künstlerin Nataly Maier, diese
Aufgabe künstlerisch zu lösen. Gemeinsam mit den Partnern der
Sozietät entschied sich Maier, sechs Personen zu portraitieren:
einen langjährigen Mandanten der Sozietät, den Gründerpartner der
ursprünglichen Sozietät in München, einen Namenspartner des
Düsseldorfer Büros, die Sekretärin mit der längsten
Firmenzugehörigkeit, die erste eingestellte Anwältin der neuen
Sozietät und den Partner, der das Kunstprojekt initiiert hatte.
Von den Händen dieser Personen nahm Maier jeweils einen
Abdruck und führte ein ausführliches Gespräch mit ihren
"Modellen". Ihre Interpretationen der Gespräche übersetzte Nataly
Maier daraufhin in eine künstlerische Interpretation der
"abgenommenen" Handlinien. Nichts wurde erfunden oder
hinzugefügt, aber Maier verstärke einige Linien oder schwächte
andere ab. Am Ende dieses Prozesses entstanden sechs
Abstraktionen von Persönlichkeiten in Form großformatiger
Arbeiten im Eingangsbereich, die nahezu jeden Besucher zu der
Frage verleiten: "Was ist das?" Die Antwort ist die beste, die
Kunst im Rahmen der Unternehmenskommunikation geben kann: "Das
sind wir!"
Aus der Distanz zu neuen Ideen.
Kurz, als externe, unbefangene Kreative können Künstler einen neuen Blick auf ein Unternehmen entwickeln. Durch unkonventionelle Ideen sind sie in der Lage, Objekte und Botschaften zu schaffen, die eine – durchaus auch ironische – Distanz zu ihrem Gegenstand zeigen. Gerade durch diese Distanz können Künstler prägnante Metaphern entwickeln, die für das Unternehmen stehen, werben und damit nachhaltigen Wert generieren.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Stefan Shaw beriet nach seinem kulturwissenschaftlichen Studium und Promotion für die Boston Consulting Group international führende Unternehmen in strategischen Fragen, bevor er 2001 das Unternehmen art matters gründete, ein Beratungsunternehmen an der Schnittstelle von Wirtschaft und Kunst. Shaw ist Lehrbeauftragter der Universität Marburg sowie des Instituts für Kulturmanagement an der PH Ludwigsburg.
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
© changeX Partnerforum [02.07.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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