Gute Bürger
Living at Work-Serie | Folge 22 | - Peter Felixberger über Corporate Citizenship.
Bürgerschaftliches Engagement ist ein viel zitierter Begriff in Feiertagsreden. Unternehmen im Einsatz für das Gemeinwohl? Manager als gute Bürger? Widerspricht das nicht der Logik von Profitmaximierung und Effizienzsteigerung. Nein, beweisen immer mehr Firmen. Gesellschaftliches Engagement lohnt sich. Am Ende stehen bessere Mitarbeiter und zufriedenere Kunden.
Im Jahr 2003 fand der erste
Freiwilligentag für Unternehmen statt. Mitarbeiter engagierten
sich in zahlreichen gemeinnützigen Projekten. Richtig nett soll
es gewesen sein: Anwälte organisierten einen Zoobesuch mit
Flüchtlingsfamilien, Telekom-Mitarbeiter strichen ein
Bürgerzentrum neu an, Finanzprofis organisierten eine
Computerschulung in einem Frauenhaus und Wal-Mart-Mitarbeiter
legten Hand im Garten eines Jugendzentrums an. Am Schluss waren
immerhin 177 Mitarbeiter aus 14 Kölner Firmen im Einsatz. Und
alle waren ziemlich glücklich. Fragt sich nur, worüber? Klar, so
billige Arbeitskräfte finden gemeinnützige Einrichtungen selten.
Aber warum engagieren sich Unternehmen? In Deutschland ist das
Corporate Citizenship noch nicht sehr verbreitet. Der Einsatz für
das Gemeinwohl wird immer noch gerne als lästige Pflicht
verstanden. Der Sozialstaat sei für diese Aufgaben zuständig.
Ganz anders ist die Situation in den USA, wo der
Sozialstaat seit jeher schwach ausgeprägt ist. Ein Blick zurück:
Als William McCormick Blair 1935 in Chicago eine kleine
Investmentbank gründete, wollte er zunächst nur den Firmen in und
um Chicago beim Aufbau behilflich sein. Mit günstigen Krediten,
Finanzberatung und Auftragsvermittlung. Schnell wurde die Bank
eine begehrte Anlaufstelle für gebeutelte Unternehmer. Der Erfolg
beflügelte Blair. Er wollte fortan nicht mehr nur dem schnöden
Mammon dienen, sondern auch das Gemeinwohl im Blick haben. Dies
war die Geburtsstunde des Corporate Citizenship. Unternehmer und
Manager als gute Bürger! Und heute? Längst ist William Blair
& Company global ausgerichtet, agiert von Büros in Zürich und
London ebenso wie von New York und San Francisco aus. Geblieben
aber ist die Bereitschaft, "soziale Verantwortung zu übernehmen",
so der jetzige Firmenboss E. David Coolidge III. Freiwillig etwa
helfen Angestellte mit, wenn es um Reparaturen und Malerarbeiten
in Kindergärten und Grundschulen geht oder wenn einem
Rentnerehepaar der Garten verschönert werden soll. Als Mentoren
begleiten Blair-Mitarbeiter außerdem Jugendliche aus armen
Verhältnissen, man trifft sich, verbringt gemeinsam Freizeit und
unterstützt den schulischen Werdegang des Zöglings.
Der Stärkere schaut auf den Schwächeren.
Der Münchner Soziologe Gerd Mutz
kennt viele Beispiele in den USA. Er forscht darüber, inwieweit
und warum Unternehmen sich mehr sozial und freiwillig engagieren
als anderswo. Die USA sieht er in einer Vorreiterrolle. "Die
amerikanische Gesellschaft ist sehr viel stärker
gemeinschaftsgebunden als unsere. Der Stärkere schaut mehr auf
den Schwächeren. Die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft
ist groß", so Mutz. Beispiele, zu helfen, gibt es in den USA
zuhauf. Nicht nur, dass im Central Park in New York Leute nicht
ganz aufgegessene Speisen an Arme weiterschenken, übrigens ohne
jede Herablassung. Bei der Citibank werden Mitarbeiterspenden bis
zu 1.000 Dollar kurzerhand vom Konzern verdoppelt. Time Warner
entwickelt sogar eigene Unterrichtsmaterialien zur Verbesserung
des Analphabetentums bei Betroffenen. Mitarbeiter des
Schuhherstellers Timberland erhalten jedes Jahr 40 Stunden
bezahlten Urlaub für Community Work. Über 33.000 bezahlte
Arbeitsstunden kommen so zusammen. Kein Wunder, dass
Fortune Timberland deswegen zu den 100 besten Arbeitgebern
gewählt hat.
Und wie sieht es in Deutschland aus? Nachdem das Thema
jahrelang dahindümpelte, erwachen deutsche Unternehmer und
Manager langsam aus dem Dornröschenschlaf. Begleitet von
kräftigen Tönen aus allen Ecken der Politik. Eine eigens vom
Deutschen Bundestag eingerichtete Enquete-Kommission
"Bürgerschaftliches Engagement" hat bereits die Perspektiven
gesellschaftlichen Engagements ausgelotet. CSU-Mann Alois Glück
fordert sogar eine aktive Bürgergesellschaft, "in der die
einzelnen Bürger wieder mehr Verantwortung für sich selbst und
für das Gemeinwesen übernehmen".
Und siehe da. Die Signale bleiben nicht ungehört. So wurde
Mitte Mai 2003 in Frankfurt eine Initiative gegründet, die dem
Mittelstand "neue Wege für soziales Engagement weisen möchte".
Bernhard von Mutius, Unternehmensberater und einer der Vordenker
hierzulande, sieht die Bedeutung des Themas wachsen, "auch in
Zeiten von Wirtschaftskrise und gesellschaftlicher Stagnation".
Unlängst hat das Institut für Mittelstandsforschung in einer
Studie festgestellt, dass sich bereits "vier von fünf Unternehmen
für soziale Zwecke einsetzen". Aber nicht alle gleichermaßen.
Kleine und mittlere Unternehmen engagieren sich stärker als die
großen Konzerne. "Firmen mit bis zu 100 Mitarbeitern sind viermal
spendabler", so die Studie.
Die Konzerne erwachen nur langsam.
Doch auch auf Konzernebene gibt es
erste hoffnungsvolle Ansätze. Die Siemens AG führte
beispielsweise mit dem Sozialreferat der Stadt München ein
Pilotprojekt durch, in dem vier Führungskräfte eine Woche lang in
einer sozialen Einrichtung mitarbeiteten. BMW konzipiert und gibt
Unterrichtsmaterialien für interkulturelles Lernen an Schulen
aus. BMW-PR-Frau Konstanze Carreras verweist überdies auf eine
Broschüre für mehr Verkehrssicherheit, die bundesweit
Kinderärzten zur Verfügung gestellt wird. Doch der eigentliche
Motor für das Corporate Citizenship ist der Mittelstand. "Für ihn
ist Engagement vielerorts selbstverständlich. Warum? Ganz
einfach. Es bringt in Stadt und Kommune Ansehen und eine bessere
soziale Integration", so der Soziologe Gerd Mutz. Man engagiert
sich "in der Community, welche die Mitarbeiter wiederum
einbindet". Wie bei BMW in Dingolfing, die Computer und Equipment
für Schulen spendieren. Auch Sportvereine und soziale
Einrichtungen profitieren davon.
Keine Frage: Deutschland entdeckt das Corporate
Citizenship. Beispiele finden sich allerorten. Das
Pharmaunternehmen betapharm Arzneimittel in Augsburg gehört dazu.
Es fördert die psychosoziale Nachsorge für kranke Kinder und ihre
Familien. Im Dezember letzten Jahres erhielt betapharm von
Bundespräsident Rau den ersten Preis im Wettbewerb "Freiheit und
Verantwortung", mit dem "Unternehmen für ihr herausragendes und
nachhaltig wirkendes gesellschaftliches Engagement" ausgezeichnet
werden. Auch die Berliner Veolia Water GmbH ist überaus aktiv.
600.000 Euro wurden bisher über eine eigens gegründete Stiftung
an über 80 Initiativen weitergegeben - für Kinderbetreuung über
Kieztreffpunkte bis hin zu eigenen "Ausbildungsrestaurants für
Jugendliche, die keinen Lehrlingsplatz finden konnten", wie Sylke
Freudenthal von der Veolia Stiftung erzählt. Veolia aber
übernimmt nicht nur finanzielle Hilfe, sondern stellt auch
Mitarbeiter als Paten zur Unterstützung vor Ort ab.
Beispielsweise von den Berliner Wasserbetrieben. Dahinter steht,
so Geschäftsführer Christophe Hug, dass "die Wirtschaft nur dort
gedeihen kann, wenn sich die Menschen, für die sie da ist,
entwickeln können und gefördert werden".
Im Grunde genommen zielen Unternehmen damit "auf mehr
Imagegewinn und gesellschaftlichen Zusammenhalt" jenseits der
Fabriktore. Integriert sein lautet die Devise. Dies bestätigt
auch Mutz und fordert: Die "Integration von Arbeits- und
Lebenswelt müsse das Ziel sein". Allerdings auf mehreren Ebenen.
Zum Beispiel bei der Arbeitszeit. "Manche Firmen in den USA laden
bei Überstunden die Familien der betroffenen Mitarbeiter zum
gemeinsamen Abendessen ein, geben überdies frei, wenn es unter
Tags um Belange der Kinder und Schule geht", erzählt Mutz. Die
Konsequenz: Leben und Arbeit vermischen sich mehr miteinander,
die Lebensqualität steigt. Eine Win-Win-Situation für Unternehmen
und Angestellte.
Bessere Mitarbeiter, zufriedenere Kunden.
Corporate Citizenship bedeutet aber
nicht nur soziale Einbettung vor Ort oder bessere
Arbeitsbedingungen, sondern auch "soziales Lernen". Soll heißen:
Wer sich außerhalb des Büros engagiert, ist besser qualifiziert.
Und besser trainiert für seinen Managementalltag, der immer mehr
Wert auf die Social Skills legt, sagt Mutius. "Soziale und
kommunikative Kompetenzen, Teamfähigkeit, selbstständiges und
verantwortungsvolles Handeln, Perspektivenverschränkung und
Kreativität können entstehen", schreiben die Wissenschaftler
Cedric Janowicz und Carmen Klement. Am Ende stehen, wie es der
Personalberater Robert J. Schout ausdrückt, "bessere Mitarbeiter,
zufriedenere Kunden und eine bessere Kommunikation mit dem
gesellschaftlichen Umfeld eines Unternehmens".
In eine ähnliche Richtung denkt der Hamburger Publizist Uwe
Jean Heuser. Er betrachtet das neu erwachte Bürgerengagement als
Reaktion auf den immer stärkeren Zugriff des Marktes auf die
Lebenswelt der einzelnen Bürger. "Um die Zumutungen des Marktes
abzuwehren, muss die Gesellschaft Lösungen suchen, die Gemeinsinn
und Freiheit stärken." Bisher war dies die Domäne von Staat und
Politik. Doch die alten Institutionen verlieren an Bedeutung.
Soziales Unternehmertum und Engagement nehmen deshalb zu.
Corporate Citizenship - klingt komplizierter, als es ist. Denn
jedes Unternehmen kann etwas tun: zum Beispiel alle
Pfennigbeträge auf den Lohnzetteln der Mitarbeiter abbuchen und
spenden.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
www.koeln-freiwillig.de
www.upj-online.de
www.freiwillig.de
www.corporatecitizen.de
www.dnwe.de
Peter Felixberger ist Geschäftsführer und Chefredakteur des Online-Magazins changeX.
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
© changeX Partnerforum [04.06.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 04.06.2004. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Autor
Peter FelixbergerPeter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.