Rätsel des Alltags
Die Geschwindigkeit des Honigs, das neue Buch von Jay Ingram.
Wer als Kind die "Sendung mit der Maus" geliebt hat, der wird sich darüber freuen, dass zur Zeit Bücher über Alltagsphysik im Trend liegen. Auch Jay Ingram wirft einen faszinierenden wissenschaftlichen Blick hinter die Kulissen des Alltags. Ohne Gleichungen und Fachchinesisch geht er rätselhaften Erfahrungen und Beobachtungen nach - ohne Gleichungen oder Fachchinesisch.
Von zählenden Tieren und schnuppernden Mücken.
Allerdings nicht auf Anhieb. Seine
Erklärungen zur Oberfläche des Kaffees und besagter
Geschwindigkeit des Honigs sind etwas langatmig geraten, danach
verzettelt er sich in Themen wie den visuellen Illusionen auf dem
Display eines Mikrowellenofens und warum Frauen ihr Baby meistens
links an die Brust halten - eine Frage, die auch Ingram nicht
zufrieden stellend beantworten kann und die im Laufe des Lesens
immer unwichtiger erscheint. Doch wer durchhält, wird belohnt,
danach folgen spannendere Kapitel. Wussten Sie zum Beispiel, dass
Tiere zählen können? Blässhühner zum Beispiel sind richtig gut
darin. Was daran liegt, dass sie einander "Kuckuckseier" in die
Nester legen und darauf angewiesen sind, öfter mal nachzuzählen,
ob sie neben den eigenen acht auch noch andere Eier ausbrüten.
Aber auch Krähen, Tauben oder Waschbären haben bewiesen, dass sie
in Sachen einfacher Mathematik zumindest so gut sind wie
Menschenbabys.
Oder war Ihnen klar, warum manche Menschen für Stechmücken
attraktiver sind als andere? Männer werden zum Beispiel häufiger
gestochen als Frauen. Mag sein, dass das etwas mit Körperhygiene
zu tun hat. Jedenfalls nehmen die hochempfindlichen Rezeptoren
eines Moskitos die Milchsäure im Schweiß als äußerst
appetitanregend wahr. Außerdem erspüren sie das Kohlendioxid in
der Ausatemluft und nehmen zudem Körperwärme wahr.
Mysterium Mensch.
Die faszinierendsten Kapitel sind die, in denen sich Ingram dem Menschen zuwendet. Können Menschen wie Fledermäuse Hindernisse durch Schall orten? Ja, sie können, wie wissenschaftliche Untersuchungen an der Cornell University herausgefunden haben - und nicht nur Blinde. Sehende können diesen Sinn, der normalerweise von visuellen Eindrücken überlagert wird, mit ein wenig Übung ebenfalls nutzen - was sie im Alltag bereits oft tun, ohne es zu merken. Man hat herausgefunden, dass diese Fähigkeit nichts mit einem geheimnisvollen "Gesichtssinn" oder Luftströmungen zu tun hat, sondern wirklich mit Schall. Auch die wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema innere Uhr/Zeitgefühl sind spannend. Zum Thema "Ist es wirklich möglich, ohne Wecker zu einer bestimmten gewünschten Zeit aufzuwachen?" haben Forscher Faszinierendes herausgefunden. Auch das Kapitel über Blickkontakt ist sehr aufschlussreich. Auch wenn Ingram die Frage: "Kann man spüren, ob jemand einen von hinten anstarrt?", wegen der widersprüchlichen Ergebnisse bisheriger Forschungen auch nicht abschließend beantworten kann.
Keine eigene Forschung.
Es ist ein wenig schade - aber bei
der Bandbreite der Themen verständlich und eine Frage des
Aufwands -, dass Ingram nicht wie Len Fisher selbst
experimentiert, sondern nur die Ergebnisse von anderen Forschern
zusammenfasst. Als man im Nachwort erfährt, dass er nicht mal die
Recherche über diese Forschungen selbst geleistet hat, fühlt man
sich jedoch ein klein wenig verschaukelt. Gut ist dafür, dass
Ingram Forschungen aus dem gesamten 20. Jahrhundert mit
einbezieht, sie jedoch nie unkritisch referiert. Dann und wann
muss er den Leser sogar enttäuschen und ihm erzählen, dass dieses
oder jenes berühmte Ergebnis mit zweifelhaften Arbeitsmethoden
erreicht worden ist - zum Beispiel beim "Kleine Welt"-Phänomen.
Ingram schreibt nett und anschaulich, kann aber mit Len
Fishers herzhaftem Humor und hemmungslosem Spieltrieb nicht
mithalten. Trotzdem ist
Die Geschwindigkeit des Honigs für jeden, der sich Neugier
auf die Welt bewahrt hat, ein vergnügliches Buch zum
Schmökern.
Jay Ingram:
Die Geschwindigkeit des Honigs.
Ungewöhnliche Erkenntnisse aus der Physik des Alltags,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
220 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 3-593-37528-1
www.campus.de
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
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Jay Ingram: Die Geschwindigkeit des Honigs. . Ungewöhnliche Erkenntnisse aus der Physik des Alltags. . Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 220 Seiten, ISBN 3-593-37528-1
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