Lasst uns Story-Manager werden!
Living at Work-Serie | Folge 13 | - Hans Rudolf Jost über ein neues Verständnis von Unternehmenskultur.
Unternehmenskultur ist die Summe der Geschichten, die man sich erzählt: Dazu gehören Mythen und Geschichten, Klatsch und Tratsch, aber auch Dogmen und Tabus. Immer mehr Firmen lernen, diese Erzählstränge ernst zu nehmen. Sie wissen: Vor allem gute Geschichten schweißen zusammen und geben Halt. Noch aber sieht die Realität anders aus: Die meisten Bosse sind schlechte Storymanager.
Es gibt so viele Definitionen für
Unternehmenskultur wie Führungskräfte. An den Hochschulen heißt
es: "Unternehmenskultur ist die Summe der Werte, Normen und
Artefakte, die sichtbar oder unsichtbar, bewusst oder unbewusst
in einer Firma gelebt werden." So eine Definition ist völlig
unpraktikabel. Ich definiere Unternehmenskultur anders: Sie ist
"die Summe der Geschichten, die man sich erzählt". Diese
Geschichten sind Teil der sozialen Konstruktion von Realität in
einem Unternehmen. So etwas wie die mentale DNA eines
Unternehmens.
Wenn man wissen will, wie diese DNA entsteht, muss man sich
die Struktur von Unternehmen anschauen. Es gibt zwei
Organisationsebenen: der formelle, sichtbare und der informelle,
unsichtbare Teil. Zum sichtbaren Teil der Organisation gehören
die Abläufe, die Hierarchien, die Organisationsstrukturen, auch
die Architektur und die Produkte. Der unsichtbare Teil der
Organisation umfasst die Mythen und Geschichten, den Klatsch und
Tratsch, der sich um eine Firma rankt, aber auch die informellen
Beziehungen, verdeckten Regeln, Dogmen und Tabus. Auf der ersten
Ebene wird Sicherheit geschaffen, auf der zweiten entsteht
Vertrauen. Wie bei einem Eisberg befinden sich die
Gravitationskräfte einer Unternehmung, die genetischen Codes der
Unternehmenskultur, in der nicht sichtbaren, zweiten
Organisation. Wer diese Kräfte beeinflussen kann, hat den
Schlüssel zur Unternehmenskultur.
Es gibt keine gute oder schlechte Unternehmenskultur. Aber
die Kultur eines Unternehmens kann funktional oder dysfunktional
sein. Die Frage ist: Unterstützt oder behindert sie das
Unternehmen auf dem Weg, seine Geschäftsziele zu erreichen? Wenn
die Menschen im Unternehmen über die HR-Frau herziehen, die mit
dem Vertriebschef in der Sauna gesichtet wurde, ist das sicher
eine gute, aber dysfunktionale Geschichte. Wenn der Erfolg der
Abteilung beim Pitch die Runde macht, kommt das dem Unternehmen
zugute.
Auf funktionale Geschichten fokussieren.
Damit Geschichten erzählt werden,
die den Menschen nützen, brauchen die Unternehmen ein
professionelles Storymanagement. Der Chef ist der Corporate
Storyteller. Ziel ist es, gute Geschichten durch noch bessere
Geschichten zu verdrängen. Bis neun Uhr morgen früh müssen die
Budgetzahlen abgegeben werden, das ist kein Reißer. Da muss sich
ein Chef etwas Besseres einfallen lassen. Ich muss mir überlegen:
Welche Geschichten funktionieren in meinem Unternehmen, welche
sollen verstärkt werden, mit welchen soll ich mich als
Führungskraft hauptsächlich beschäftigen?
In der Regel verbringen wir 80 Prozent der Zeit mit
Geschichten über Defizite. Wir erzählen uns, was nicht
funktioniert, wo Performance oder Verhalten schlecht waren. Der
Fokus ist: Beseitigung von Defiziten. Völliger Unsinn. Wir müssen
den Fokus auf das richten, was funktioniert. Da liegen die guten
Geschichten, die den Menschen helfen, ihr Handeln zu steuern und
Ziele schneller zu erreichen. Die stärkste Geschichte jeder
Unternehmung ist ihr Erfolg, der stärkste Treiber von
Unternehmenskultur der "Winning Spirit". Das kennen wir sehr gut
aus anderen Bereichen. Zum Beispiel eine
Fußballweltmeisterschaft. Da erheben sich plötzlich
nationalstaatsmüde Steuerzahler zu Fahnen schwingenden Patrioten,
fallen wildfremden Menschen in die Arme, fahren mit hupenden
Korsos durch die Stadt. Das ist die Triebkraft der Geschichte
Fußball. Solche Geschichten schlummern in jedem Unternehmen:
Geschichten über Erfolge, über die Gründerzeit, über Menschen und
Innovationen, aber auch frei erfundene Geschichten in Form einer
Vision etwa.
Gute Geschichten verstärken.
In jedem Unternehmen gibt es
unterschiedliche Typen. Die Beständigen, die Herzmenschen, die
Draufgänger etwa. Und die Pioniere. Wer die Pioniere in einem
Veränderungsprozess zuerst in die Schulung schickt, macht einen
guten Schachzug. Denn die sind eher offen für Neues als ihre
Kollegen. Wenn sie in der Schulung neue Methoden lernen, und
damit gute Erfahrungen machen, werden sie anschließend begeistert
ihre Geschichte erzählen: "Hey, die Neuerung hat funktioniert,
ich habe mehr verkauft als vorher, eine tolle Sache." Diese
Geschichte macht die Runde, die anderen werden sich nicht mehr
per se skeptisch gegen die Änderung stemmen, sondern fragen:
Wieso dürfen wir das nicht auch lernen? Und schon haben sie mit
guten Geschichten den Wandel beschleunigt. Durch einen weichen
Faktor.
Ähnliches haben wir mal in einer deutschen
Unternehmensberatungsgruppe versucht. Alle Consultants mussten
sich in wechselnden Rollen ihre Erfolgsgeschichten der letzten
sechs Monate erzählen. Wir haben drei Gruppen gebildet:
Interviewer, Reporter, Zuhörer. Die Zuhörer versuchten zu
ergründen, was die Triebfedern des Erfolgs waren. Was macht die
Geschichte so einzigartig, was war das Gefühl dabei? Am Ende kam
heraus: Wir sind ein Unternehmen, das die Funken fliegen lässt.
Das ist unser Motor.
Solche Methoden einzuführen scheint dringend nötig zu sein.
Im Mai und Juni 2002 haben wir 280 Fragebogen ausgewertet.
Befragt wurden die größten Unternehmen, Verwaltungen und
Unternehmensberatungen in der Schweiz. Überraschend war: 71
Prozent der befragten Unternehmen sind mit ihrer aktuellen
Unternehmenskultur unzufrieden. Das ist alarmierend. 35 Prozent
haben ihre Unternehmenskultur als "Partizipationskultur"
bezeichnet, 24 Prozent erkennen in ihrer Firma eine
"Veränderungskultur" und 22 Prozent eine "Problemlöserkultur".
Interessant finde ich, dass als wichtigster Treiber von
Unternehmenskultur das Vorbild der Führung gilt. Erst an zweiter
Stelle stehen die "sozialen Kompetenzen des Managements", an
dritter die "interne Kommunikation", gefolgt von "viel
Freiraum/Möglichkeiten zur Selbstorganisation und
Eigenverantwortung". Bei einer Kontrollfrage hat sich die
Ranklist allerdings relativiert. Gefragt nach den drei
wichtigsten Triebkräften, die eine Unternehmenskultur prägen,
rutscht die soziale Kompetenz auf Platz sechs ab. Die Berufung
auf soziale Kompetenzen des Managements hat eben oft noch etwas
Beliebiges.
"Walk to talk."
Dennoch wird es mehr und mehr Job
der Führungskräfte, durch "walk to talk" gute Geschichten zu
verbreiten und damit die Unternehmenskultur zu prägen. Doch viele
Manager machen einen Bogen um das Thema, weil sie es als weichen
Faktor abtun. Oder sie versuchen, die Unternehmenskultur zu
prägen, indem sie Leitbilder formulieren, sie auf Poster
schreiben, neben den Aufzug pinnen und froh sind, wenn das
erledigt ist. Es geht dann oft um Sätze wie: Wir möchten die
Nummer eins auf dem mittelpreisigen Fotokopierermarkt werden. Das
ist noch keine Vision, das wollen viele.
Besonders offensiv muss man bei kritischen Themen mit dem
Storytelling umgehen. Beispielsweise bei Entlassungen oder
Fusionen. Nehmen Sie zwei IT-Unternehmen, die zusammengeschlossen
werden. Beide CEOs sagen: Klar Leute, wir packen das. Die
Mitarbeiter aber haben ihre Schweißperlen auf der Stirn gesehen.
Schon ist das Vertrauen in den Wandel dahin. Wir holen in so
einem Fall die beiden Geschäftsleitungen zusammen und fordern sie
auf, ihren Leuten die besten Geschichten der vergangenen zwei
Monate zu erzählen. Dabei erfahren beide Unternehmen etwas über
die Arbeitsweise des anderen, sie sehen auch die Vorteile einer
Partnerschaft und nicht nur die Bedrohung. Denn Storytelling
hilft, soziale Realitäten aufzubauen. Natürlich durchlaufen Sie
bei vielen grundsätzlichen Veränderungen eine Phase der
Destabilisierung. Gerüchte kursieren, die Mitarbeiter machen sich
Sorgen. Aber die Situation stellt sich ganz anders dar, wenn Sie
das offensiv angehen. Stellen Sie die Gerüchte ins Netz, reden
Sie darüber, machen Sie es zum Teil der offiziellen Kultur. Dann
haben Sie die Chance, konstruktives Storytelling zu
betreiben.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Hans Rudolf Jost arbeitet seit 23 Jahren als Berater und Trainer. Seit 1997 beschäftigt er sich mit Change-Prozessen. Als Gründer und Inhaber der Change Factory Unternehmensberatung AG in Zürich begleitet Jost Firmen in komplexen Veränderungsphasen. Schwerpunkt seiner Arbeit sind weiche Faktoren wie Unternehmenskultur und Kommunikation. Unter seinen Veröffentlichungen ist das Buch Unternehmenskultur. Wie weiche Faktoren zu harten Fakten werden (Orell füssli 2003).
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
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