Geistesblitze in der Denker-Koje
Living at Work-Serie | Folge 3 | - Wilhelm Bauer vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) über das Büro der Zukunft.
Damit Wissensarbeiter ihre Kreativität entfalten können, sollte ihnen das Unternehmen nicht einfach einen Schreibtisch und Computer zur Verfügung stellen, sondern auch noch Denker-Kojen, Business-Lounges und Entspannungszonen. Wilhelm Bauer glaubt: Innovative Bürokonzepte werden sich durchsetzen.
Wo findet Wertschöpfung statt? In Zukunft überall. Moderne Technik macht neue Formen der Zusammenarbeit möglich. Der Wissensarbeiter der Zukunft kann zu jeder Zeit und an fast allen Orten daran teilnehmen. Das Büro - als zentraler Arbeitsplatz der Wissensgesellschaft - wächst über seine Grenzen hinaus. Damit ergeben sich auch vollkommen neue Anforderungen an die Gestaltung der Arbeitsprozesse, der Bürogebäude und der Technik. Auch wenn sich Begriffe wie Denk-Zelle, Touch-down-Arbeitsplatz, Just-in-Time-Büro, Clean-Desk-Policy fancy anhören - nicht nur wir vom Fraunhofer Institut diskutieren über virtuelle Unternehmen, Telearbeit, Desksharing und hot desking. Diese Arbeitskonzepte werden zunehmend auch realisiert. Dass an ihnen Interesse besteht, zeigt sich auch an unserem Verbundprojekt OFFICE 21 - es wird nicht vom Staat finanziert, die Gelder dafür kommen aus der Industrie. Dort forschen wir im Moment speziell die Themen Kommunikation, medienorientiertes Arbeiten und teamorientierte Projekte.
Tief greifender Wandel.
Während wir forschen, behalten wir
die Entwicklungen der Wirtschaft kritisch im Auge. Vor einigen
Jahren haben ich und meine Kollegen das Szenario "Genius"
entwickelt. Damals war es hochspekulativ - aber einiges hat sich
bereits bewahrheitet. Wie wir vorhergesagt haben, schließen sich
kleine Unternehmen und Organisationen zunehmend zusammen, um sich
gegen große, global agierende Unternehmen durchsetzen zu können -
sowohl projektbezogen als auch über die Staatsgrenzen hinweg. Sie
scannen den Markt, erkennen und besetzen lukrative Nischen. Nicht
auf Dauer, sondern nur, solange die Geschäftsidee trägt. Um
erfolgreich zu sein, versorgen sie sich ständig mit Informationen
und Nachrichten.
Auch der Büroalltag hat sich in den letzten Jahren
drastisch verändert. Ein kleiner Blick zurück: Anfang der 80er
Jahre wurde der PC in deutschen Büros eingeführt. Das war für
alle Mitarbeiter eine enorme Umstellung. Doch im Grunde wurde
lediglich die Schreibmaschine durch ein neues, modernes
Arbeitsgerät ersetzt. Heute stehen wir durch das Internet und
viele andere Faktoren vor einer Veränderung, die wesentlich
tiefgreifender und - laut internationaler Forschungen - nicht
aufzuhalten ist. Eine Studie des MIT geht davon aus, dass bis zum
Jahr 2020 40 bis 60 Prozent aller Beschäftigten als E-Lancer
arbeiten werden, also ohne festen Arbeitsvertrag, weitgehend
selbstständig, für verschiedene Arbeitgeber. Ihr Kapital ist ihre
Kreativität. Für Deutschland gibt es ähnliche Prognosen.
Auch für Unternehmen wird einer der zentralen
Wettbewerbsvorteile die Innovationsdynamik sein. Dafür brauchen
sie kreative, dialogbereite Menschen. Denn die klassische
Sachbearbeitung ist ganz klar auf dem Rückzug. Doch Kreativität
benötigt ein kreativitätsförderndes Arbeitsumfeld. Deswegen
existieren auf unserem "Planeten Genius" auch Entspannungszonen,
in denen sich die Kreativarbeiter erholen können.
Unternehmen wissen zwar, dass Schulungen alleine nicht
reichen, um die Menschen auf diese Zukunft vorzubereiten. Doch
nach wie vor wird zu wenig getan. Und nur selten werden die
notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt. Neue Bürokonzepte
kosten Geld. Doch sie sind notwendig, um die Bedürfnisse der
Menschen nach einem "warmen" Arbeitsplatz zu befriedigen.
"Warme" Arbeitsplätze.
In Zukunft wird allerdings nicht
mehr jeder einen eigenen Büroplatz haben. Immer mehr Menschen
verbringen ihre Arbeitszeit nicht mehr im Büro, sondern
beispielsweise beim Kunden. Oft liegt die tatsächliche Nutzung
des "eigenen" Büroplatzes nur noch bei fünf bis zehn Prozent
seiner Verfügbarkeit, oder 30 bis 50 Prozent der tariflichen
Arbeitszeit. Deswegen ist der Schritt in Richtung
"Nonterritoriales Büro" - also weg vom eigenen Büro, hin zu
individuell buchbaren Räumen - durchaus richtig. Doch neben dem
eigentlichen Büroraum mit einer begrenzen Anzahl an
Arbeitstischen, Rollcontainern und technischen Ressourcen, die
sich die Mitarbeiter teilen, muss es Denker-Kojen,
Business-Lounges, Besprechungszonen, Telekommunikationsstationen,
Repräsentationsflächen und Rekreationsflächen geben. Denn
Kreativität benötigt ein kreativitätsförderndes Arbeitsumfeld.
Deswegen existieren auf unserem "Planeten Genius" auch
Entspannungszonen, in denen sich die Kreativarbeiter erholen
können.
Unser Office 21 in Stuttgart enthält unter anderem eine
Rückzugszone, einen kokonartigen Raum, der durch visuelle,
akustische und olfaktorische Reize das verknüpfende Denken
stimulieren soll. Das funktioniert auch. Doch Unternehmen müssen
wissen: Über allen Investitionen, so sinnvoll sie auch sein
mögen, steht die Unternehmenskultur. Und die kann man nicht
kaufen, man muss sie sich hart erarbeiten. Unternehmen, die in
die Zukunft starten wollen, müssen den Willen zum Wandel
strategisch verankern. Es reicht nicht, auf einer
Mitarbeiterversammlung zu sagen: "Liebe Leute, wir haben jetzt
schallschluckende Stoffelemente, Metallvorhänge und flexible
Trennwände - also lasst uns beginnen." Vielleicht sind die
Mitarbeiter erst einmal begeistert, doch diese Anfangseuphorie
flacht in der Regel schnell ab - spätestens, wenn sich nichts
ändert und die Routine alle wieder gefangen nimmt.
Die Unternehmenskultur muss stimmen.
Jeder einzelne Manager muss dem
Prozess zustimmen, die Ziele kennen, verfolgen und durchsetzen.
Außerdem müssen alle Mitarbeiter in den Prozess der Veränderung
aktiv mit eingebunden werden. Von Anfang an. Sie müssen
mitentwickelt, qualifiziert und gecoacht werden. Natürlich müssen
Mitarbeiter sich weiterhin viele Dinge selbst beibringen. Doch
die Treiber in einem Unternehmen dürfen den normalen Mitarbeitern
nicht davonlaufen. Sie müssen Anschluss halten, sonst zieht sich
die Masse in die innere Kündigung zurück - und ist für den
Change-Prozess verloren. Denn: Menschen kann man nur bedingt
motivieren. Deshalb ist es wichtig, die Mitarbeiter auf die Reise
in die Zukunft nicht nur mitzunehmen, sondern ihnen auch die
Möglichkeit zu geben, den Fahrplan mitzugestalten und mit zu
entscheiden, in welcher Geschwindigkeit welches Ziel erreicht
werden soll. Diese Art der partizipativen Arbeitsgestaltung
stellt hohe Ansprüche an die Sensibilität und Professionalität
der Projektverantwortlichen und ist kein Job nebenher!
Aber auch die Mitarbeiter selbst werden einige
Voraussetzungen mitbringen müssen. Vor allem müssen sie offen
sein für Neues. Und sich vor Augen halten: Wie wir in den letzten
50 bis 100 Jahren gelebt und gearbeitet haben, ist nicht
gottgegeben. Es ist ein Modell, das wir uns im Zuge der
Industrialisierung angeeignet und ausgesucht haben. Und: Es ist
ein Modell, mit dem viele Menschen unzufrieden sind. Stichwort:
Work-Life-Balance. Die wenigsten sehen sich in der Lage, Beruf
und Privatleben zu verbinden. Deswegen sollten wir der pluralen
Arbeitsgesellschaft nicht nur kritisch begegnen. Bislang gab es
nur eine Regelarbeit, ein Normalarbeitsverhältnis. Wer sich
diesem Schema nicht gebeugt hat, hatte es in unserer Gesellschaft
sehr schwer. Jetzt haben wir die Chance, unser (Arbeits-)Leben
neu auszudifferenzieren und aktiver zu gestalten. Dass das nicht
von heute auf morgen geht, ist klar. Die 9-to-5-Denke steckt uns
tief in den Knochen. 20 bis 25 Jahre werden wir brauchen, bis die
neue Art zu arbeiten auf breiter Basis steht. Das heißt aber
nicht, dass wir uns noch ein Jahrzehnt lang zurücklehnen können.
Gewinner sind diejenigen, die den Weg von Anfang an
beschreiten.
Kommunikation und Innovation - zwei Seiten einer Medaille.
Die Unternehmen der IT- und
Kommunikations-(TIME)-Branche sind sicherlich Vorreiter all
dieser Prozesse. Doch auch die ersten Banken, Versicherungen und
sogar Anwaltskanzleien ziehen nach. Dass die TIME-Unternehmen
weiter sind, liegt einfach daran, dass sie sehr viel früher damit
begonnen haben, ihre Geschäftsprozesse zu digitalisieren - und
auf Papier so weit wie möglich zu verzichten. Wer viele Laufmeter
Akten im direkten Zugriff benötigt, kann nur mit großen
Einschränkungen in einem Shared-Desk-Büro arbeiten.
Wir müssen aber nicht nur unsere Geschäftsprozesse
digitalisieren. Auch die Kommunikation spielt eine wichtige
Rolle. Nicht umsonst stehen Länder, in denen die Deregulierung
der Telekommunikationsmärkte sehr zügig voranschreitet, in puncto
"flexible Gestaltung von Arbeit" an der Spitze. Allen voran
Finnland und die Niederlande. Die moderne Dienstleistungs- und
Wissensgesellschaft basiert geradezu auf der Vernetzung und damit
der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine, aber vor allem
zwischen Mensch und Mensch. Deswegen ist die professionelle und
zielgerichtete Kommunikation ein Schlüssel zum Erfolg. Auch wenn
sich nach wie vor manche quer stellen: Technologien wie UMTS,
Wireless-LAN und Bluetooth gehören im Moment zu den
Schlüsseltechnologien. Ohne sie können wir moderne Arbeitsformen
nur bedingt entwickeln. Dass flexible Arbeitsformen und
Innovation miteinander zu tun haben, sieht man allein an den
Innovationskennzahlen - Finnland und die Niederlande liegen weit
vorne.
Diese Beispiele machen Mut. Was wir brauchen, ist eine
Kultur, die Neuerungen gegenüber aufgeschlossen ist und eine
umfassende, offene Kommunikation zwischen den Menschen nicht nur
zulässt, sondern begrüßt. Das gilt für die Gesellschaft genauso
wie für Unternehmen.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Wilhelm Bauer leitet das Competence Center New Work am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Er und seine Kollegen forschen zu Fragen wie: Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Wie muss ein Büro aussehen, um optimale Produktivität zu erzielen?
www.nw.iao.fhg.de
www.office21.de
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
© changeX Partnerforum [23.01.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 23.01.2004. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.