Von Genies und Sonderlingen
Schumpeters Reithosen - das neue Buch von Paul Strathern.
Wirtschaftstheorie gilt als dröge und zahlenlastig. Umso erstaunlicher, wie es Paul Strathern gelungen ist, die Geschichte der wichtigsten ökonomischen Theorien nicht nur akribisch, sondern auch augenzwinkernd freizulegen, sie - zu kleinen Schmuckstücken aufpoliert - in unterhaltsame, anekdotengespickte Kapitel zu packen.
Vom Sterberegister zur Statistik.
John Graunt hingegen verbrachte
seine Zeit lieber damit, Angaben aus den Sterberegistern seiner
Heimatstadt London abzuschreiben. Ursprünglich wollte der 1620
geborene Tuchhändler über Größe, Alter und Zusammensetzung seiner
Kundschaft Aufschluss gewinnen, war allerdings bald davon
fasziniert, die zusammengetragenen Fakten theoretisch zu
ergründen und zu interpretieren. Damit wurde Graunt zum Vater der
Statistik, die heute als wichtigstes Hilfsmittel der
Wirtschaftswissenschaften gilt. Seine Methode veränderte die
Wahrscheinlichkeitstheorie; sein 1662 erschienenes Werk
Natürliche und politische Anmerckungen über die Todten-Zettel
der Stadt London (Leipzig 1702) wird allgemein als die
Grundlage der Demografie, der statistischen Beschreibung der
Bevölkerungsentwicklung, gesehen.
Wer gedacht hat, dass zumindest die meisten berühmten
Ökonomen seriöse Zeitgenossen gewesen sind, der wird bei der
Lektüre so manches Mal die Augenbrauen hochziehen. Zum Beispiel,
wenn Strathern über John Law berichtet, einen phänomenal
erfolgreichen Schotten, der im Jahr 1720 als der reichste Mann
der Welt galt. Er fristete sein Dasein nicht nur als
Berufsspieler und Schürzenjäger, sondern war zudem ein geflohener
Mörder. Ihm gelang es nichtsdestotrotz zum Vertrauten und
Finanzberater des französischen Regenten Philippe, Herzog von
Orléans, aufzusteigen. Im 18. Jahrhundert hielt das autokratische
Frankreich noch immer an einer zentralistischen, größtenteils
bäuerlichen Wirtschaft fest und benötigte dringend neue Ideen im
Finanzbereich. Und so gründete Law im Mai 1716 die erste Bank
Frankreichs, die Banque Royale, drei Jahre später besaß er die
Kontrolle über die gesamten Staatsfinanzen, womit er die
Geschicke des ganzen Landes in seiner Hand hatte. Ihm gelang in
diesen schwierigen Zeiten die Geldschöpfung aus dem Nichts,
nämlich die Einführung des Papiergeldes. Zugegeben, ein großes
Experiment, denn schließlich nahm die Empörung über die
Entwertung des Geldes erschreckende Ausmaße an und die Situation
eskalierte in Form einer enormen Währungskrise und gestürmten
Banken völlig. Law flüchtete vor den aufgebrachten Franzosen nach
England, wo er als "Schotte, der Frankreich bankrott gemacht hat"
nicht nur bestaunt und gefeiert, sondern natürlich auch begnadigt
wurde.
Genies, Moralisten, Exzentriker.
Das alles sind nette Geschichten
mit ihrem eigenen Reiz. Was aber Paul Strathern damit
transportiert, ist viel mehr: Er zeigt vor allem, dass sich die
Idee der Wirtschaftswissenschaft in großem Maße durch viele
einzelne Akteure weiterentwickelt hat und auf diesem Wege auch
immer weiterentwickeln wird. Darunter sind natürlich einerseits
große Denker zu finden, andererseits aber auch eigensinnige
Genies, Moralisten, Exzentriker und widersprüchliche Scharlatane.
Auf teils verworrenen und wild verzweigten Pfaden werden Visionen
und Utopien entworfen und wieder verworfen oder ganz neue,
fortschrittliche Wege entdeckt. Und nur so scheint es
voranzugehen.
Kleine Macken verzeiht man da gerne. Wussten Sie zum
Beispiel, dass Adam Smith, der Gründervater der klassischen
Ökonomie und ein Mann, der die komplizierte Funktionsweise des
internationalen Handelns minutiös durchschaute, außerstande war,
die allereinfachsten Abläufe im Griff zu behalten? Sogar sein
Pferd wäre verhungert, wenn sich nicht ein Freund erbarmt und
Futter besorgt hätte. Auch die Geschichte von Joseph Schumpeter,
der als erster Analytiker unterschiedlicher Konjunkturzyklen
bekannt wurde, erhält eine andere Dimension, wenn zu lesen ist,
dass der brillanteste Wirtschaftstheoretiker seiner Zeit bei der
Umsetzung seiner theoretischen Ansätze nicht nur als
österreichischer Finanzminister, sondern auch als Präsident einer
Wiener Privatbank kläglich scheiterte. Und so konzentrierte sich
Schumpeter dann doch lieber auf seine Vorlesungen, die der
Pferdenarr - ob in Graz, Bonn oder Harvard - übrigens stets im
Reiterkostüm hielt.
Strathern präsentiert jedoch nicht nur Männer, die später
berühmt geworden sind, sondern präsentiert auch eigenwillige
Ideen, die sowohl durch Originalität als auch durch Praxisferne
auffielen.
Gelungener Rundflug.
Viel Zeit bleibt nicht für all die illustren Namen, aber ihren Platz finden sie alle: ob Marx und Engels, John Maynard Keynes, George C. Marshall oder der düstere John von Neumann mit seiner Spieltheorie. Was am lebhaftesten in Erinnerung bleibt, sind all die schillernden Querdenker, die eingeschliffenes Gedankengut gegen den Strich bürsten und klassische Traditionen fantasievoll hinterfragen. Ein optimales Geschenkbuch für Manager, die ihr Wissen aufpolieren und sich dabei nicht langweilen wollen!
Paul Strathern:
Schumpeters Reithosen.
Die genialsten Wirtschaftstheorien und ihre verrückten
Erfinder,
Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2003,
330 Seiten, 24.90 Euro,
ISBN 3-593-37293-2
www.campus.de
Petra Günzel ist freie Mitarbeiterin von changeX.
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Zum Buch
Paul Strathern: Schumpeters Reithosen.. Die genialsten Wirtschaftstheorien und ihre verrückten Erfinder.. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1900, 330 Seiten, ISBN 3-593-37293-2
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