Wir sind reicher, als wir denken!
Andrea Tichy, Autorin von Happy Money, über immaterielles Vermögen.
Geld, Geld, Geld. Kein anderes Thema dominiert die politischen und privaten Auseinandersetzungen zur Zeit so stark. Dabei vergessen viele völlig, dass es eine ganze Reihe von immateriellen Aktivposten gibt, die sich manchmal sogar in Euro und Cent ausdrücken lassen und für den persönlichen Wohlstand eine wichtige Rolle spielen.
Rentenlücke, Rekorddefizit,
Reformen des Sozialstaats - schon lange nicht mehr hat das Thema
Geld die Menschen hierzulande so sehr beunruhigt wie in den
Jahren des neuen Jahrtausends. Angesichts der um sich greifenden
Ängste lohnt es sich, einmal eine Bilanz aufzustellen, in die
nicht nur materielle Vermögenswerte mit einfließen.
Was ihr Geldvermögen anbelangt, sind die Deutschen ohnehin
Spitze. Während die Amerikaner beispielsweise weit über ihre
Verhältnisse konsumieren, sparen die Deutschen so konsequent wie
kaum eine andere Nation: Rein rechnerisch verfügt jeder Haushalt
in Deutschland über ein Geldvermögen von 32.600 Euro. Dazu kommen
Wohnungen oder Häuser, Autos und Computer. Wenn der
Durchschnittsdeutsche in den Ruhestand geht, hat er so viel
angehäuft, dass er allein davon locker zehn Jahre leben könnte -
ohne die Rente. "Das deutsche Spar-Rätsel" nennt der Mannheimer
Wirtschaftsprofessor Axel Börsch-Supan dieses Verhalten, in
Dagobert-Manier sein Geld eisern zusammenzuhalten.
Millionär in Sachen Arbeitskraft.
Doch der weitaus bedeutendste
Vermögensposten der Deutschen ist nicht Geld, sind nicht
Wohnungen oder Häuser, sondern ein immaterieller Vermögenswert:
ihre Arbeitskraft. Zu D-Mark-Zeiten konnte man jeden
Durchschnittshaushalt in Sachen Arbeitskraft getrost zu den
Vermögensmillionären zählen. Jeder Deutsche ein Millionär? Diese
überraschende These lässt sich durch folgendes Rechenexempel
belegen:
Den Wert der eigenen Arbeitskraft kann man sich vor Augen
führen, wenn man ausrechnet, wie viel Kapital man einsetzen
müsste, um eine Verzinsung zu bekommen, die dem
Jahresbruttogehalt entspricht. Im Schnitt verdient jeder Haushalt
in Deutschland durch Arbeit 2.013 Euro im Monat, das macht im
Jahr knapp 25.000 Euro. Angenommen, diese 25.000 Euro wären
Zinsen, so ergäbe dies bei einem Zinssatz von fünf Prozent einen
Kapitalstock von 500.000 Euro. In Worten: Jeder deutsche Haushalt
bräuchte ein Kapital von 500.000 Euro, um das zu verdienen, was
er mit seiner Arbeitskraft erwirtschaftet. Umgerechnet in D-Mark
ergibt das nahezu eine Million.
Nun muss man natürlich an dieser Stelle berechtigterweise
die Frage stellen: Was ist mit den 4,2 Millionen Arbeitslosen in
Deutschland, die in Sachen Arbeitskraft prinzipiell zwar
vermögend sind, ihr Wissen und Können mangels Nachfrage derzeit
aber nicht entsprechend vermarkten können?
Ausbildung als bestes Kapitel.
Auch für diese Menschen ist es ein überraschendes Rechenexempel, sich den Wert ihres Könnens vor Augen zu halten. Denn auch wenn vorübergehend die Nachfrage fehlt, dann bleibt unbenommen, dass Arbeitslose über einen immateriellen Kapitalstock verfügen, der sich im Laufe ihrer Ausbildungszeit aufgebaut hat. Hierzulande hält es jeder für völlig normal, eine qualifizierte Ausbildung bekommen zu können. Wie viel dies wert ist, wird einem erst dann bewusst, wenn man sich vor Augen hält, wie viel Geld die Bundesländer, die für die Ausbildung ihrer Bürger verantwortlich sind, darin investieren. So zahlen die Länder pro Schüler:
- für ein Jahr Grundschule 3.600 Euro,
- für ein Jahr Realschule 4.300 Euro,
- für ein Jahr Gymnasium 5.300 Euro
- und ein Studium kostet zwischen 9.495 Euro (Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) und 183.755 Euro (Humanmedizin).
Nehmen wir einmal den Fall eines
Betriebswirtes: Bis zum Ende seines Studiums hat der Staat
mindestens 70.690 Euro in seine Ausbildung investiert. Dazu
kommt, dass heutzutage eine Ausbildung alleine nicht mehr
ausreicht, um in der Berufswelt bestehen zu können. Im Laufe
eines 40-jährigen Arbeitslebens kommt also in vielen Fällen zur
eigentlichen Berufsausbildung noch eine ganze Menge an Kursen und
Weiterbildungsmaßnahmen dazu.
Nur die wenigsten Menschen sind sich des Wertes ihres
Know-hows bewusst, die meisten behandeln diesen wichtigen
Vermögenswert oft schlechter als ihr Auto: Häufig ist der
fahrbare Untersatz besser versichert als das Risiko, den eigenen
Beruf nicht mehr ausüben zu können.
40 Jahre Leben gewonnen.
Eng mit der Arbeitskraft
verflochten ist der immaterielle Vermögenswert der Gesundheit.
"Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles
nichts", formulierte bereits der Philosoph Schopenhauer. Wie wahr
dieser Spruch ist, wird uns dann richtig klar, wenn die ersten
Zipperlein unser Lebensgefühl zu trüben beginnen. Nach
Befragungen des Meinungsforschungsinstituts Allensbach ist die
Gesundheit seit einiger Zeit sogar zum höchsten Wert der
Bundesbürger geworden - noch vor Sicherheit oder intakter Natur.
"Niemals zuvor in der Menschheit hatte Gesundheit einen so hohen
Stellenwert wie heute", schreibt denn auch der Zukunftsforscher
Matthias Horx in seiner Studie
Future Health. "Während Gesundheit früher für die Menschen
den (temporären) Sieg über Siechtum, Schmerz und Leid bedeutete,
wird sie in der modernen Gesellschaft zur Metapher für eine neue
Definition von Lebensqualität", so Horx.
Welchen Wert unser Gesundheitssystem für uns darstellt,
lässt sich erahnen, wenn man sich einmal die dramatische
Steigerung der Lebenserwartung vor Augen hält. Während im 19.
Jahrhundert die Lebenserwartung nur 40 Jahre betrug - vor allem
aufgrund der hohen Kindersterblichkeit und tödlichen
Infektionskrankheiten - hat sie sich in den vergangenen 200
Jahren verdoppelt. Dem Durchschnittsdeutschen bleiben nun 40
Jahre mehr Zeit, um seine Talente und Fähigkeiten zu nutzen. Dass
eine derart hohe Lebenserwartung auch Anfang des 3. Jahrtausends
nicht selbstverständlich ist, zeigt der Blick auf die
Entwicklungsländer: In Indien beträgt die Lebenserwartung derzeit
nur 62 Jahre, Schlusslicht bildet der ostafrikanische Staat
Malawi mit 39 Jahren.
Unbegrenzte Bewegungsfreiheit.
Sie setzen sich in Ihr Auto und
können in vier Stunden von Frankfurt nach München fahren - sofern
Sie nicht gerade zur Hauptreisezeit unterwegs sind. Oder Sie
surfen nach Herzenslust durchs weltweite Netz auf der Suche nach
Angeboten und Informationen, die Sie und Ihr Leben bereichern.
Sie können es wagen, auch nachts aus dem Haus zu gehen, ohne in
permanenter Angst leben zu müssen, sofort überfallen zu werden.
All dies sind Möglichkeiten, die Sie in Deutschland ohne Problem
nutzen können. Vermutlich sind Ihnen diese Gegebenheiten
mittlerweile so selbstverständlich geworden, dass Sie gar nicht
darüber nachdenken, welchen Wert sie haben.
In anderen Ländern gibt es diese Möglichkeiten oft nicht.
In Indien beispielsweise existiert kein Autobahn-Netz und darum
dauert eine Reise von 100 Kilometern auch gute vier Stunden -
viermal so lang, als Sie in Deutschland dafür bräuchten. In China
ist das Internet einer strengen Zensur unterworfen - dort besteht
keine Chance, sich ungefilterte Informationen aus dem Ausland zu
besorgen. Im kenianischen Mombasa ist die Kriminalitätsrate so
hoch, dass Weiße nachts nicht vor die Tür gehen sollten. Moderne
Infrastruktur, Sicherheit und Informationsfreiheit sind nur
einige der Güter, die westliche Demokratien für ihre Bürger
produzieren. Wenn wir auch oft mit unserer Regierung unzufrieden
sind und uns alles noch viel perfekter wünschen - unser
immaterielles Vermögen ist beachtlich.
Andrea Tichy ist Volkswirtin und Journalistin.
Andrea Tichy / Gerd Leidig:
Happy Money.
Den entspannten Umgang mit Geld entdecken,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2003,
216 Seiten, 17.90 Euro,
ISBN 3-593-37322-X
www.campus.de
© changeX Partnerforum [28.10.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 28.10.2003. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
Campus Verlag
Weitere Artikel dieses Partners
Mit harten Bandagen. Die Autobiografie - das neue Buch von Carly Fiorina. zur Rezension
Der Unternehmer als Chef, Manager, Privatperson - das neue Buch von Peter May. zur Rezension
Der gewinnorientierte Manager - das neue Buch von Hermann Simon, Frank F. Bilstein und Frank Luby. zur Rezension
Zum Buch
Andrea Tichy, Gerd Leidig: Happy Money. . Den entspannten Umgang mit Geld entdecken. . Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 216 Seiten, ISBN 3-593-37322-X
Buch bestellen bei
Osiander
genialokal
Amazon