Friedenssucher zwischen den Fronten
Geduldig setzt sich eine Gruppe von Mönchen für den Frieden in Nahost ein.
Jerusalem, die gespaltene Stadt: Israelische Juden und palästinensische Muslime stehen sich als Todfeinde gegenüber. Zwischen ihnen harrt ein Häuflein deutscher Benediktiner aus, auf der Suche nach Gott - und praktischen Konfliktlösungen.
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Daoud fragt: "Wieso braucht man für diesen Weg eine Erlaubnis?"
"Weil das nicht euer Land ist. Maybe one day. Aber so weit sind wir noch lange nicht", erklärt der junge Soldat hämisch. "This land is still mine."
Nur weil Bruder Thomas flugs gegen das achte Gebot verstößt und ein unverdächtiges Reiseziel erfindet, dürfen alle passieren. Der Allmächtige wird ein Auge zudrücken.
Der vierte Mann im Wagen, Abt Benedikt Lindemann, bleibt auffällig ruhig. Er strahlt den israelischen Soldaten sogar an: "Shalom", Friede. Für die Mitfahrer ist seine Freundlichkeit fast eine Provokation: Da erklärt sich ein 19-Jähriger mittels Maschinengewehr zum Besitzer Palästinas, und der Abt lächelt nur - wie soll man da folgen?
"Spürt ihr denn nicht, wie der unter Stress steht, wie verunsichert der ist? Das ist ein ganz armes Würstchen." Der Abt wirbt für seine psychiatrische Sicht der Lage: Israel, die hysterische Gesellschaft. Ein Land ist permanent außer sich. Hin und her gerissen zwischen Verfolgungswahn und der Illusion, mit einer gigantischen Militärmaschinerie Sicherheit erzwingen zu können. Mit all den Zäunen, Checkpoints, Betonmauern, Absperrungen. Sie machen Grenz-Erfahrungen für die Mönche zum Alltag.
Kampf der Kulturen - und die Benediktiner mittendrin.
"Suche den Frieden und jage ihm
nach", hatte der heilige Benedikt seinen Nachfolgern ins
Regelbuch geschrieben. In Israel suchen und jagen seine Jünger
unter Härtebedingungen. Das Kloster Hagia Maria Sion, in dem Abt
Benedikt und seine 16 Brüder zu Gottes Lob und Preis leben, steht
direkt an der Jerusalemer Stadtmauer, ein Häuflein deutscher
Christen auf der Demarkationslinie zwischen den Juden im Westen
und den Muslimen im Osten. Hier prallen Palästina und Israel
aufeinander wie tektonische Platten, reiben sich, bauen
Spannungen auf, die sich immer wieder in gewaltigen Beben
entladen.
Seit Oktober 2000 kracht es erneut. Als Reaktion auf eine
kalkulierte Provokation des israelischen Premiers Ariel Sharon,
der mit großem Gefolge zum Heiligtum der Muslime, zur Al-Aqsa
Moschee marschierte, brach die zweite Intifada aus, der Aufstand
der Palästinenser, brutal gekontert vom israelischen Militär.
Clash of Civilizations, und mittendrin die Benediktiner.
Dabei wollen sie nichts anderes als beten und arbeiten, "ora et
labora" zur Ehre Gottes und für eigene Seelenruhe, seit hundert
Jahren schon harren sie auf dem Berg Sion aus. Aber wie finden
sie inneren Frieden, während draußen Selbstmordattentäter und
Armeebulldozer Angst und Schrecken verbreiten? Wie geht das,
Kontemplation trotz Krieg? Fromme Versenkung in Zeiten der
Eskalation?
Ganz irdische Lösungen.
"Gerade jetzt", sagt der Abt
bestimmt, "Mönchtum war immer schon ein gelebter Gegenentwurf.
Der Zölibat, sechsmal am Tag in die Kirche rennen, komische
Kutten. Und in Krisenzeiten wie diesen ist ein Leben im Gebet
erst recht eine wertvolle Alternative." Vor sieben Jahren haben
die Mönche ihn gewählt, im Alter von 37 und damit jünger als die
meisten von ihnen. Seinem Charisma sind sie erlegen. Wegen der
imponierend hohen Gestalt? Der hypnotisierenden Gestik seiner
Hände? Der strahlenden Präsenz, mit der er sich jedem voll und
ganz zuwendet, mit dem er spricht? Sie können sein Charisma
spüren, erklären können sie es nicht.
Sechsmal am Tag folgen sie ihm zum Chorgebet in die
prächtige Basilika aus sandfarbenem Naturstein. Die Vigil am
frühen Morgen, später Laudes, Eucharistiefeier, Mittagshore,
Vesper und am späten Abend die Komplet. "Beten ist unser Weg,
spirituelle Kraft zu gewinnen", sagt der Abt. Dabei belassen sie
es aber nicht. Geistlich derart gestärkt, engagieren sich die
Benediktiner auch ganz irdisch für Lösungen in dem blutigen
Konflikt, den ihre Nachbarn zur Rechten und zur Linken
miteinander austragen. Sie laden jeden Sommer behinderte Kinder
ein, auf einem Klostergelände am See Genezareth ihre Ferien zu
verbringen; dort baden sie in salzhaltigen Thermalquellen und
Pools, und zwar - dieser Tage eine kleine Sensation - Israelis
und Palästinenser einträchtig gemischt. Das warme Wasser bricht
den Streit.
Regelmäßig sammeln die Brüder Lebensmittel, Kleidung und
Medikamente und verteilen sie in den besetzten Gebieten, in
Dörfern, die durch die ständigen Grenzschließungen von der
Versorgung mit dem Nötigsten abgeschnitten werden. Und sie
unterstützen friedensbereite Aktivisten auf beiden Seiten nicht
nur mit geistlichem Zuspruch, sondern auch mit Bargeld.
Gegenseitiges Kennenlernen - und ein guter Rechtsanwalt
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Endlich liegt das Areal der Gebrüder Nassar vor ihnen. 40 Hektar, bestanden mit Weinstöcken und Feigen-, Mandel- und Olivenbäumen. Mit Hilfe der Benediktiner soll hier ein Camp entstehen, in dem sich Jugendliche aus Deutschland und Österreich mit jungen Palästinensern treffen und deren Lebensumstände kennen lernen können. Schatten und Wasser sind vorhanden, erste Unterkünfte in Bau. Eines Tages sitzen vielleicht auch junge Israelis und Araber gemeinsam ums Lagerfeuer - Inshallah, so Gott will.
Mit dem Camp erfinden die Nassars nicht nur eine neue Form, ihr Land Früchte tragen zu lassen. Es ist auch ein Akt der Selbstverteidigung. Ihr Weinberg wird förmlich umzingelt von jüdischen Siedlern. Auf den Hügeln ringsumher haben Israelis fünf Dörfer errichtet, wehrhafte und komfortable Trutzburgen, deren Bewohner schwer bewaffnet sind. Die Palästinenser fürchten den Landhunger der illegalen Siedler. Daoud zeigt dem Abt die Spuren ihres jüngsten Versuchs, sich das Eigentum der Nassars einzuverleiben: Durch die schwere Erde zieht sich eine planierte Schneise. "Die Methode ist immer die gleiche: Wenn keiner gegen den Weg protestiert, stehen ruck, zuck links und rechts die Wohncontainer, ein Wasserturm, ein hoher Zaun, und dann bist du dein Land endgültig los." Das Vorrücken der Siedler, die sich - gegen geltendes Völkerrecht - palästinensische Grundstücke aneignen, erinnert an die Strategie von Ameisen in den Tropen: Kaum lässt man ein paar Krümel Essbares achtlos liegen, zieht sich eine wimmelnde Straße quer durch die Küche, und man wird sie nicht mehr los. Bisher konnte die feindliche Übernahme des Nassar-Weinbergs verhindert werden, nicht zuletzt, weil auch Ausländer ein wachsames Auge darauf richten. Was können die Benediktiner tun? "Da hilft kein Beten, sondern ein guter Rechtsanwalt", sagt der Abt. Das Kloster übernimmt die Kosten.
Alle fühlen sich als Opfer.
Abt Benedikt zieht sich die Kapuze
seines Habits über den Kopf. Mit wehender Tunika stemmt er sich
gegen den auffrischenden Novemberwind. Wo früher eine
Asphaltstraße zum Weinberg führte, muss er jetzt zu Fuß Erdwälle
und Gräben überwinden. Die Israelis haben die Straße aufgerissen,
sie wollen nicht, dass so nahe an der Siedlung Autos fahren -
"wegen der Sicherheit", mehr Begründung wäre Wortverschwendung.
Überkommt den Abt da nicht manchmal der Zorn des Gerechten?
"Sicher flackert der manchmal auf. Aber grundsätzlich hüte ich
mich davor, einseitig Partei zu ergreifen. Dieser Konflikt ist
unglaublich verworren. Mitgefühl dagegen ist eine einfache Sache:
Es gilt immer den Opfern, und die gibt es auf beiden Seiten."
Er sieht Israelis und Palästinenser auf fatale Weise
miteinander verstrickt, "verbunden durch ein untrennbares Band
von Bedrohungsgefühlen". Die Angst geht um. Diskobesucher
fürchten das nächste Selbstmordkommando; palästinensische
Flüchtlinge fürchten israelische Helikopter und Heckenschützen;
jüdische Kinder haben Alpträume vom Holocaust, dessen Schrecken
ihnen auch deshalb lebendig gehalten werden, um den jetzigen
Krieg zum "Kampf gegen die zweite Vernichtung" stilisieren zu
können. Alle fühlen sich als Opfer, keiner als Täter.
"So viele traumatisierte Seelen", sagt der Abt, "wir
versuchen, dort zu sein, wo es Menschen schlecht geht."
Hoffnung statt Demütigung.
Er verhehlt nicht, dass er momentan
die größte Not bei den Palästinensern sieht. "Die wurden erst aus
ihren Dörfern und Städten vertrieben, und jetzt nimmt man ihnen
die Würde. Die Demütigung ist dauerhaft geworden." Wie könne man
von einem Volk friedliches Verhalten erwarten, "das so viel
verloren und nichts zu gewinnen hat"? Frieden sei nun mal keine
abstrakte Idee, sondern auch Kalkül. Nur wenn sich beide Seiten
davon ein besseres Leben erhofften, brächen sie mit der Gewalt.
Chancen, Perspektiven, Zukunft. Für die meisten
Palästinenser klingen solche Worte merkwürdig fremd. Genauso wie
"Frieden". Die Benediktiner beten, ora, und sie helfen, labora.
In Bethlehem gibt es Al-Nadwa, ein Zentrum, das arabische
Handwerker ausbildet, Journalisten schult, Künstler beim Verkauf
ihrer Werke berät. Die Abtei steuert Rat, Kontakte und Zuschüsse
bei. Mitri Raheb, ein lutherischer Pfarrer, der das Zentrum
leitet, versucht die grassierende Auswanderungswelle in Palästina
zu stoppen: "Unsere besten Köpfe denken im Moment nur noch: Wie
kann ich schnellstens abhauen? Wir müssen beweisen, dass dieses
Land ihnen Lohn und Brot bieten kann, nur so können wir sie
halten." Immerhin wurde Al-Nadwa bereits zum zweitgrößten
Arbeitgeber der Region. Wer Geld verdient, so die Hoffnung,
schmeißt nicht mit Steinen. Oder mit Schlimmerem.
Neutrale, offene Gesprächspartner.
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Die Abtei hat eine Stiftung gegründet, die alle zwei Jahre den Mount Zion Award vergibt. Verdiente Friedensaktivisten beider Seiten werden ausgezeichnet und gefördert. Unter den Preisträgern waren die Professorin Sumaya Farhat-Naser, die ein international renommiertes Zentrum für arabische Frauen leitete, und Yitzhak Frankenthal, der, nachdem sein Sohn von Hamas-Kämpfern erschossen worden war, eine landesweite Vereinigung trauernder Eltern gründete, jüdische und arabische, die gemeinsam mit spektakulären Aktionen für ein Ende des Kriegs demonstrieren.
"Wie lange seid ihr Benediktiner schon in Jerusalem?", hat Frankenthal den Abt einmal gefragt. "Fast 100 Jahre."
"Und was macht ihr so den ganzen Tag?"
"Ora et labora, beten und arbeiten nach der Regel."
"Und - was hat es geholfen?"
Der Abt hatte keine Antwort. Eigentlich eine einfache Frage. Und doch die schwierigste überhaupt: Warum stoppt Gott nicht das Morden, warum erhört er nicht die Gebete? Doch für Mönche, sagt er, gelten andere Gesetze als die von Ergebnis und Effizienz. Die Wirkung von Gebeten lässt sich nicht messen. Für den Abt sind sie aber genauso wichtig wie die sichtbaren Initiativen des Klosters. "Jerusalem gilt drei Weltreligionen als geistliches Zentrum. Hier läuten Glocken, singt der Muezzin, wird an jüdischen Festtagen das Schofar geblasen. Das ist ein guter Ort, um spirituelle Brücken zu bauen." Regelmäßig trifft er sich mit einem jüdischen Gelehrten und einem Mullah. Die drei hocken sich auf den Boden und meditieren gemeinsam. Jeder spricht in seiner Sprache Psalmen, Suren und Verse. Huldigt dem einen Gott, den die Menschen ja nur unterschiedlich bezeichnen. Solche Offenheit für andere Religionen, in der katholischen Kirche immer noch eine Ausnahme, sieht der Abt als geistliche Antwort auf die Notlage des "unheiligen Landes".
Eine Biographie des Friedens.
Diese Souveränität war nicht
geburtsgegeben. Er hat sie sich hart erarbeitet. Ein langer
Prozess der Selbsterfahrung, in dessen Verlauf sich ein gewisser
Gerhard Lindemann aus dem sauerländischen Welschen Ennest in den
Abt von Jerusalem verwandelte. Als Abiturient richtet er sich in
den ortsüblichen Plänen für ein kleines Leben ein - Wehrdienst
leisten, Lehrer werden, Frau heiraten, Haus erben. Doch schon an
der ersten Station bricht die Biographie. Beim Schießen auf
Attrappen mit menschlichen Umrissen gerät er förmlich in einen
Rausch: "Bumm, getroffen, nochmal, mitten rein. Die Knallerei hat
mir richtig Spaß gemacht." Erst nach der Übung dämmert ihm: "Es
geht nicht um Scheiben, es geht um Menschen. Die bringen dir das
Töten bei." Den zweiten Schießbefehl beschließt er zu verweigern.
Er muss vor einer Prüfungskammer erscheinen. Zur
Vorbereitung liest er in der Bibel. "Zum ersten Mal ahnte ich,
dass es in Gott einen tieferen Frieden als den weltlichen gibt."
Nachdem er als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wurde, "wollte
ich richtig beten lernen, wollte mich ganz und gar in Meditation
versenken können". Ein Benediktiner-Kloster schien ihm dafür der
richtige Ort. Der ruhige Rhythmus von beten und arbeiten, die
Balance zwischen Klausur und Weltzugewandheit. Sein Abt
ermöglicht ihm, in Barcelona Tai Chi zu üben, er beschäftigt sich
mit indischen Meditationstechniken. Eine Zeitlang bringt er
ziemlich viele Leute um - in seinen Träumen. "Das waren
regelrechte Massaker, mit Leichenteilen überall." Unter Anleitung
betreibt er neun Jahre lang Traumdeutung. Kindheitsängste
begegnen ihm wieder, elterliche Entmutigung: Das schaffst du
nie!
Psychoanalyse eines Konflikts.
Mit den Komplexen, die er ablegt,
strafft sich seine Gestalt, er wirkt größer, so als sei er, lange
nach der Pubertät, um einen Kopf gewachsen. 1995 wird er von den
Brüdern der Hagia Maria Sion zum Abt gewählt und damit einer der
ganz jungen Würdenträger in Jerusalem.
Seine eigentliche Karriere besteht in der Klarheit, die er
in langen Perioden der Meditation gewonnen hat. Er strahlt Kraft
und Sensibilität gleichzeitig aus, vereinigt Witz und Würde
widerspruchsfrei. Mal ist er der Diener der anderen, der im
Refektorium die Schüsseln und Teller aufträgt, mal ihr Oberhaupt,
das mit dem Papst parliert. Er ist sich einig geworden mit seinem
Gott und der Welt, und vor allem mit sich selbst.
Die psychotherapeutischen Erfahrungen prägen auch seine
Sicht des israelisch-palästinensischen Konflikts. Er analysiert
ihn wie ein Seelenarzt analysiert: "Das Tragische ist, dass da
zwei Migrantenvölker aufeinander treffen, zwei völlig zerrissene
Gesellschaften, die keinen inneren Zusammenhalt besitzen." In
Israel etwa sei die Kluft zwischen Reichen und Armen in den
vergangenen Jahren dramatisch gewachsen, Einwanderer aus dem
Westen grenzten sich von Neubürgern aus Russland oder Äthiopien
ab, orthodoxe und weltliche Juden lägen in Dauerfehde. Kein
Wunder also, "dass die Israelis immer neurotischer reagieren".
Zur Illustration erzählt der Abt die Geschichte vom
gutmütigen Bruder und der Handgranate. Leider wahr, leider nicht
lustig. Einer der Brüder spazierte vor kurzem zur Klagemauer, als
ihn ein uniformierter Offizier ansprach. Ob er Zeit habe und ihm
einen Gefallen tun könne? Der Mönch willigte ein, er war noch
nicht lange im Land, er hilft gern. Der Offizier sagte, er wolle
die Aufmerksamkeit seiner Kollegen testen, mal sehen, ob sie den
Gegenstand aufspürten, den er in der Kapuze dessen Pullovers,
stilistisch irgendwo zwischen Rapper und Mönch, verstecken
wollte. An der Klagemauer herrscht permanent höchste
Sicherheitsstufe. Als der Benediktiner die Sperren passierte,
fing der Metalldetektor an zu piepsen. Sofort umringte ihn ein
Kordon Soldaten, die Maschinengewehre im Anschlag. In letzter
Sekunde trat der Offizier hinzu, klärte den Test auf und zog aus
der Kapuze - eine Handgranate. Erst jetzt merkte der geistliche
Mann, in welcher Gefahr er geschwebt hatte. Er hätte leicht "in
Notwehr" erschossen werden können. Für pathologisch hält der Abt
"eine Gesellschaft, die bereit ist, für ein angeblich höheres Gut
wie Sicherheit Menschenopfer zu bringen".
Sichere Begegnungsorte gegen die allgegenwärtige Angst.
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Ausgerechnet in den Hallen des "unmöglichen Möbelhauses" aus Schweden, in einer Filiale am Stadtrand von Jerusalem, hatte der Abt ein Schlüsselerlebnis. Beim Einkauf von Kiefernregalen fiel ihm auf, "wie anders sich die Leute da drinnen bewegen, wenn sie die Eingangskontrollen hinter sich gelassen haben. Locker und gelöst. Irgendwie mit mehr Lebenslust." Ihm dämmerte, wie sehr die Menschen angstfreie Räume vermissen. Und dass die Abtei solch ein Raum sein kann: Soldaten müssen draußen bleiben, Polizei und Geheimdienst verschonen die deutschen Mönche. Dicke Mauern schützen die Gottsucher.
Der Abt und die Brüder entwickelten das Konzept einer Akademie, die Palästinenser und Israelis zu Begegnungen ins Kloster einlädt. Gespräche als Gegenmittel in einer bleiernen Zeit, in der jeder, der mit Vertretern der anderen Seite spricht, Gefahr läuft, als Verräter denunziert zu werden. Israelische und palästinensische Friedensaktivisten müssen nach Zypern oder Italien ausweichen, um ungestört miteinander zu reden. "Gespräche sind sicher nicht alles", sagt der Abt, "aber ohne sie geht gar nichts voran." Der Bauplatz für die Friedensakademie ist vorhanden, die Sponsorensuche hat begonnen. Und benediktinische Gastfreundschaft, die seit Jahrhunderten gepflegte Tugend, bekommt im Nahen Osten eine neue Bedeutung.
Das Angebot des sicheren Orts ist hochwillkommen. Der Abt trifft sich mit dem 25-jährigen Palästinenser-Funktionär Rami und der 22-jährigen Karen, die den Dienst in der israelischen Armee verweigert hat. Die beiden wollen in einem ersten Gesprächsseminar Aktivisten der Gruppe "Palestine Vision" und junge Israelis zusammenbringen. Der Abt führt die beiden durchs Kloster. Sie inspizieren Klassenräume, Gästeküche und Schlafzimmer, prüfend, mit einer Haltung irgendwo zwischen Seminarleiter und Sicherheitsdienst. Die strategische Lage der Abtei zwischen West- und Ost-Jerusalem beeindruckt sie besonders: "Da kommen wir unbeobachtet rein und wieder raus", sagt Rami. Karen nickt dazu; manchmal müssen Friedensaktivisten militärisch denken.
Treffen. Hinter freundlichen Mauern. An einem sicheren Ort. Bei verlässlichen Gastgebern. Stabilitas loci, die Regel der Standorttreue, bindet die Benediktiner an den Berg Sion. "Wir werden auch in hundert Jahren noch hier sein", sagt der Abt. Er kann es nicht beweisen. Er weiß es einfach.
Michael Gleich ist Wissenschaftspublizist und engagiert sich in der Initiative Peace Counts project für den Frieden.
© changeX Partnerforum [15.07.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Michael GleichMichael Gleich, Publizist, Stroryteller und Redner, hat 2011 "der kongress tanzt. Netzwerk für gute Veranstaltungen" initiiert. Es berät Veranstalter darin, Konferenzen und Foren als lebendige Lernorte zu gestalten.