Learning by Doing - ganz offiziell

Serie Umschulung: Folge 4 - Neue Konzepte fürs Lernen am Arbeitsplatz.

Von Nina Hesse

Das neues Weiterbildungskonzept "APO", das zur Zeit flächendeckend in der IT-Branche eingeführt wird, macht es möglich, berufsbegleitend anerkannte Abschlüsse zu erwerben - durch die Arbeit an realen Projekten.

Während des Booms war es gang und gäbe - man machte das Hobby zum Beruf und wagte den Sprung in einen IT-Job. Warum auch nicht? Personal, das ein Byte von einem Pixel unterscheiden konnte und wusste, dass Java nicht nur eine Insel ist, wurde händeringend gesucht. Quereinsteiger waren willkommen und eigneten sich das, was sie noch nicht wussten, durch Learning by Doing an. Inzwischen setzen die Unternehmen wieder auf Fachleute mit solider IT-Ausbildung oder mit technischem Studium. Und die ehemaligen Quereinsteiger sehen nicht mehr viele Perspektiven: Für einen Ausstieg fehlte ihnen die fundierte Ausbildung, Weiterbildungsmöglichkeiten sind teuer und setzen oft voraus, dass man sich längere Zeit aus dem Job ausklinkt.

Abschluss erwerben am Arbeitsplatz.


Ein neues Fortbildungskonzept, das speziell für Mitarbeiter der IT-Branche entwickelt wurde und zur Zeit erprobt wird, soll dieses Problem lösen helfen. "APO-IT" wird es genannt. APO steht für "arbeitsprozessorientierte Weiterbildung". Denn genau das ist der Kern des neuen Systems: In mehreren Stufen kann man berufsbegleitend Zertifizierungen erwerben, durch die die im Beruf erworbene Kompetenz sozusagen geadelt wird. Dies ist unabhängig davon, welche Vorbildung man mitbringt. "Es war eine hohe Motivation, IT-Quereinsteigern ohne formale Abschlüsse, die es zurzeit beim Jobwechsel schwer haben und beim Gehalt deutliche Nachteile hinnehmen müssen, ihre Kenntnisse mit Brief und Siegel zu bestätigen", erklärt Jörg Caumanns vom Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik (ISST), der als Projektleiter für die Ausgestaltung des neuen Weiterbildungssystems verantwortlich war.
Drei Stufen gibt es: Von der Fachkraft über den "IT-Spezialisten" kann man sich weiterentwickeln zum "operativen Professional", der auch Personal- und Budgetverantwortung übernimmt. Darüber angesiedelt ist der "strategische Professional", der für die Geschäftsführung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen oder die Leitung von Geschäftsbereichen größerer Unternehmen qualifiziert ist.
Aber auch Mitarbeitern mit IT-Ausbildungen eröffnen die neuen Abschlüsse interessante Möglichkeiten. Für sie war Weiterqualifizierung bisher mit einem großen Fragezeichen versehen. Wollten sie hoch hinaus, bedeutete das, ein zeitaufwändiges Studium draufzusatteln. Jetzt haben sie die Chance, beruflich Karriere zu machen und gleichzeitig einen Abschluss zu erwerben, der einem Hochschuldiplom vergleichbar ist. Als geprüfter IT-Ökonom zum Beispiel oder als geprüfter Wirtschaftsinformatiker. Eine sinnvolle Sache, denn gerade im IT-Bereich, wo Wissen mit atemberaubender Geschwindigkeit veraltet, muss man Ernst machen mit dem lebenslangen Lernen. Aus dem gleichen Grund ist das neue Konzept auch für Frauen, die aus der Babypause zurückkehren, gut geeignet: Sie können ihr Wissen auf den neuesten Stand bringen und sich zugleich weiterqualifizieren.

Geregelte Berufsprofile.


Nicht zuletzt ging es bei dem neuen Fortbildungskonzept darum, den Wildwuchs auf dem IT-Bildungsmarkt in den Griff zu bekommen. Wer sich für eine IT-Fortbildung interessierte, sah sich einer Vielzahl von unterschiedlichen Berufsbezeichnungen und Zertifikaten gegenüber. Zudem war die Qualität der Anbieter höchst unterschiedlich. APO-IT macht Schluss mit dem Verwirrspiel: Wirtschaft und Gewerkschaften haben sich auf 29 Spezialistenprofile geeinigt, deren Tätigkeiten, Arbeitsgebiete und Kompetenzen in der Computer- und Telekommunikationsbranche genau definiert sind. Sie sind sechs Gruppen zugeordnet:

  • Techniker/in (Technician)
  • Softwareentwickler/in (Software Developer)
  • Lösungsentwickler/in (Solutions Developer)
  • Entwicklungsbetreuer/in (Coordinator)
  • Produkt- und Kundenbetreuer/in (Advisor)
  • Lösungsbetreuer/in (Administrator)

Damit die einzelnen Berufsprofile nicht veralten, haben sich die Sozialpartner der IT-Wirtschaft verpflichtet, sie jedes Jahr auf ihre Aktualität zu überprüfen.
Der Vorteil der neuen Zertifizierungen: Sie werden in der IT-Branche viel besser anerkannt sein und die Auswahl von neuen Mitarbeitern leichter machen. Denn sie belegen eindeutig und nachvollziehbar, was der Bewerber kann. Dem Personalverantwortlichen bleibt das Rätselraten, welche Kurse sich hinter dem jeweiligen Weiterbildungsabschluss von diesem oder jenem Anbieter verbergen, erspart.

Wie funktioniert es?


APO-IT setzt auf Learning by Doing am Arbeitsplatz statt auf Schulungen und Seminare. "Der Teilnehmer lernt im Unternehmen im Rahmen seiner Anstellung. An konkreten Projekten aus seinem Arbeitsalltag und damit äußerst praxisorientiert", erklärt Ursula Kahra, bei Siemens Business Services, Training and Services, verantwortlich für das Designmanagement von (Re-)Qualifizierungsmaßnahmen. "Das ist absolut sinnvoll, und wir richten unsere Kurse zurzeit darauf aus. Es wird als Reaktion auf APO in Zukunft sicher noch mehr individualisierte Weiterbildungsangebote geben." Auch Caumanns sieht es sehr positiv, dass es um reale Projekte in einem realen Umfeld geht: "Diese Weiterbildungen fördern nicht nur die fachliche, sondern auch die methodische und soziale Kompetenz." Fest vorgegeben ist im neuen Weiterbildungskonzept nur wenig - APO bietet einen weiten Rahmen, in dem man sich bewegen kann. Auch die Dauer der Weiterbildung ist nicht starr festgelegt, da Projekte sehr unterschiedliche Laufzeiten haben. In der Regel aber muss man mit circa neun Monaten rechnen, um ein Zertifikat zu erwerben. Maximal möglich sind zwei Jahre.
Doch eins ist klar: Learning by Doing funktioniert nur bei systematischem Input, ausreichend Zeit und konsequenter Unterstützung wirklich gut. Damit aus den Erfahrungen der Teilnehmer echter "Lernstoff" wird, hat das Fraunhofer ISST für APO-IT die so genannten "Referenzprozesse" entwickelt. Diese schlüsseln den Ablauf von Projekten in Einzelschritten auf, zum Beispiel: Formulieren der Anforderungen, Bewerten der Angebote, Implementierung des Systems, Test der Module, Anpassung des Systems, Schulung der Nutzer ... Damit hat man gleichsam eine Schablone, die man auf ein konkretes Projekt aus dem eigenen Arbeitsalltag legen kann und einem Anhaltspunkte dafür liefert, welche (produkt- und herstellerunabhängigen) Lerninhalte in welchem Vorgang stecken und welche Kompetenzen man mitbringen oder sich aneignen muss. Für Quereinsteiger hat dies den Vorteil, dass sie ihr oft in zusammenhanglosen Häppchen erworbenes Wissen systematisieren, überdenken und gezielt erweitern können.

Vom Lerncoach begleitet.


Während der Weiterbildung erarbeitet sich der Teilnehmer überwiegend sein Wissen selbst. Doch er wird dabei individuell betreut und unterstützt von einem Fachexperten, den das Unternehmen ihm an die Seite stellt. "Der Experte diskutiert mit dem Teilnehmer die Erfahrungen aus dem Projekt. Er hilft ihm, die einzelnen Schritte zu reflektieren und aus der Erfahrung zu lernen", erklärt Caumanns. "Das gilt zum Beispiel für die Frage: Wie bin ich eigentlich zu dieser oder jener Entscheidung gekommen und wie hätte ich es anders machen können?"
Neben diesem Fachberater steht dem Teilnehmer ein zweiter Coach zu, der Lernberater. Das kann beispielsweise ein Personalreferent oder Ausbilder des Unternehmens sein. Aber auch Weiterbildungsspezialisten wie Siemens Business Services werden in Zukunft entsprechende Dienstleistungen anbieten. Ein solcher Lernberater kümmert sich um alle organisatorischen Fragen, die die Ausbildung betreffen, und begleitet den Teilnehmer im Lernprozess. "Das Rollenverständnis von Trainern ändert sich", erklärt Caumanns. "In Zukunft werden Trainer seltener im Seminarraum stehen und Folien auflegen. Sie werden zu Coaches, die nicht mehr viel erklären, sondern den Teilnehmer darin unterstützen, sich das Wissen eigenständig anzueignen."
Eine klassische Prüfung, für die man pauken kann, gibt es für diese Zertifizierungen nicht. Stattdessen weist man seine Kompetenz durch eine Dokumentation des jeweiligen Projekts nach, die man den Prüfern präsentiert. Anhand der Dokumentation erkennen die Prüfer, ob man sich die Kompetenzen des jeweiligen Berufsprofils in der notwendigen Breite und Tiefe erarbeitet hat.

Glücksfall fürs Unternehmen.


Ähnlich verläuft die Fortbildung zum "Professional" - eine Qualifizierung, die einem akademischen Bachelor-Grad entspricht. Auch in diesem Fall wird nicht vorgeschrieben, wie viele Unterrichtsstunden man "absitzen" muss. Vielmehr sollen Umsetzungshilfen Unternehmen darin unterstützen, gemeinsam mit ihren bildungshungrigen Mitarbeitern Zielvereinbarungen zu treffen und Weiterbildungspläne zu entwickeln. Außerdem müssen die Unternehmen entscheiden, welche Formen der Lernbegleitung sie selbst bieten können und wo sie Bildungsträger beauftragen müssen. Gewöhnlich trägt das Unternehmen die Kosten einer APO-Weiterbildung. "Zwar ist die individuelle Betreuung aufwändig, doch dafür erledigt der Mitarbeiter konkrete Aufgaben, die andernfalls liegen bleiben würden", erklärt Kahra. Gerade für kleine Unternehmen mit vielen Quereinsteigern ist ein anerkannter IHK-Abschluss ihrer Mitarbeiter nach den neuen APO-Regeln zudem ein Aushängeschild.
Es wird sich zeigen, wie gut diese Form der Weiterbildung in der IT-Branche funktioniert. Bewährt sich das Modell, könnte es Schule machen. "APO lässt sich mit Sicherheit übertragen - es gibt bereits Überlegungen, in anderen Branchen ein ähnliches System aufzubauen", bestätigt Caumanns. Ein weiterer kleiner Schritt in Richtung "lebenslanges Lernen".

Zur Übersicht aller bisher erschienenen Beiträge der "Serie Umschulung".

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

Kontakt:
ursula.kahra@siemens.com
www.siemens.com/training
www.siemens.de/qp

Allgemeine Informationen zu APO-IT:
www.apo-it.de

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