Learning by Doing - ganz offiziell
Serie Umschulung: Folge 4 - Neue Konzepte fürs Lernen am Arbeitsplatz.
Das neues Weiterbildungskonzept "APO", das zur Zeit flächendeckend in der IT-Branche eingeführt wird, macht es möglich, berufsbegleitend anerkannte Abschlüsse zu erwerben - durch die Arbeit an realen Projekten.
Während des Booms war es gang und gäbe - man machte das Hobby zum Beruf und wagte den Sprung in einen IT-Job. Warum auch nicht? Personal, das ein Byte von einem Pixel unterscheiden konnte und wusste, dass Java nicht nur eine Insel ist, wurde händeringend gesucht. Quereinsteiger waren willkommen und eigneten sich das, was sie noch nicht wussten, durch Learning by Doing an. Inzwischen setzen die Unternehmen wieder auf Fachleute mit solider IT-Ausbildung oder mit technischem Studium. Und die ehemaligen Quereinsteiger sehen nicht mehr viele Perspektiven: Für einen Ausstieg fehlte ihnen die fundierte Ausbildung, Weiterbildungsmöglichkeiten sind teuer und setzen oft voraus, dass man sich längere Zeit aus dem Job ausklinkt.
Abschluss erwerben am Arbeitsplatz.
Ein neues Fortbildungskonzept, das
speziell für Mitarbeiter der IT-Branche entwickelt wurde und zur
Zeit erprobt wird, soll dieses Problem lösen helfen. "APO-IT"
wird es genannt. APO steht für "arbeitsprozessorientierte
Weiterbildung". Denn genau das ist der Kern des neuen Systems: In
mehreren Stufen kann man berufsbegleitend Zertifizierungen
erwerben, durch die die im Beruf erworbene Kompetenz sozusagen
geadelt wird. Dies ist unabhängig davon, welche Vorbildung man
mitbringt. "Es war eine hohe Motivation, IT-Quereinsteigern ohne
formale Abschlüsse, die es zurzeit beim Jobwechsel schwer haben
und beim Gehalt deutliche Nachteile hinnehmen müssen, ihre
Kenntnisse mit Brief und Siegel zu bestätigen", erklärt Jörg
Caumanns vom Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik
(ISST), der als Projektleiter für die Ausgestaltung des neuen
Weiterbildungssystems verantwortlich war.
Drei Stufen gibt es: Von der Fachkraft über den
"IT-Spezialisten" kann man sich weiterentwickeln zum "operativen
Professional", der auch Personal- und Budgetverantwortung
übernimmt. Darüber angesiedelt ist der "strategische
Professional", der für die Geschäftsführung von kleinen und
mittelgroßen Unternehmen oder die Leitung von Geschäftsbereichen
größerer Unternehmen qualifiziert ist.
Aber auch Mitarbeitern mit IT-Ausbildungen eröffnen die
neuen Abschlüsse interessante Möglichkeiten. Für sie war
Weiterqualifizierung bisher mit einem großen Fragezeichen
versehen. Wollten sie hoch hinaus, bedeutete das, ein
zeitaufwändiges Studium draufzusatteln. Jetzt haben sie die
Chance, beruflich Karriere zu machen und gleichzeitig einen
Abschluss zu erwerben, der einem Hochschuldiplom vergleichbar
ist. Als geprüfter IT-Ökonom zum Beispiel oder als geprüfter
Wirtschaftsinformatiker. Eine sinnvolle Sache, denn gerade im
IT-Bereich, wo Wissen mit atemberaubender Geschwindigkeit
veraltet, muss man Ernst machen mit dem lebenslangen Lernen. Aus
dem gleichen Grund ist das neue Konzept auch für Frauen, die aus
der Babypause zurückkehren, gut geeignet: Sie können ihr Wissen
auf den neuesten Stand bringen und sich zugleich
weiterqualifizieren.
Geregelte Berufsprofile.
Nicht zuletzt ging es bei dem neuen Fortbildungskonzept darum, den Wildwuchs auf dem IT-Bildungsmarkt in den Griff zu bekommen. Wer sich für eine IT-Fortbildung interessierte, sah sich einer Vielzahl von unterschiedlichen Berufsbezeichnungen und Zertifikaten gegenüber. Zudem war die Qualität der Anbieter höchst unterschiedlich. APO-IT macht Schluss mit dem Verwirrspiel: Wirtschaft und Gewerkschaften haben sich auf 29 Spezialistenprofile geeinigt, deren Tätigkeiten, Arbeitsgebiete und Kompetenzen in der Computer- und Telekommunikationsbranche genau definiert sind. Sie sind sechs Gruppen zugeordnet:
- Techniker/in (Technician)
- Softwareentwickler/in (Software Developer)
- Lösungsentwickler/in (Solutions Developer)
- Entwicklungsbetreuer/in (Coordinator)
- Produkt- und Kundenbetreuer/in (Advisor)
- Lösungsbetreuer/in (Administrator)
Damit die einzelnen Berufsprofile
nicht veralten, haben sich die Sozialpartner der IT-Wirtschaft
verpflichtet, sie jedes Jahr auf ihre Aktualität zu überprüfen.
Der Vorteil der neuen Zertifizierungen: Sie werden in der
IT-Branche viel besser anerkannt sein und die Auswahl von neuen
Mitarbeitern leichter machen. Denn sie belegen eindeutig und
nachvollziehbar, was der Bewerber kann. Dem
Personalverantwortlichen bleibt das Rätselraten, welche Kurse sich
hinter dem jeweiligen Weiterbildungsabschluss von diesem oder jenem
Anbieter verbergen, erspart.
Wie funktioniert es?
APO-IT setzt auf Learning by Doing
am Arbeitsplatz statt auf Schulungen und Seminare. "Der
Teilnehmer lernt im Unternehmen im Rahmen seiner Anstellung. An
konkreten Projekten aus seinem Arbeitsalltag und damit äußerst
praxisorientiert", erklärt Ursula Kahra, bei Siemens Business
Services, Training and Services, verantwortlich für das
Designmanagement von (Re-)Qualifizierungsmaßnahmen. "Das ist
absolut sinnvoll, und wir richten unsere Kurse zurzeit darauf
aus. Es wird als Reaktion auf APO in Zukunft sicher noch mehr
individualisierte Weiterbildungsangebote geben." Auch Caumanns
sieht es sehr positiv, dass es um reale Projekte in einem realen
Umfeld geht: "Diese Weiterbildungen fördern nicht nur die
fachliche, sondern auch die methodische und soziale Kompetenz."
Fest vorgegeben ist im neuen Weiterbildungskonzept nur wenig -
APO bietet einen weiten Rahmen, in dem man sich bewegen kann.
Auch die Dauer der Weiterbildung ist nicht starr festgelegt, da
Projekte sehr unterschiedliche Laufzeiten haben. In der Regel
aber muss man mit circa neun Monaten rechnen, um ein Zertifikat
zu erwerben. Maximal möglich sind zwei Jahre.
Doch eins ist klar: Learning by Doing funktioniert nur bei
systematischem Input, ausreichend Zeit und konsequenter
Unterstützung wirklich gut. Damit aus den Erfahrungen der
Teilnehmer echter "Lernstoff" wird, hat das Fraunhofer ISST für
APO-IT die so genannten "Referenzprozesse" entwickelt. Diese
schlüsseln den Ablauf von Projekten in Einzelschritten auf, zum
Beispiel: Formulieren der Anforderungen, Bewerten der Angebote,
Implementierung des Systems, Test der Module, Anpassung des
Systems, Schulung der Nutzer ... Damit hat man gleichsam eine
Schablone, die man auf ein konkretes Projekt aus dem eigenen
Arbeitsalltag legen kann und einem Anhaltspunkte dafür liefert,
welche (produkt- und herstellerunabhängigen) Lerninhalte in
welchem Vorgang stecken und welche Kompetenzen man mitbringen
oder sich aneignen muss. Für Quereinsteiger hat dies den Vorteil,
dass sie ihr oft in zusammenhanglosen Häppchen erworbenes Wissen
systematisieren, überdenken und gezielt erweitern können.
Vom Lerncoach begleitet.
Während der Weiterbildung
erarbeitet sich der Teilnehmer überwiegend sein Wissen selbst.
Doch er wird dabei individuell betreut und unterstützt von einem
Fachexperten, den das Unternehmen ihm an die Seite stellt. "Der
Experte diskutiert mit dem Teilnehmer die Erfahrungen aus dem
Projekt. Er hilft ihm, die einzelnen Schritte zu reflektieren und
aus der Erfahrung zu lernen", erklärt Caumanns. "Das gilt zum
Beispiel für die Frage: Wie bin ich eigentlich zu dieser oder
jener Entscheidung gekommen und wie hätte ich es anders machen
können?"
Neben diesem Fachberater steht dem Teilnehmer ein zweiter
Coach zu, der Lernberater. Das kann beispielsweise ein
Personalreferent oder Ausbilder des Unternehmens sein. Aber auch
Weiterbildungsspezialisten wie Siemens Business Services werden
in Zukunft entsprechende Dienstleistungen anbieten. Ein solcher
Lernberater kümmert sich um alle organisatorischen Fragen, die
die Ausbildung betreffen, und begleitet den Teilnehmer im
Lernprozess. "Das Rollenverständnis von Trainern ändert sich",
erklärt Caumanns. "In Zukunft werden Trainer seltener im
Seminarraum stehen und Folien auflegen. Sie werden zu Coaches,
die nicht mehr viel erklären, sondern den Teilnehmer darin
unterstützen, sich das Wissen eigenständig anzueignen."
Eine klassische Prüfung, für die man pauken kann, gibt es
für diese Zertifizierungen nicht. Stattdessen weist man seine
Kompetenz durch eine Dokumentation des jeweiligen Projekts nach,
die man den Prüfern präsentiert. Anhand der Dokumentation
erkennen die Prüfer, ob man sich die Kompetenzen des jeweiligen
Berufsprofils in der notwendigen Breite und Tiefe erarbeitet
hat.
Glücksfall fürs Unternehmen.
Ähnlich verläuft die Fortbildung
zum "Professional" - eine Qualifizierung, die einem akademischen
Bachelor-Grad entspricht. Auch in diesem Fall wird nicht
vorgeschrieben, wie viele Unterrichtsstunden man "absitzen" muss.
Vielmehr sollen Umsetzungshilfen Unternehmen darin unterstützen,
gemeinsam mit ihren bildungshungrigen Mitarbeitern
Zielvereinbarungen zu treffen und Weiterbildungspläne zu
entwickeln. Außerdem müssen die Unternehmen entscheiden, welche
Formen der Lernbegleitung sie selbst bieten können und wo sie
Bildungsträger beauftragen müssen. Gewöhnlich trägt das
Unternehmen die Kosten einer APO-Weiterbildung. "Zwar ist die
individuelle Betreuung aufwändig, doch dafür erledigt der
Mitarbeiter konkrete Aufgaben, die andernfalls liegen bleiben
würden", erklärt Kahra. Gerade für kleine Unternehmen mit vielen
Quereinsteigern ist ein anerkannter IHK-Abschluss ihrer
Mitarbeiter nach den neuen APO-Regeln zudem ein Aushängeschild.
Es wird sich zeigen, wie gut diese Form der Weiterbildung
in der IT-Branche funktioniert. Bewährt sich das Modell, könnte
es Schule machen. "APO lässt sich mit Sicherheit übertragen - es
gibt bereits Überlegungen, in anderen Branchen ein ähnliches
System aufzubauen", bestätigt Caumanns. Ein weiterer kleiner
Schritt in Richtung "lebenslanges Lernen".
Zur Übersicht aller bisher erschienenen Beiträge der "Serie Umschulung".
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
Kontakt:
ursula.kahra@siemens.com
www.siemens.com/training
www.siemens.de/qp
Allgemeine Informationen zu APO-IT:
www.apo-it.de
© changeX Partnerforum [02.07.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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