Hautnah am Kunden
Der befreite Vertrieb, das neue Buch von Karl Pinczolits.
Schlank und stromlinienförmig sind die Unternehmen heute, getrimmt auf Effizienz und Qualität. Aber sind sie wirklich kundennah? Fehlanzeige. Denn die Verkäufer sind oft zu selten beim Kunden, können sich nicht auf ihre eigentliche Stärke, das Verkaufen, konzentrieren. Pinczolits schlägt ein kühnes neues Organisationsmodell vor, das auf maximalen Kundenkontakt setzt.
Kein Büro und keine festen Kunden mehr.
Pinczolits' Vision ist kühn, Tabus
gibt es für ihn nicht. Wenn es nach ihm ginge, wäre der
Vertriebler den ganzen Tag beim Kunden, am Markt. Hautnah
sozusagen. Ein anderes Büro hat er nicht, das eigene
Firmengebäude betritt er seltenst. Für ihn gibt es keine feste
Routen- und Besuchsplanung mehr. Es gilt die Kundeneinteilung
nach Chance: Niemand hat Anspruch auf ein eigenes Gebiet oder auf
Kundenschutz - wer gerade in der Nähe ist, nimmt den Termin wahr.
Es gibt auch keine Organigramme mehr, sondern Rankings. Ziele
werden für jeden Tag neu gesteckt. Betreut wird der Verkäufer von
einem internen Coach, der ihm alle Verwaltungsarbeiten abnimmt.
Auf diese Weise sind, so der Autor, wesentlich mehr
Kundenkontakte bei gleichen oder sinkenden Kosten möglich. Dieses
Prinzip, das er "Zeltorganisation" nennt, kann, so meint er, in
allen Branchen eingesetzt werden.
Ein Prinzip, das an fahrende Händler erinnert, und - wenn
man polemisch sein will - an Drückerkolonnen. Natürlich hat
Pinczolits diese Kritik vorhergesehen, er schmettert sie in
wenigen Sätzen ab: Neue Zeiten, neue Technologien, veränderte
Voraussetzungen müssen auch bestehende Vorurteile verändern.
Kundennähe ist gefragt - seine Zeltorganisation kann sie bieten!
Was will man mehr? Zudem verlangt er ja gar nicht, dass sich das
ganze Unternehmen schlagartig nach diesen Ideen umkrempelt. Es
reicht, wenn es in kleinen Schritten geschieht.
Der Vertrieb als Maß aller Dinge?
Ein Konzept, das sicher Furore
machen wird, aber auch interessante neue Denkanstöße bietet. Es
setzt voraus, dass der Vertrieb im Unternehmen einen anderen
Stellenwert bekommt. Und hier riechen Pinczolits Ideen schon
leicht nach Wunschtraum: "Der Vertrieb ist das neue Maß aller
Dinge im Unternehmen", malt er sich aus. In Zukunft soll die
Organisation auf einem neuen Rollenverständnis beruhen. Wer den
größten Wertbeitrag leistet, steht in der Hierarchie am höchsten
und bekommt am meisten Ressourcen. Oben steht, so schlägt
Pinczolits keck vor, der Verkäufer, unter ihm die
Vertriebsleitung und Marketing. Ganz unten ist die Einsatzlenkung
angesiedelt.
Das klingt ein wenig nach Tunnelblick; naturgemäß nimmt man
das eigene Gebiet, die eigene Abteilung am wichtigsten, will sie
gewürdigt sehen. Aber welchen Stellenwert bekommen zum Beispiel
Entwickler? Verkaufen kann man nur Produkte, die irgendwann
einmal in mühevoller Arbeit erdacht und entwickelt worden sind.
Auch dass Pinczolits das Prinzip des "one face to the customer"
demontieren will, stimmt bedenklich. Denn treue Kunden zieht man
zwar auch durch schnelle und gute Betreuung heran - aber eben
auch durch die persönliche Bindung, durch Beziehungen. Noch ist
der Mensch nicht völlig austauschbar in der
24/7-Internetwirtschaft. Und Vertrauen ist bekanntlich gerade in
der Wissens- und Informationsgesellschaft das wichtigste
Kapital.
Karl Pinczolits:
Der befreite Vertrieb.
Mit einer Zeltorganisation
individuelle Wege zum Kunden finden,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2003,
214 Seiten, 39,90 Euro,
ISBN 3-593-37196-0
www.campus.de
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
© changeX Partnerforum [03.06.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Karl Pinczolits: Der befreite Vertrieb. . Mit einer Zeltorganisation individuelle Wege zum Kunden finden.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 214 Seiten, ISBN 3-593-37196-0
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