Raus aus dem Callcenter
Serie Umschulung: Folge 3 - Neue Aufgaben im Unternehmen
Noch immer bauen die Unternehmen Mitarbeiter ab. Doch manche gehen den umgekehrten Weg und bauen ihre Leute auf. Bilden weiter. Geben Aufstiegschancen. Schulen um. Und haben durch ihr antizyklisches Verhalten die Nase vorne, wenn die Konjunktur wieder anzieht.
"Mitarbeiter sind unsere
wertvollste Ressource", tönte es besonders zu Boom-Zeiten aus den
Management-Etagen. Getan wurde oft wenig. Im Gegenteil, das
Personalkarussell drehte sich geschwind: Mitarbeiter, die gerade
nicht mehr gebraucht wurden, wurden entlassen. Dafür kam - teuer
eingekauft - Nachschub frisch von der Hochschule an Bord.
Manchmal gingen die Einstellungsbemühungen, für die man schon mal
gute Leute von anderen Unternehmen abwarb, direkt in eine
Entlassungswelle über, wenn die Stimmung in der Branche hickste
und der Umsatz in den Keller ging. Doch das Gedächtnis der
Mitarbeiter ist lang: So manches Unternehmen kam durch solche
Eskapaden in den Ruf, kein guter Arbeitgeber zu sein, eine
Verheizer-Mentalität zu haben - ein Ruf, der ihm auch in der
nächsten Boom-Phase anhängen wird. Gute Kräfte suchen ihre
berufliche Zukunft dann lieber anderswo. Dort, wo sie gefördert
werden.
Doch es gibt auch positive Beispiele. Fälle, in denen die
Ressource Mitarbeiter nicht nur gepriesen, sondern auch engagiert
gepflegt und weiterqualifiziert wird. In denen beispielsweise
erst einmal innerhalb des Unternehmens nach Möglichkeiten gesucht
wird, Leute unterzubringen, die in ihrem Bereich nicht mehr
eingesetzt werden können. "Reskilling" nennt man das in der
Personalbranche - der Laie sagt schlicht "Umschulung".
Großer Andrang.
Im Mai 2001 erschien eine Notiz im
Intranet des Telekommunikationsunternehmens Vodafone D2, die - so
Dr. Kay Wohlfeil, der verantwortliche Projektleiter von Siemens
Business Services, Training and Services - "einschlug wie eine
Bombe". 15 Mitarbeiter aus dem Callcenter sollten die Gelegenheit
erhalten, sich für ein neues IT-Tätigkeitsfeld weiterzubilden
(mit einer Abschlussprüfung auf Fachinformatiker-Niveau). In neun
Monaten. Auf Firmenkosten, bei vollem Gehalt und im
Angestelltenverhältnis. Ein wahrer Run setzte ein. Allein in den
ersten drei Tagen bewarben sich 150 Mitarbeiter aus ganz
Deutschland auf die in Düsseldorf stattfindende Ausbildung.
Was steckte hinter dem Angebot, das Seiteneinsteigern eine
echte Chance und Aufstiegsmöglichkeiten versprach? "Wir hatten zu
viele Mitarbeiter im Callcenter, aber das waren alles Leute, die
sich exzellent mit unseren Dienstleistungen auskannten. Dieses
Know-how wollten wir nicht verlieren. Gleichzeitig fehlen in
anderen Abteilungen, besonders im IT-Bereich, Leute", berichtet
Friedrich Weishaupt, in der Personalentwicklung von Vodafone
verantwortlich für Ausbildungsmaßnahmen. "So kam der Gedanke auf,
ob man einige dieser Leute nicht in den Bereich IT umschulen
könnte." Zur Überraschung der Personaler erwiesen sich viele der
Callcenter-Mitarbeiter als höher qualifiziert als gedacht. Diesen
guten Leuten die Chance zu geben, längerfristig im Unternehmen zu
bleiben, war ein wichtiges Ziel des Programms. Denn in
Callcentern ist die Fluktuation traditionell hoch, kaum jemand
hält das Dauertelefonieren über längere Zeit hinweg aus.
Ein Ausbildungskonzept entsteht.
Siemens Business Services, dessen Weiterbildungsbereich Training and Services für Vodafone schon viele Recruiting-Programme durchgeführt hatte, erhielt den Auftrag, ein Reskilling-Konzept zu entwickeln, das genau auf die Anforderungen und den Bedarf von Vodafone D2 zugeschnitten war. Denn die Mitarbeiter sollten ja ganz bestimmte Lücken in der IT-Abteilung füllen. "Wir haben einen Workshop mit Vodafone durchgeführt, gemeinsam den Bedarf und die Anforderungen des Unternehmens analysiert und dann ein Konzept erstellt", beschreibt Wohlfeil die ersten Schritte. Anschließend machte sich sein Team daran, diese Eckdaten mit Leben zu füllen und daraus eine Ausbildung zu gestalten. Die Lösung war ein sechsmonatiges Reskilling-Programm, das Theoriephasen mit Projektarbeiten verbinden und von einem dreimonatigen Praktikum gefolgt sein sollte. Auch die Auswahl der geeigneten Mitarbeiter, die Ausbildung selbst, die Betreuung der Teilnehmer, Evaluation und Qualitätssicherung übernahm Siemens Business Services.
Intensive Eignungstests.
Weil Vodafone natürlich nur in gut
geeignete Bewerber investieren wollte, erwartete die
Interessenten ein wahrer Testmarathon. Zunächst galt es, den
mehrstündigen Eignungstest zu bestehen, mit dem auch bei Siemens
zukünftige IT-Fachkräfte auf ihr Talent für technische Aufgaben
geprüft werden. Intelligenz, strukturiertes und logisches Denken,
Kurzzeitgedächtnis, Konzentrationsfähigkeit - in vielen Bereichen
mussten die Teilnehmer ihr Potenzial beweisen. Und das alles
natürlich unter Zeitdruck. "Ich bin locker herangegangen und habe
den Test eher spielerisch absolviert - ich löse auch daheim gerne
Rätsel, und die kniffligen Text- und Rechenaufgaben haben mir
gefallen", beschreibt der ehemalige Textilmaschinenmechaniker und
Vodafone-Kundenbetreuer Ralph Münster seine Erfahrungen in der
ersten Runde. Fünf Jahre lang hatte er schon im Callcenter
gearbeitet und dort längst nicht mehr nur telefoniert, sondern
auch Sonderaufgaben wie Coaching und die Einarbeitung von neuen
Mitarbeitern übernommen.
Wer wie Münster im Test gut abschnitt, durfte in die zweite
Auswahlstufe: ein Assessment Center. Hier wurden noch einmal
seine Persönlichkeit und Arbeitsweise kritisch unter die Lupe
genommen. Münster bestand mit Bestnoten. Während er im ersten
Durchgang des Reskilling-Programms dabei sein durfte, bekam
Katrin Lange in der zweiten Ausbildungsgruppe ihre Chance. Zu
ihrer Überraschung. "Ich habe eigentlich nicht geglaubt, dass ich
Chancen hatte, aber ich wollte es austesten." Nach einer
Ausbildung im Hotelfach und BWL-Studium hatte sie zweieinhalb
Jahre bei Vodafone in der Kundenbetreuung gearbeitet.
Neun Monate intensiv lernen.
Dann hieß es für die Teilnehmer
pauken. In den ersten sechs Monaten absolvierten die angehenden
Fachinformatiker ganz normale 40-Stunden-Wochen - nur eben nicht
am Arbeitsplatz, sondern im Seminarraum. Jetzt ging es nicht mehr
um gekonntes Telefonieren, sondern um Oracle, SQL, Unix. Münster
und Lange, die beide schon privat gerne mit Computern gearbeitet
hatten, waren mit Begeisterung dabei. "Tolle Ausbildung, gute
Dozenten", urteilt Münster im Rückblick. "Wir haben jede Menge
Input bekommen - manchmal in einer Woche zwei Aktenordner voll.
Zu Hause war noch längst nicht Schluss, dann hieß es
nachvollziehen, was man tagsüber gemacht und gelernt hatte."
Siemens Business Services stellte die technischen
Ressourcen, achtete auf eine enge Verbindung von Theorie und
Praxis. Gelernt wurde, wie es Stand der IT-Weiterbildung ist, in
Fallbeispielen, bei denen die Teilnehmer sich selbst Wissen
erarbeiten und lernen, Probleme zu lösen. Nach jeder größeren
Arbeit galt es, Tests und Prüfungen zu bestehen. Aber auch die
"Soft Skills" wurden nicht vernachlässigt - ergänzt wurde die
fachliche Theorie durch Teamtraining und Lerneinheiten in
Projektmanagement und Systemanalyse.
Dann war es an der Zeit, in die Praxis hineinzuschnuppern.
Die Teilnehmer konnten auswählen, in welcher IT-Abteilung sie ihr
dreimonatiges Praktikum absolvieren wollten - von der Entwicklung
und Programmierung bis zu den Bereichen, in denen die Software
eingesetzt wird. "Die Leute sind alle untergekommen, und zwar
genau dort, wohin sie wollten", berichtet Weishaupt von Vodafone.
In vielen Fällen blieben die Teilnehmer gleich in der jeweiligen
Abteilung und fanden dort ihre neue Aufgabe.
Antizyklisches Verhalten lohnt sich.
Münster ist heute für
Software-Integrationstests zuständig ist und profitiert davon,
dass er Unix nun in- und auswendig kennt und Programmiersprachen
wie SQL beherrscht. Das hilft, die Software auf Fehler zu
checken. "Für nicht jede Arbeit im IT-Bereich ist ein Studium
notwendig", ist er sicher. Wie die anderen Kursteilnehmer genießt
er seine neue Stelle. "Es ist ein viel angenehmeres Arbeiten als
im Callcenter. Das kann man gar nicht vergleichen. Hier arbeitet
auch ein anderer Menschenschlag, mit dem ich gut klarkomme."
Auch Lange ist sehr zufrieden mit ihrem neuen Job. Im
Praktikum stellte sie fest, dass sie das reine Programmieren
nicht so reizte, sie wollte weiterhin mit Menschen zu tun haben.
Sie hat ihren Platz in der Abteilung User Support gefunden, die
sich um die PCs in der gesamten Zentralverwaltung kümmert und
Probleme löst. "Es ist sehr abwechslungsreich hier", meint sie.
Doch ihr gefallen nicht nur die neuen Aufgaben, sondern auch,
dass sie durch die Weiterqualifizierung ein Stück Sicherheit
gewonnen hat. Denn nun ist sie fürs Unternehmen deutlich
wertvoller als zuvor. "Ich fand sehr positiv, dass man für die
Ausbildung keine finanziellen Risiken in Kauf nehmen musste. Und
ich kann mich darauf verlassen, dass mich das Unternehmen
zumindest für die nächsten drei Jahre behält - es hat ja auch
einiges in mich investiert."
Dreimal wurde die Ausbildung bisher durchgeführt. Hat sich
das Programm, das für Vodafone neu und beispielhaft war, denn nun
gelohnt für das Unternehmen? "Es rechnet sich, weil die
Mitarbeiter dadurch für eine ganze Weile ans Unternehmen gebunden
sind", meint Weishaupt. "Außerdem - das hat sich als sehr
nützlich herausgestellt - kennen sie auch die Kundensicht, weil
sie die Programme jahrelang als Anwender benutzt haben." Die
Erfahrungen mit den umgeschulten Mitarbeitern sind sehr gut, sie
meistern ihren neuen Job mit Bravour. Dennoch will man das
Seiteneinsteigertum begrenzen. Noch ist nicht sicher, ob das
Programm weitergeführt wird, denn in der IT-Abteilung wird
zurzeit kein neues Personal gebraucht. Doch eins ist sicher: Der
nächste Boom kommt bestimmt. Und die Unternehmen, die sich
antizyklisch verhalten und personalpolitisch klug aufbauen, haben
beste Startchancen, wenn die Wirtschaft wieder anzieht.
Zur Übersicht aller bisher erschienenen Beiträge der "Serie Umschulung".
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
Kontakt:
Dr. Kay Wohlfeil
kay.wohlfeil@siemens.com
www.siemens.com/training
www.siemens.de/qp
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