Invest in soziales Kapital

Sozialer Rohstoff Vertrauen.
Text: Annegret Nill

Vertrauen setzt ein Gefühl von Grundsicherheit und gesellschaftlichen Aufgehobenseins voraus. Es ist eine Form von sozialer Kapitalbildung, den Menschen das Gefühl von Wertschätzung, Anerkennung und Eingebundensein zu vermitteln. Eine Studie des DIW.

Von Vertrauen ist viel die Rede, seit vor einem Jahr die Finanzkrise Deutschland erreichte. Genauer: von verlorenem Vertrauen. Es war verlorenes Vertrauen, das die Wirtschaft im Herbst in den Abgrund blicken ließ. Die Banken vertrauten einander nicht mehr, schickten sich kein Geld mehr und gaben keine neuen Kredite. Die Finanzströme kamen zum Erliegen, bis der Staat in einer Rettungsaktion Geld in den Kreislauf pumpte, wohingegen die Banken sich weigerten, ihrer Aufgabe nachzukommen. Mittlerweile haben Kleinunternehmer ebenso wie mittelständische Unternehmen ernsthafte Probleme, einen Kredit zu bekommen. Die Folge: Insolvenzen nehmen zu, die Wirtschaftskraft leidet.
Vertrauen ist die wichtigste Währung bei Wirtschaftsbeziehungen. Der Handel auf anonymen Märkten erfordert, dass Waren an Kunden geliefert werden, die man nicht kennt, oder Dienstleistungen für Menschen ausgeübt werden, mit denen man nicht vertraut ist – im Vertrauen darauf, dass sie schon bezahlen werden. Oder anders herum: Der Kunde bezahlt und vertraut darauf, dass das Unternehmen das Bestellte schon liefern wird. Gäbe es dieses Vertrauen nicht, gäbe es keinen Handel. Studien zeigen: je stärker das Vertrauen in einer Gesellschaft ist, desto stabiler ist sie politisch und desto fortgeschrittener in wirtschaftlicher Hinsicht.


Vertrauen in Deutschland.


Das Sozio-oekonomische Panel des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wollte es genauer wissen: Wie ist das denn nun mit dem Vertrauen in Deutschland – dem Vertrauen als Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält. Es geht also nicht um Vertrauen in politische oder wirtschaftliche Institutionen, sondern um Vertrauen in andere Menschen, in Unbekannte – um das sogenannte „generalisierte Vertrauen“, das auch für Wirtschaft und Handel wesentlich ist.
„Von Vertrauen – in Abgrenzung zu Zuversicht – spricht man nur dann, wenn eine riskante Erwartung in eine eigene Entscheidung umgesetzt wird, wenn also Zuversicht aktiv in eine individuelle Vorleistung umgesetzt wird“, schreiben die Autoren der Vertrauens-Studie Niels Michalski und Jürgen Schupp. Bei den Befragungen der Haushalte zum Thema Vertrauen in denn Jahren 2003 und 2008 – also noch vor der Krise – haben sie herausgefunden:

  • Nur 14 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen haben ein „hohes Vertrauen“ in ihre Mitmenschen. 40 Prozent dagegen bringen ihnen nur „geringes Vertrauen“ entgegen. Immerhin 40 Prozent vertrauen heute aber zumindest den meisten Mitmenschen. Zum Vergleich: 1953, wenige Jahre nach Ende der Nazizeit, waren dazu nur zwölf Prozent in der Lage. Wie sehr gesellschaftliche Verhältnisse Vertrauen prägen, zeigt auch der Ost-West-Vergleich in Deutschland: Menschen, die in den alten Bundesländern leben, vertrauen anderen eher als Menschen aus den neuen Bundesländern. Dieser Unterschied schmilzt aber über die Jahre gesehen allmählich – soll heißen, die Ostdeutschen werden vertrauensvoller.
  • Bildung hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Fähigkeit zu vertrauen: „Den höchsten positiven Effekt auf das Vertrauen hat der Hochschulabschluss“, stellen Michalski und Schupp fest. So weisen 25 Prozent (2003: 22 Prozent) der Befragten „hohes Vertrauen“ auf – das sind fast doppelt so viele wie bei den Personen mit Berufsausbildung. Mit 22 Prozent überdurchschnittlich hoch ist auch das Vertrauen der Selbständigen (2003: 25 Prozent). Überraschend: Personen ohne Berufsausbildung weisen keinen niedrigeren Vertrauensgrad auf als Personen mit Berufsausbildung.
  • Wenig überraschend ist dagegen, dass sich die Einkommenssituation auf die Fähigkeit, anderen zu vertrauen, auswirkt. So zeigen von den 20 Prozent der Menschen mit dem niedrigsten Einkommen nur zehn Prozent ein „hohes Vertrauen“ auf, während dieser Anteil bei den 20 Prozent mit dem höchsten Einkommen bei 20 Prozent liegt. Die Autoren konnten auch nachweisen, dass ein finanzieller Absturz mit einem Vertrauensverlust einhergeht. Anders herum gilt das jedoch nicht: Wer in obere Einkommensregionen aufsteigt, gewinnt nicht automatisch an Vertrauen in seine Mitmenschen.
  • Der Anteil der Menschen, die „geringes Vertrauen“ aufweisen, ist bei den Arbeitslosen mit 53 Prozent (2003: 50 Prozent) am größten. Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, zeigt noch einmal weniger Vertrauen in andere. Wer hingegen wieder einen Job bekam oder sich selbständig machte, konnte tendenziell auch wieder an Vertrauen gewinnen. Anders herum gilt: Wer arbeitslos wurde, büßte auch an Vertrauen ein. Die Autoren ziehen daher das Fazit, dass die Unterschiede in der Vertrauensfähigkeit die Lebenserfahrungen unterschiedlicher Gruppen in der Gesellschaft widerspiegeln.
  • Wichtig für die Fähigkeit, anderen Vertrauen entgegenzubringen, sind aber nicht nur soziodemografische, sondern auch Persönlichkeitsmerkmale. Menschen, die für neue Erfahrungen offen sind, bringen anderen viel Vertrauen entgegen. Gewissenhafte und neurotische Menschen hingegen vertrauen anderen eher wenig. Auch wer politisch oder ehrenamtlich engagiert ist oder in die Kirche geht, ist vertrauensvoller.
  • Interessant ist eine weitere Korrelation: Je risikobereiter die Menschen, desto stärker ihr Vertrauen. Es könnte aber auch andersherum sein: Je stärker das Vertrauen der Menschen, desto risikobereiter sind sie. Da verhältnismäßig viele Selbständige ein „hohes Vertrauen“ aufweisen, spekulieren die Autoren daher, dass es eine bewusste Entscheidung von Menschen mit viel Vertrauen für selbständige Tätigkeiten geben könnte. Im Umkehrschluss hieße das: Die niedrige Gründungsbereitschaft in Deutschland könnte damit zusammenhängen, dass nur relativ wenige Menschen hierzulande „hohes Vertrauen“ in ihre Umwelt setzen. Hier wären internationale Vergleichszahlen von Interesse.

Soziale Kapitalbildung.


Vertrauen in andere basiert auch auf den Erfahrungen, die Menschen in ihrem Leben machen. Nicht ohne Grund lag nach Kriegsende die Fähigkeit der Menschen, anderen Vertrauen entgegenzubringen, darnieder. Das wesentlich geringere Vertrauen, das Langzeitarbeitslose oder Niedriglöhner ihren Mitmenschen heute entgegenzubringen vermögen, bestätigt die Wechselwirkung zwischen eigenen negativen Lebenserfahrungen und der mangelnden Fähigkeit, anderen zu vertrauen. Vertrauen setzt offenbar ein Gefühl von Grundsicherheit und gesellschaftlichen Aufgehobenseins voraus. Das Gefühl, dass Anstrengungen auch lohnen und anerkannt werden. Zu viele Menschen machen heute die Erfahrung, dass dies nicht der Fall ist. Verletzte Tauschgerechtigkeit in Arbeitsbeziehungen schlägt sich somit nicht nur in erhöhten Krankenkosten nieder, sondern schädigt auch die grundlegenden Vertrauensbeziehungen zwischen den Menschen. Es ist eine Form von sozialer Kapitalbildung, in das Grundvertrauen der Menschen zu investieren, indem man ihnen das Gefühl von Wertschätzung, Anerkennung und Eingebundensein vermittelt, in Unternehmen wie in der Gesellschaft. Ohne dieses Kapital kann Wirtschaft nicht funktionieren.

Niels Michalski / Jürgen Schupp:
„Sozialer Rohstoff: ‚Den meisten Menschen kann man vertrauen‘“,
in: Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 34/2009, S. 570–579.


changeX 15.09.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autorin

Annegret Nill
Nill

Annegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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