Vielfalt nutzen
Interkulturelle Kompetenz ist mehr als kulturspezifische Fettnapfkunde. Sie zielt nicht auf Vermeidung unangemessenen Verhaltens, sondern auf eine ertragreiche Nutzung von Unterschieden. In der Vielfalt der Ansichten liegt der Gewinn.
Internationale Business-Knigges haben Konjunktur. Die Globalisierung lässt grüßen. Wer heute in der Fremde Geschäfte macht, findet massenhaft Ratgeberliteratur der Sorte „andere Länder – andere Sitten“, in denen er erfährt, dass man chinesischen Geschäftspartnern die Visitenkarte immer mit beiden Händen übergibt, arabischen dagegen niemals mit der unreinen linken.
Interkulturelle Kompetenz aber ist etwas anderes. Sie erschöpft sich nicht in kulturspezifischer Fettnapfkunde. Sie zielt weniger auf eine Vermeidungsstrategie als auf eine ertragreiche Nutzung von Unterschieden. Das gilt für den Umgang mit Geschäftspartnern, aber noch mehr für den Umgang mit eigenen Mitarbeitern – mit jener kulturellen Vielfalt der Belegschaft, die vor allem in internationalen Unternehmen im Zuge der Globalisierung zunehmend anzutreffen ist.
Im Rahmen des sogenannten „Diversity Management“ wird eine solche kulturelle Heterogenität längst nicht mehr als Problem, sondern als betriebswirtschaftliche Chance verstanden. Die freilich genutzt werden muss. Nur wie? Wie lassen sich Mitarbeiter aus unterschiedlichen Kulturen führen? Wie wird kulturelle Vielfalt für ein Unternehmen zum Gewinn?
Primärtugenden Sensibilität und Respekt.
Um diese Fragen kreist ein von Connie Voigt herausgegebener Aufsatzband zum interkulturellen Führen. Rund 25 Beiträge beleuchten das komplexe Thema hier von allen Seiten. Die Autoren, ihrerseits mit ganz unterschiedlichen kulturellen und beruflichen Hintergründen, fassen Interkulturalität weit. Sie haben nicht nur die geografische Herkunft im Blick, sondern auch kulturelle Unterschiede, die dem Alter geschuldet sind, dem Sozialmilieu oder dem Beruf.
Es geht ihnen, im Anschluss an den niederländischen Kulturwissenschaftler Geert Hofstede, um so grundsätzliche kulturelle Dimensionen wie das Verständnis von Hierarchien oder das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft. Und darum, wie man entsprechende Unterschiede überhaupt erst einmal wahrnimmt und akzeptiert, bevor man mit ihnen umgeht. Sensibilität und Respekt – das sind nach einhelliger Ansicht die Primärtugenden einer interkulturell beschlagenen Führungskraft.
Zu einigen eher theoretischen Überlegungen gesellen sich Praxisbeispiele. Da spricht Südafrikas Ex-Staatspräsident Frederik W. de Klerk über interkulturelle Führung in der Politik, der Schweizer Zirkusdirektor Franco Knie über den Umgang mit marokkanischen und polnischen Mitarbeitern, der türkische Unternehmer Erol User über die Bedeutung des Kopftuchverbots für türkische Geschäftsfrauen.
Natürlich fordert dieses breite Spektrum der Beiträge seinen Tribut. Zwangsläufig ergeben sich Widersprüche, bleiben Fragen offen. Etwa die Frage nach der Zukunft der Interkulturalität als solcher. Denn Globalisierung bedeutet ja nicht nur, dass Unternehmen zunehmend international tätig sind und eine zunehmend multinationale Belegschaft haben. Globalisierung bedeutet auch eine gewisse Vereinheitlichung der Kulturen über nationale wie generationelle Grenzen hinweg. Wie viel Interkulturalität wird im Global Village überhaupt noch zu bewältigen oder zu verwerten sein?
Vielfalt der Ansichten.
Zudem wandeln einige Beiträge bedenklich nah am Rande eines bodenlosen Relativismus. Beschworen wird da eine Art kultureller Neutralität, die in einer wert- und urteilsfreien Grundhaltung zum Ausdruck kommen soll – „Urteile nicht!“, wie es in einem Beitrag patentrezeptartig heißt. Doch abgesehen davon, dass ein denkender Mensch immer auch ein urteilender ist: Ein Verzicht auf kulturell bedingte Urteile erscheint selbst in interkulturellem Zusammenhang nicht immer wünschenswert. Das zeigt sich an einem weiteren Beitrag. Da beklagt eine russische Managerin den autokratischen, frauenfeindlichen und letztlich ineffizienten Führungsstil russischer Manager. Sollte man sich zu diesem Führungsstil nicht von einem festen Standpunkt aus verhalten, aus moralischen wie ökonomischen Gründen? Doch letztlich sind es genau diese Fragen und Widersprüche, die diesen Band über alle Informationen hinaus zu einer anregenden Lektüre machen. Wie sonst gilt auch hier: Eine Vielfalt der Ansichten ist potenziell ein großer Gewinn.
changeX 09.12.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Connie Voigt (Hg.): Interkulturell führen. Diversity 2.0 als Wettbewerbsvorteil. Gabal Verlag, Offenbach 2009, 294 Seiten, ISBN 978-3-86936-004-1
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Autor
Dominik FehrmannDominik Fehrmann ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.