Spicken erwünscht

Spickzettel für Lehrer - die neue Reihe im Carl-Auer Verlag
Rezension: Sascha Hellmann

Selten agieren Lehrer und Schüler in einvernehmlicher Kooperation. Stattdessen: Spannungen, Konflikte, Eskalation. Auf der Strecke bleibt das Lernen. Wie der Schulalltag aus systemischer Perspektive konstruktiver gestaltet werden könnte, zeigen drei neue Ratgeber im Spickzettel-Format.

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Die Hölle, das seien immer die anderen, schrieb der französische Philosoph Jean-Paul Sartre in seinem bekanntesten Drama Geschlossene Gesellschaft. Und an seiner existenzialistischen Analyse der conditio humana könnte etwas dran sein. Zumindest so: Im engeren Miteinander scheint jeder Einzelne das Glück oder Unglück des anderen mitzubestimmen. Das heißt: Es kann die Hölle sein. Muss es aber nicht.  

Ein Ort, an dem jeder wohl diese Erfahrung in unterschiedlicher Ausprägung gemacht haben dürfte, ist die Schule. Himmlische Erinnerungen an diese Zeit und diesen Ort werden wohl die wenigsten haben. Oft sieht es eher so aus: Die Schüler finden, die Lehrer machten ihnen das Leben zur Hölle - und die Lehrer wiederum finden, es seien umgekehrt die Schüler, die ihnen das Leben zur Hölle machten. Angesichts der hübschen Idee, gemeinsam zu lernen, eigentlich seltsam. Doch wie so oft klaffen auch hier Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Diese Lücke zu schließen - sprich in gelingendem und wertschätzendem Miteinander zu lernen - erscheint vielen Lehrern gleichsam wie die Quadratur des Kreises.  

Um dem die Stirn zu bieten, hat der Carl-Auer Verlag nun eine neue Reihe Spickzettel für Lehrer - Systemisch Schule machen! gestartet, die sich - wie der Titel schon sagt - aus systemischer Perspektive mit dem Schulalltag beschäftigt, und zwar konstruktiv: Angesichts der gravierenden Missstände im sozialen Miteinander von Lehrern, Schülern und Eltern möchte die Reihe Pädagogen "die notwendige soziale Kompetenz in anschaulicher Weise und anhand konkreter Fragestellungen" vermitteln. Dabei ist die Perspektive klar: Statt Probleme stehen Lösungen und statt Defizite Ressourcen im Vordergrund. Das Ziel: positive Veränderungen für alle Beteiligten! Die im Spickzettel-Format gehaltenen Bände eins bis drei seien hier kurz vorgestellt.


Die Schüler zum Wasser führen


Den gewissermaßen systemischen Grundstein legt Gesa Staake mit ihrem Bändchen Motiviert in den Unterricht. Wie systemisches Denken und Handeln den Schulalltag erleichtert. Als langjährige Beratungslehrerin skizziert die Autorin aus systemischer Sicht, welche Rolle Lehrer und Schüler spielen und wie es um die eigenen Ressourcen, um Kommunikation, Motivation et cetera besser bestellt sein könnte. Grundlegende Leitlinie ist das englische Sprichwort, nach dem man ein Pferd wohl zur Tränke führen, nicht aber zum Trinken zwingen könne. Übersetzt heißt das: "Ob und in welchem Maße der Schüler sich auf das Lernen einlässt, folgt seiner inneren Psycho-Logik. Der Lehrer kann die äußeren Voraussetzungen für Unterricht schaffen - und das ist auch seine Aufgabe." Indem er für eine freundliche und ermutigende Atmosphäre sorgt, hätten die Schüler die Möglichkeit, sich auf das Lernen und den Stoff zu konzentrieren. Gleichwohl kann er keinen Schüler dazu zwingen, sich für den neuen Stoff zu öffnen.  

Diese Position hat mindestens zweierlei Gutes: Zum einen lässt sie dem Schüler seine Autonomie, zum anderen dehnt sie die Verantwortung des Lehrers nicht ins Unendliche aus. Vor diesem Hintergrund erörtert Staake Problemlagen und Lösungen anschaulich und praxisnah.


Schüler haben nicht nur ein Problem, sondern auch die Lösung


Einen spezifischeren Fokus hat Jürgen Pfannmöller in seinem Buch Der systemische Lehrer. Ressourcen nutzen, Lösungen finden. Ausgehend vom systemischen Grundansatz - der darauf blickt, "in welchem Zusammenhang (System) ein Problem entsteht und aufrechterhalten wird" - zeigt der Lehrer und systemische Berater anhand von typischen Schulsituationen, welche Haltungen und Methoden neue Handlungsoptionen im System Schule eröffnen. Hierzu erzählt er in der Ich-Perspektive kleine Geschichten, die die abstrakten Situationen Klassenraum, Unterricht und Beratungsgespräch anschaulich beleben und zur Eigeninitiative, zum Ausprobieren alternativer Herangehensweisen anregen. Dabei ist die Liste von Anwendungen abwechslungsreich: Sie reicht von der Entwicklung einer interessierten, neugierigen Fragehaltung des Lehrers, um Probleme von Schülern zu verstehen, über die Analyse des "inneren Teams" wie von "limitierenden Glaubenssätzen" bis hin zu Rollenspielen.  

Im Mittelpunkt steht bei Pfannmöller der Abschied von der Idee des schwachen Menschen: Im systemischen Ansatz versucht der Lehrer nämlich zunächst zu verstehen, wie ein Schüler sein Problem konstruiert und aufrechterhält. Ist er erst mal als Täter entlarvt, kann er sich von der Hilflosigkeit befreien. Pfannmöller: "Als systemischer Berater vertraue ich darauf, dass nur der Schüler weiß, wie sein Problem gelöst werden kann, und dass er die Lösung bereits in sich trägt."


Probleme in respektvollem Zusammenwirken lösen


Leider gibt es Konflikte nicht nur zwischen Lehrern und Schülern, sondern auch zwischen Lehrern und den Eltern der Schüler. Ob nun offen, weniger offen oder verdeckt. Auf jeden Fall beschäftigen sie beide Parteien und kosten Kraft. Deshalb ist es nur sinnvoll, diesem Thema einen eigenen Ratgeber zu widmen, wie es Inge Maria Mandac mit ihrem Buch Lehrer-Eltern-Konflikte systemisch lösen tut. Wer aus einem Albtraum von streitbaren Schülern auf der einen und streitbaren Eltern auf der anderen Seite nicht mehr aufzuwachen meint, dürfte froh über jeden Weg in eine konstruktive Wirklichkeit sein. Diesem Ziel hat sich Mandac als Lehrerin, systemische Beraterin, Mediatorin und Elterntrainerin gewidmet. Sie gibt Lehrenden praktische Tipps, um Probleme nicht eskalieren zu lassen, sondern in einem respektvollen Zusammenwirken gewinnbringend zu lösen.  

Zentrale Themen sind dabei: Konflikte verstehen, Konflikte klären, Kooperation und Kommunikation entwickeln. In diesem Rahmen stellt die Autorin Leitfäden für die Gesprächsgestaltung zur Verfügung; ergänzt werden diese neben den theoretischen, aber praxisorientierten Ausführungen durch Vorlagen für die Elternarbeit, die via Internet abgerufen werden können.


Spicken ist okay


Da sich Spickzettel in guter alter Tradition gehalten haben - insbesondere wegen ihrer Wirksamkeit -, dürfte der neuen Ratgeber-Reihe nur Gutes beschieden sein. Und welcher Schüler nähme es seinem Lehrer übel, wenn dieser ab und an mal spickte, um den Schüler besser zu verstehen und ihm damit einen freudvolleren Lernweg zu bahnen?  


changeX 05.02.2014. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zu den Büchern

: Motiviert in den Unterricht. Wie systemisches Denken und Handeln den Schulalltag erleichtert. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2013, 96 Seiten, 8.95 Euro, ISBN 978-3-8497-0014-0

Motiviert in den Unterricht

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: Der systemische Lehrer. Ressourcen nutzen, Lösungen finden. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2013, 96 Seiten, 8.95 Euro, ISBN 978-3-8497-0012-6

Der systemische Lehrer

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: Lehrer-Eltern-Konflikte systemisch lösen. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2013, 95 Seiten, 8.95 Euro, ISBN 978-3-8497-0013-3

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Autor

Sascha Hellmann
Hellmann

Sascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

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