Ballast abwerfen
Sein Name steht für Innovation. Der Manager Thomas Sattelberger hat für mehrere DAX-Konzerne gearbeitet, er war unter anderem Personalvorstand bei Conti und bei der Telekom. In seiner Autobiografie zieht er die Bilanz seines Arbeitslebens. Und liest dem deutschen Management die Leviten.
Einer der kreativsten deutschen Wirtschaftsmanager rechnet ab. Thomas Sattelberger, der mit der Lufthansa School of Business die erste Corporate University in Deutschland gründete und bei der Telekom eine 30-prozentige Frauenquote für Führungspositionen initiierte, widmet seine Autobiografie Ich halte nicht die Klappe nicht nur der Bilanz des eigenen Lebens.
Sattelberger nutzt seine jahrzehntelangen Erfahrungen in den Chefetagen deutscher Konzerne auch, um den Zustand des deutschen Managements zu analysieren. Sein Fazit: Nicht nur die Wirtschaft, auch die Politik reagiert zu langsam auf gesellschaftliche Veränderungen. Deshalb steht für Sattelberger fest: Deutschland braucht eine neue APO.
Der Ruf nach einer außerparlamentarischen Opposition kommt nicht von ungefähr. Sattelberger, der in Baden-Württemberg aufwuchs, engagierte sich als Jugendlicher Ende der 1960er-Jahre unter anderem in der Unabhängigen Sozialistischen Schülergemeinschaft, kämpfte als Teil der 68er-Bewegung für eine neue Gesellschaft.
Die letzten bolschewistischen Organisationen
Rückblickend sind es auch diese Erfahrungen, die ihn zum Reformer auf Lebenszeit gemacht haben. Sogar die Repressionen, die er zum Ende seiner APO-Zeit durch marxistisch-leninistische Aktivisten erfuhr, verknüpfen sich in seinem Buch mit Erfahrungen seiner Jahrzehnte im Zentrum des Kapitalismus.
Sattelberger sieht im Normierungszwang, der in großen Unternehmen herrscht, Parallelen zu seinen Erfahrungen als Jugendlicher. In einem Interview sprach er einmal davon, dass die DAX-30-Unternehmen in dieser Hinsicht die letzten bolschewistischen Organisationen seien.
Thomas Sattelberger jedoch nahm aus seiner 68er-Zeit für seine Jahrzehnte als Personalverantwortlicher in Unternehmen vor allem eines mit: Konzerne können nur gewinnen, wenn sie Vielfalt und Individualität fördern. Nach seinen Erfahrungen bei der Daimler-Benz AG, der MTU und der DASA, der Lufthansa AG, der Continental AG und bis 2012 als Personalvorstand bei der Telekom AG macht er fünf Trends aus, auf die die Wirtschaft und deren Führungskräfte reagieren müssen: den demografischen Wandel, die Migration, den gesellschaftlichen Wertewandel hin zu einer individualisierten Gesellschaft, der politische und zivilgesellschaftliche Druck auf Unternehmen, sich "anständig" zu verhalten, sowie die Digitalisierung.
Gefahr: Gleichschaltung
Zwei mögliche Schlüssel für die Gestaltung dieses Wandels sieht Sattelberger in verantwortlichem Handeln und in Diversity-Strategien. Die Vielfalt einer Organisation müsse noch vielfältiger sein als die Umwelt, in der sie agiert, so sein Befund. Diese flexiblen Handlungsmuster können seiner Meinung nach am besten erreicht werden, wenn die Hierarchien flach sind, Ideen von allen eingebracht werden können und auch bei der Einstellung der Mitarbeiter eine Diversity-Strategie gilt.
Dieser Strategie folgend ging Sattelberger in seiner Zeit als Personalvorstand schon weit über die Frauenförderung hinaus. Er sorgte für die Einstellung von Hartz-IV-Empfängern, förderte Migranten, bot berufsbegleitend Bachelor- und Masterstudiengänge an, versuchte das Unternehmen auch für Menschen mit bunten Lebensläufen zu öffnen. Denn die größte Gefahr für große Konzerne sieht er in der Gleichschaltung der Mitarbeiter.
Für das Management der Zukunft hält Sattelberger ein Bündel an Strategien bereit. Seine größte Kritik: Die Konzentration auf den Profit, das Shareholder-Value-Prinzip, hat dazu geführt, dass seit den 1990er-Jahren mehr und mehr Chefs wieder Feldherren spielen und nach dem Motto agieren: "Der Zweck heiligt die Mittel, Rücksichtslosigkeit ist normal." Sattelberger sieht diese Entwicklung in Deutschland besonders ausgeprägt, wodurch das deutsche Management den Anschluss an moderne Führungsmethoden verliert. Autonomie, Kollaboration, Diversität, Demokratie und Solidarität - das sind für den heute 65-Jährigen die wichtigsten Grundpfeiler eines modernen Unternehmens, und diese müssen von den Führungskräften immer neu verankert werden. Sattelberger sieht da für deutsche DAX-Unternehmen noch einen weiten Weg. Sein Rat: Ballast abwerfen.
Drop your tools
Als Sinnbild für schwerfälliges deutsches Management zieht er die von Karl E. Weick stammende Allegorie "Drop your tools" heran. Der amerikanische Organisationstheoretiker hatte untersucht, warum viele Feuerwehrleute in Colorado bei Großbränden in den Flammen umkamen. Seine Antwort: Sie hatten sich nicht von ihrer vermeintlich schützenden schweren Ausrüstung getrennt und waren deshalb zu langsam, um sich in Sicherheit zu bringen.
Thomas Sattelbergers Lebensbilanz ist nicht frei von Selbstgefälligkeit. Auch persönliche Differenzen dokumentiert er ausführlich, so etwa seinen Konflikt mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der DASA, Jürgen Schrempp. Aber Sattelberger dienen diese Abrechnungen nicht nur zur Selbstbestätigung, sondern er schärft an ihnen auch seinen Standpunkt zu den großen Defiziten des deutschen Topmanagements, und er gewinnt aus ihnen sein Leitbild für die Zukunft der deutschen Wirtschaft.
Zitate
"Ich bin fest gewillt, daran mitzuwirken, dass eine neue APO entsteht. So wie die Wirtschaft in vielen Feldern erstarrt ist, wie sie soziale Reformen und Innovationen benötigt, so ist auch die Politik in diesem Land sklerotisch und fast handlungsunfähig, agiert nur noch politisch-opportunistisch. Nur durch eine starke zivilgesellschaftliche Bewegung - sicher anders, professioneller, digitaler vernetzt und organisiert als vor 50 Jahren - bekommen wir das hin." Thomas Sattelberger: Ich halte nicht die Klappe
"Wer wie das Kaninchen auf die Schlange nur auf die Quartalszahlen starrt, dem gerät aus dem Blick, welche mittelfristigen Negativwirkungen auf Mitarbeiter und Kundschaft exzessives Erlös- beziehungsweise Kostenmanagement entfalten kann." Thomas Sattelberger: Ich halte nicht die Klappe
"Für Deutschland wünsche ich mir einen Aufbruch aus selbstgefälliger Zufriedenheit und Scheingemütlichkeit. Einen Ausbruch aus herrschenden Theoriekonzepten und Mustern, dominanten Ideen und ideologischen Zwangsjacken." Thomas Sattelberger: Ich halte nicht die Klappe
changeX 21.05.2015. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Karl E. Weick: Drop your tools. On reconfiguring Management EducationDrop your tools (PDF)
Zum Buch
Thomas Sattelberger: Ich halte nicht die Klappe. Mein Leben als Überzeugungstäter in der Chefetage. Murmann Publishers, Hamburg 2015, 260 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-867744201
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Autor
Lennart PaulLennart Paul ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Autor für changeX.