Denken neu designt

Zur "Revue für postheroisches Management", Heft 8: Design Thinking
Text: Jost Burger

Neu benannte Kreativtechnik oder Gestaltungsprinzip der Zukunft? Die neue Revue für postheroisches Management widmet sich dem Design Thinking. Und liefert ein anspruchsvolles, manchmal atemberaubendes und immer fruchtbares Heft.

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In Potsdam kann man es seit ein paar Jahren studieren, in Stanford auch: Design Thinking. Was den einen alter Wein in neuen Schläuchen ist, den anderen das entscheidende Paradigma des Denkens und Handelns bei der Gestaltung einer jetzt schon stattfindenden Zukunft, wird in den pragmatischen Erklärungen des Begriffes meist so umrissen: Design Thinking ist, wenn sich Menschen verschiedener Disziplinen zusammensetzen und in iterativen Prozessen, orientiert an den Bedürfnissen der Anwender, über Neues nachdenken, es umsetzen und testen: Nur so könne wahrhafte Innovation entstehen. Vor allem im US-amerikanischen Raum wird das Konzept eng mit David Kelley, Stanford-Professor und Gründer der IDEO-Designagentur, verbunden. Von den IDEO-Innovatoren stammen preisgekrönte CD-Spieler, Bürostühle, die erste industriell hergestellte Computermaus für Apple oder der "intelligente Stromzähler" für Yello Strom.  

Also doch vor allem eine Methode, um neue (ziemlich gute) Produkte in die Welt zu setzen? Die aber im Übrigen, wie manche meinen, einfach altbekannte Kreativtechniken in einen neuen Zusammenhang stellt? Natürlich ist da mehr dran. Sonst würde die Revue für postheroisches Management der Stiftung Management Zentrum X nicht ihre komplette aktuelle Ausgabe dem Thema widmen. Herausgekommen sind 160 Seiten auf gewohnt sehr hohem Niveau, das den komplexen Begriff in die Tiefe und die Breite und in seinen unterschiedlichen Interpretationen und Anwendungen ausleuchtet.


Zwischen Kreativtool und akademischer Disziplin


Welche Unterschiede das sein können, zeigt sich gleich zu Beginn des Heftes im Gespräch zwischen Heftherausgeber Bernhard Krusche und dem Berater, Designforscher und nicht zuletzt Professor Peter F. Stephan. Den Text kann man lesen als den Versuch eines Systemtheoretikers (Krusche), sich dem sehr akademisch orientierten Verständnis des Design-Thinking-Professors zu nähern, der zugleich die Nähe zur Praxis, zum Markt, fordert und es genau deshalb schafft, die gängige Anwendung des von IDEO/Kelley gepriesenen Innovationsinstrumentes als "Jugend forscht-Ansatz" ohne allzu viel Tiefgang zu kritisieren.  

Dem Leser will das nicht gleich einleuchten, bis Stephan klarstellt: "Design ist keine modische Überformung der Produkte am Ende des Produktionszyklus, sondern wird zum umfassenden Sensemaking des gesamten Unternehmens: The Design inspired Enterprise." Es geht ihm also - da wieder ganz Praktiker - ums Unternehmen und um die Rolle des Designers im Unternehmen. Denn: "Unternehmen müssen künftig kulturelle Kompetenz behaupten und diese in Form faszinierender Bilder anbieten. Im Zeitalter von sozialen Netzwerken und Open Innovation kann das aber nur als authentisch gelebte Kultur gelingen."  

Und wer das leisten soll, ist klar: "Es braucht jetzt extrem gut informierte Leute, die ästhetische und kognitive, systemische, technische und geschäftliche Aspekte integrativ bearbeiten können. Und die das so artikulieren, dass sie auf Management-Ebenen Gehör finden. Design ist in einer guten Position, diese Leute zu stellen, da hier Vorstellungskraft, Möglichkeitssinn und Durchsetzungskompetenz immer schon entwickelt wurden." 

Stephan fordert deshalb die Verankerung in der Wissenschaft einerseits - zum Beispiel durch die Einbeziehung systemtheoretischer und kognitionswissenschaftlicher Ansätze -, andererseits müsse Design Thinking auf die Fragen und Forderungen der "Next Society" eingehen. Designer vergleicht er mit den "Projektemachern" des 18. Jahrhunderts - "Denker, Macher, Beispielgeber, Pioniere des Dazwischen". Entstehen sähe er diesen Typus gern an einem dritten Ort, einem "enabling space" zwischen der Akademie mit ihrer Freiheit und dem Markt mit seinen Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Ein Beispiel: Das Betahaus in Berlin, das zunächst Computerarbeitsplätze vermietet hat und inzwischen mit der Open Design City auch Werkstätten anbietet, und wo mittlerweile die "müden Giganten des Industriezeitalters Schlange stehen, um sich inspirieren zu lassen".


Vom Design Thinking zum Redesigning Thinking


Ein Einstieg, der Lust auf sofortiges Weiterlesen (und -denken) macht in einem Heft, das seinem Thema entsprechend nie einfach ist und keine Management-Lifestyle-Lektüre für den Couchtisch darstellt. Dafür fehlen die "how to"-Häppchen, auch wenn "die Praxis" - soweit das geht - nicht zu kurz kommt. Gerade deshalb im Weiteren nur eine kleine Auswahl der durchweg bemerkenswerten Texte. Ganz im Sinne des Editorials, in dem Bernhard Krusche das Heft als "Streifzug durch die Vielfalt der Aspekte, die [Design Thinking] für nichtnormative Gemüter so attraktiv macht", beschreibt.  

Da sind zum Beispiel die Blogeinträge von Fred Collopy, einem der wichtigsten Autoren des amerikanischen Raumes zum Thema Management und Design. Viele seiner Beiträge erscheinen im ganz vorzüglichen Magazin FastCompany; die Ausgabe der Revue strukturieren fünf Blöcke mit Collopys Gedanken zum Thema - nebst ausgewählten Leserkommentaren. Schön zum Beispiel zu lesen, wie das simple Designprinzip des "stepping back" im Business-Design-Kontext so viel Begeisterung und fruchtbare Diskussion auslösen kann.  

Vor dem ersten Blogblock jedoch schreibt die Praktikerin und Wissenschaftlerin Nina Schoenian: "Von der Umgestaltung des Finanzsystems - Ein Zwischenbericht" und fragt zunächst ganz praktisch - wohl eher im "Jugend forscht"-Sinne: Worin besteht das Besondere am freien, interdisziplinären Designdenken? Was macht die Methode so vielfältig einsetzbar? Und wohin kann sie führen? Gerade sie setzt mit ihrem (ergebnisoffenen) Aufsatz einen Akzent in dem Heft, indem sie Design Thinking, Systemtheorie - die sowieso in vielen Texten auftaucht - und die zu gestaltende "Wirklichkeit" (in diesem Fall der Finanzmarkt) in Beziehung setzt. Am Schluss steht noch kein neues Geldsystem, aber Inspiration dazu, wie sich Design Thinking und Systemtheorie gegenseitig befruchten und wie sie in einen Prozess münden können, den Schoenian "Redesigning Thinking" nennt.


Furios durch die Forschung ...


Die Kulturphilosophin, Designtheoretikerin und Publizistin Yana Milev hingegen nimmt uns mit auf eine furiose Tour de Force. Ihr Beitrag "Allez! Dessin Aufräumung einer Begriffsinflation & Systematisierung gegenwärtiger Tendenzen der Designforschung" verspricht und liefert genau dies, verlangt dem Leser aber auch einiges ab. In einem sehr politischen Text beschreibt sie furchtlos auch die Problematiken umfassenden, menschlich zentrierten, auf die Zukunft gerichteten Designs, die zutage treten, wenn dieses zur Verschleierung der "wahren" Zustände gebraucht wird, wie wir es zum Beispiel am gut durchdiskutierten Greenwashing von Firmen erleben (welches ja auch Ergebnis eines Plots und damit eines Designs ist).  

Ähnlich politisch kann man Steffen Roth, Associate Professor für Markt und Organisationssoziologie in Eriwan lesen, der beschreibt, wie sich ein ganzes Land in einem - allerdings wohl kaum bewusst gestalteten Prozess - redesignen kann: nämlich Armenien. Offensichtlich hat der Autor gut hingeschaut in dem Land mit der völkerrechtlich, sagen wir einmal, problematischen Territorialgeschichte, das sich zur Rechtfertigung seiner Ansprüche auf Aserbaidschan allenthalben und quer durch die Gesellschaft politischer und historischer Mythenbildung bedient. Man merkt Roth die Faszination darüber an, wie hier - aus der Vergangenheit, für die Zukunft - eine neue Wirklichkeit entstehen soll.  

Des Weiteren spricht Meinhard von Gerkan darüber, wie man eine Stadt entwirft, Maren Lehmann beschäftigt sich mit den wunderbaren Collagen aus Vorlesungsnotizen und -zeichnungen Heinz von Foersters, und Fritz B. Simon klopft zwei Hollywood-Blockbuster auf ihre Designqualitäten ab.


... und konkret in die Praxis


Damit ist die Liste noch längst nicht zu Ende. Auf jeden Fall sei aber auf das Gespräch zwischen Ulrich Weinberg, dem Direktor der School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam und Sonja Zillner verwiesen. Zillner kümmert sich bei der Siemens AG um "Technologie- und Innovationsprojekte im Bereich Corporate Technology" und führt mit Weinberg ein "potenzielles Auftragsgespräch". Es ist aber eher eine Art Werkstattgespräch geworden, das gerade Menschen, die erstens zwar nichts gegen Theorie haben, aber zweitens doch lieber wissen wollen, was denn das jetzt konkret sei, dieses Design Thinking, anzuempfehlen ist. Konsequent stellt Zillner die Kernfragen des Praktikers: "Was ist der Nutzen von Design Thinking für Organisationen? Wie funktioniert das in der Praxis? Wie laufen solche Projekte ab? Die Antworten sind so praxisnah und zugleich auf hohem Niveau. Am Ende zeigt sich Zillner überzeugt. Aber vorher muss sie einen Auftrag für das Institut noch mit ihren Vorgesetzten klären ...  

Was wir für einen schönen Schluss halten, obwohl das Heft, wie gesagt, damit noch nicht zu Ende ist. Aber es scheint so trefflich zu illustrieren, wo Design Thinking heute - zumindest für Organisationen - oft noch steht: im Mittelbau. Ganz oben ist es noch nicht ganz angekommen. Aber vielleicht die "Next Society" prägend. Aber, um noch einmal aus dem Editorial zu zitieren, das mit Marie Luise Kaschnitz endet: "Und wer weiß, ob im undurchsichtigen Sack Zukunft nicht auch ein Entzücken steckt." 


changeX 15.04.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Revue für postheroisches Management. Heft 8 | Design Thinking. , Berlin 2011, 162 Seiten

Revue für postheroisches Management

Autor

Jost Burger
Burger

Jost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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