Pure Strategie

Strategien für Herausforderer - das neue Buch von Robert Edward Neurohr
Rezension: Jost Burger

Hannibal, Caesar und Napoleon schlugen ihre Schlachten in längst vergangenen Zeiten. Wachstumsorientierte Unternehmen können aber auch heute noch von ihnen lernen. Denn Schlacht, ihrer Gräuel entkleidet, ist Strategie pur.

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Managementbücher, die Geschäftsstrategien anhand berühmter Schlachten beschreiben, haben eine lange Tradition. Und Werke, von Feldherren selbst geschrieben, dienen Millionen von Managern - nicht nur im angelsächsischen Raum - als Vorbild und Inspiration. Die Kunst des Krieges des chinesischen Generals Sunzi verkauft sich seit Jahren weltweit wie geschnitten Brot, Carl von Clausewitz’ Vom Kriege findet sich regelmäßigen auf den Leselisten von Topmanagern - und demnach auch auf denen all derer, die ihnen nacheifern. 

Ist ja auch klar. Selbst die freundlichen Umfassungen, die uns im Zeitalter von Social Media allseits kooperative, nicht hierarchische Organisationen (früher bekannt als "Firmen") angedeihen lassen, haben nur eins zum Ziel: Marktanteile zu erobern. Da, schon wieder zwei Begriffe aus dem militärischen Bereich: "Umfassung", "erobern".


Erfolg kommt nur durch Strategie


Besonders spannend, aber auch der besonderen strategischen Weitsicht bedürfend, sind Situationen, in denen ein kleiner Newcomer den großen Platzhirsch herausfordert.  

Findet auch Robert Edward Neurohr, der sich der Sache in seinem Buch Strategien für Herausforderer widmet. Solche Kämpfe David gegen Goliath sind globale Normalität. Festzementierte Macht- und Marktverteilungen gehören der Vergangenheit an, viel schneller als noch vor wenigen Jahrzehnten wechseln Anbieter Positionen, Marktanteile und gar den Herkunftskontinent.  

Diese moderne Welt ist vielfach beschrieben. Rezepte, wie ein kleiner Herausforderer den Branchenprimus überwinden kann, findet Neurohr in der Vergangenheit. "Caesar & Co.", wie er schreibt, machen uns seit Jahrtausenden vor, wie strategische Weitsicht einen scheinbar unüberwindbaren Gegner bezwingt. Auch wenn der vor Kampfeskraft - sprich, Liquidität, Produktionskapazität, Kontrolle über Vertrieb und Schlüsseltechnologien - nur so strotzt. Zentraler Angriff hilft da nichts. Ein zentraler Satz des Buches lautet: "Ein Herausforderer kann das Potenzial seines großen Gegenspielers weder ignorieren noch übertreffen. Also muss er es neutralisieren."  

Neurohrs kleine Provokation dabei ist die Aussage, dass so ein Kampf meist nicht auf der operativen Ebene gewonnen wird. Es ist egal, wie gut der Kundenservice läuft, wie reibungslos die Geschäftsprozesse ineinandergreifen, ja selbst die Qualität der Produkte ist nicht entscheidend. Erfolg kommt nur durch Strategie.


Die Schwachstelle finden


Die findet sich nach dem sogenannten "ANA-Bauplan." ANA steht für Achillesferse, Neutralisierungsmanöver und Angriffsmanöver. Bevor sich David ans Fällen von Goliath macht, sollte er sich deshalb in einem "Lagefenster" einen guten Überblick über die Aufstellung seines Gegners verschaffen. In diesem Teil des Buches finden sich die ersten militärischen Lagepläne von sich gegenüberstehenden Heeren. Nur dass das Zentrum mit der Hauptstreitmacht hier für das Hauptgeschäftsfeld und die Flanken mit den Hilfstruppen für die weniger bedeutenden Nebenfelder stehen. Überall zugleich ansetzen kann der Herausforderer nicht, will er nicht von der Macht des Gegners überrannt werden. Es gilt also, die Schwachstelle zu finden.  

Auf fünf historische Schlachtfelder führt Neurohr seinen Leser, fünf Strategien, die auch für wachstumsgetriebene Unternehmen gelten, stellt er vor: die Umfassung, die Überdehnung, das Brechen etablierter Strukturen, das "Antizipieren der Erwartungswelle" und das Nutzen von Randsegmenten als Sprungbrett. Wer keine Berührungsängste gegenüber ein wenig Militärgeschichte hat, wird sich schon an den Schlachtenbeschreibungen freuen. Umso erhellender dann die Übertragung auf die heutige Welt. Die Erfolge von Firmen wie Ryanair, Apple, Oracle oder der ING-DiBa etwa werden anhand der Strategien der jeweiligen Schlachtenführer klar und hellsichtig beschrieben - und ebenso, wie man sie aufs eigene Unternehmen anwendet.  

Hannibal und eine Firma aus Hongkong sind solch eine Erfolgsgeschichte. Den berühmten karthagischen Heerführer verbinden die meisten mit seiner wagemutigen Alpenüberquerung - und der Schlacht bei Cannae, in der er 216 vor Christus ein zahlenmäßig überlegenes römisches Heer vernichtete. Weniger bekannt ist Techtronic Industries (TTI) aus Hongkong - doch sie steckt hinter bekannten Markennamen wie AEG oder Hoover. Diese Position eroberte sie sich, wie Hannibal einst die Römer schlug: mittels einer klassischen Umfassungsstrategie.


Über die Flanken


80.000 römische Soldaten, in der Mehrheit kampfesstarke Legionäre mit ihren Schwertern und schweren Rüstungen, standen nur 40.000 Karthagern gegenüber, die noch dazu leichter bewaffnet waren. Doch Hannibal hatte die Schwachstelle, die Achillesferse der Römer identifiziert. Sie setzten auf die brutale Wucht eines zentralen Angriffes der Legionäre und vernachlässigten dabei ihre schwachen Flanken. Hannibal ließ seine Truppen vor den heranrückenden Legionären zurückweichen. Gleichzeitig schickte er seine berittenen Truppen gegen die Reiterei der Römer an deren Flanken, die sich als nicht sehr kampfesstark erwies und bald floh. Unterdessen war das Gros des römischen Heeres langsam und unbemerkt an drei Seiten von karthagischen Fußtruppen umfasst worden. Die Falle zuschnappen ließ die Reiterei. Umringt kam der Großteil der römischen Legionäre im Zentrum gar nicht zum Kämpfen - der Gegner war neutralisiert. Hannibal ging zum Angriff über und rieb die doppelt so große Streitmacht auf.  

Ähnlich ging TTI vor. Jahrelang agierte das Unternehmen auf Nebenschauplätzen und produzierte vor allem im Auftrag anderer großer Marken Haushaltsgeräte und elektrische Werkzeuge. Die Großen der Branche konzentrierten sich - wie die römischen Truppen bei Cannae - aufs Hauptgeschäft: das Qualitätssegment, Forschung und Marketing, reife Märkte und direkte Absatzkanäle. Die Ränder des Marktes behielten sie kaum im Blick oder gaben sie ab. Doch in genau diesen Segmenten wurde TTI groß. Schritt für Schritt neutralisierte sie die schwachen Flanken des "Gegners", eignete sich geduldig wartend Schlüsseltechnologien an - nicht zuletzt aus der Position der "verlängerten Werkbank" - und ließ schließlich die Falle zuschnappen, indem sie große Marken kaufte, unter deren Namen sie ab dann ihre Produkte auch in den Kernmärkten der bisherigen Marktführer mit größtem Erfolg vertrieb.


Schlacht = Strategie pur


Schematische Darstellungen von Schlachten bieten den Vorteil, Vorgänge auf strategischer Ebene sehr augenfällig zu vermitteln. Neurohr gelingt es außerdem, in sehr gestraffter Sprache, aber in ausreichender Tiefe die Lehren aus dem historischen Hauen und Stechen zu ziehen. Vor allem aber überzeugt seine Übertragung auf die Fälle aktueller Markteroberungen und die einfachen, klaren Instrumente, die er daraus entwickelt. Das braucht es auch, Sunzi und Clausewitz schrieben schließlich für ihresgleichen, nicht für Manager. Die sollten sich etwa bei einer geplanten Umfassung intensiv mit den Nebengeschäftsfeldern des Konkurrenten auseinandersetzen. Wo wird ausgelagert, welche Vertriebskanäle werden vernachlässigt, welche Kundensegmente nicht bedient? Sind diese Marktanteile erobert, kann die Falle zuschnappen, weil der Platzhirsch zu sehr auf die Schlagkraft im Kerngeschäft gesetzt hat. Voilà, Hannibal gewinnt. Übrigens: Das altgriechische Wort "strategos" bedeutet - Feldherr.  


changeX 22.08.2012. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Strategien für Herausforderer. Mit Caesar, Napoleon & Co. die Branchenführer herausfordern und den Wettbewerb gewinnen. GABAL Verlag, Offenbach 2012, 232 Seiten, 29.90 Euro, ISBN 978-3-86936-434-6

Strategien für Herausforderer

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Autor

Jost Burger
Burger

Jost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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