Schwarze Katze von links
Unser Gehirn ist faul. Wenn wir glauben, kluge Gedanken zu hegen, folgt es in Wirklichkeit eingefahrenen Mustern. Wer sie durchbricht, denkt besser. Und das ist lernbar.
Es soll Menschen geben, die es zu vermeiden suchen, dass eine schwarze Katze von links ihren Weg kreuzt. Das bringt Unglück. Tut so ein Katzenvieh es doch und kurze Zeit darauf rutschen diese Menschen aus und brechen sich ein Bein, war’s natürlich die arme Katze. Statt an den Zufall zu glauben oder sich ernsthaft zu überlegen, warum sie das Gleichgewicht verloren haben (Unvorsichtigkeit? Zu viel getrunken?), greifen diese Menschen auf schnell abrufbare, abergläubische Erklärungsmuster zurück.
Klar, dass das Quatsch ist, weiß jeder. Niemand, der etwas auf sich und sein Denkvermögen hält, würde sich solchem Unsinn hingeben. Wirklich? Carl Naughton hat da so seine Zweifel. Als Linguist und vor allem als kognitiver Psychologe beschäftigt er sich mit dem menschlichen Denken - vor allem mit dem (scheinbar) bewusst gesteuerten Denken. In seinem Buch Der Autopilot im Kopf fasst er den Stand der Forschung zusammen, und der lautet so: "Beim Grübeln, Rätseln, Kopfzerbrechen, kurz bei jeglicher bewussten Verstandestätigkeit neigen wir dazu, uns unbewusst in mentale Sackgassen zu manövrieren, und tappen mit besorgniserregender Regelmäßigkeit in Denkfallen." Die gute Nachricht: Man kann das vermeiden. Man muss aber trainieren. Letzteres will Naughtons Buch vermitteln: Überkommene Denkmuster aufbrechen und erfolgreicher, ja besser denken.
Der CEO im Hirn
Und was hat das mit der schwarzen Katze zu tun? Sehr viel. Das Beispiel steht für die Neigung des menschlichen Gehirns, Probleme nach dem Prinzip "minimaler Aufwand, maximales Ergebnis" zu lösen. Im vorliegenden Fall: per gedanklichem Schnellschuss zu einer Ursache-Wirkungs-Erklärung zu kommen. Dass das Gehirn dazu neigt, Routinen zu bilden, wissen wir ja. Das spart Energie, hilft aber nicht bei der Lösung von neuen Problemen.
Diese Mechanismen erklärt Naughton zunächst in einem ausführlichen Kapitel über die Funktionsweise unseres Gehirns. Entscheidend beim Denken und Problemlösen ist ein kleiner Teil des Stirnhirns, der frontopolare Cortex. Er ist sozusagen der CEO, der die Regie über den Denkprozess führt. Hier wird entschieden, welche Informationen zur Lösung eines Problems herangezogen und welche als unwichtig oder unbrauchbar wieder "vergessen" werden. Hier im Arbeitsgedächtnis wird bewertet und fokussiert.
Leider haben wir zunächst gar nicht so viel Kontrolle über diesen CEO. Er wird - siehe Minimax-Prinzip - von der Neigung zur schnellen Lösung, aber auch von Emotionen und Werten und von Stimmungen beeinflusst. Er läuft auf Autopilot. Das führt dann zu den Denkfallen, wie wir sie alle kennen. Falsche Schlussfolgerungen etwa. Berühmtes Beispiel: Computer sind große Maschinen. Menschen stellen sich keine großen Maschinen ins Haus. Also brauchen Menschen keine Heimcomputer - so erklärt Naughton die Denkfalle, in der sich die Analysten von Arthur D. Little befanden, als sie in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts den Markt für privat genutzte Computer abschätzten.
Das Nächstliegende nicht denken
Autopilot ist ein sehr praxisorientiertes Buch. Dutzende solcher Denkfallen, und wie man sie vermeidet, füllen den Großteil des Buches: Wen setze ich auf diese Stelle? Wie präsentiere ich ein Thema in der Präsentation? Wie komme ich zur besten Kaufentscheidung? Wie verbinde ich Analyse mit Intuition? Immer geht es darum, das Nächstliegende erst einmal nicht zu denken. Einen Schritt zurückzutreten, sich der Grundlagen unseres Denkens bewusst zu werden und dann intelligentere Strategien zu entwickeln. Das ist Naughtons Stärke: Konkrete Problemlösungsstrategien in kurzen, überschaubaren Kapiteln anzubieten, die vor allem deshalb überzeugen, weil sie kognitionswissenschaftlich untermauert und erklärt sind.
Im Fall der falschen Schlussfolgerungen heißt das zum Beispiel: Alle Interpretationen einer Situation durchdenken und dabei Hypothesen bilden, die mit sprachlichen Tricks arbeiten. Also: "Wenn, und nur wenn die schwarze Katze von links über die Straße läuft, geschieht ein Unglück." Auf solcherlei Weise überlisten wir das Gehirn und verlangen vom Arbeitsgedächtnis - dem CEO -, eine Situation neu zu sehen und zu durchdenken. Weitere Techniken: "Verzerrung durch Überzeugung ausschalten", sprich - nur weil Ulrich Wickert etwas sagt, muss das nicht stimmen. Oder: Sich bewusst werden über die Emotionen, die unsere Entscheidungen mitprägen - und sie dann heraushalten. Und: Das Arbeitsgedächtnis trainieren. Mit logischen Denksportaufgaben, oh ja!
Besser und schlauer vorgehen
Wie dieses Training geht, dafür gibt es am Schluss ein Beispiel anhand eines immer komplizierter werdenden Denkspiels, das auf Silbenrätseln beruht. Sie kann vom Autor kaufen, wer will. Wer das Beispiel im Buch durcharbeitet, weiß, wie der Hase läuft, und findet vielleicht auch andere Wege.
Doch, ganz ehrlich: Allein schon wie dieses Buch unsere Denk- und Entscheidungsprozesse beleuchtet und uns konkrete Optionen eröffnet, besser und schlauer vorzugehen, macht es unbedingt lesenswert. Und das ist nun wirklich keine voreilige Schlussfolgerung.
Zitate
"Beim Grübeln, Rätseln, Kopfzerbrechen, kurz bei jeglicher bewussten Verstandestätigkeit neigen wir dazu, uns unbewusst in mentale Sackgassen zu manövrieren, und tappen mit besorgniserregender Regelmäßigkeit in Denkfallen." Carl Naughton: Der Autopilot im Kopf
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Zum Buch
Carl Naughton: Der Autopilot im Kopf. Entscheiden, Urteilen, Probleme lösen, ohne in die üblichen Denkfallen zu tappen. GABAL Verlag, Offenbach 2012, 304 Seiten, 24.90 Euro, ISBN 978-3869363349
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Autor
Jost BurgerJost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.