Kollaborativ Probleme lösen
2005 gründete David Kelley mit der d.school an der University of Stanford das erste Institut für Design Thinking. Zehn Jahre später gibt es weltweit verwandte Lehrinstitute, und die Methode wird von Studenten und Unternehmen begeistert aufgegriffen. In einem Erzählband berichten Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen von ihren Erfahrungen.
29 Menschen, ein Thema: Design Thinking. "Design Thinking hat sich in den letzten zehn Jahren von einer Methode zur Erfindung von innovativen Produkten zu einer ganzheitlichen Herangehensweise für die Lösung komplexer Probleme entwickelt", berichtet Annie Kerguenne vom Hasso-Plattner-Institut. Um diese Herangehensweise geht es im Sammelband Design Thinking Live, herausgegeben von Christoph Meinel, Ulrich Weinberg und Timm Krohn. Und vor allem um die Erfahrungen, die Menschen verschiedenster Couleur damit machen: Dozenten und Absolventen der Design Thinking Schools, Unternehmer und Manager, die die Methode anwenden. 29 Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen haben ihre Sicht beigetragen.
Um es vorwegzunehmen: Der Tenor ist bei praktisch allen begeistert. Und der Leser gewinnt dabei keineswegs den Eindruck, dass das nur an einer werbewirksamen Auswahl der Beitragenden liegt. Aufgebaut ist das Buch übersichtlich: Nach einer Einleitung, die einen Überblick über Entwicklung und Etablierung von Design Thinking gibt, sind die Beiträge sortiert nach Design Thinking in Bildung und Forschung, Design Thinking global, Design Thinking in der Industrie und Erfahrungen von D-School-Alumni. Die Beiträge sind alle anhand desselben Fragenkatalogs aufgebaut: Jeder Autor berichtet von persönlichen Erfahrungen, reflektiert, was für ihn das Essenzielle an der Methode ist, und beschreibt, wo er ihre Zukunft sieht. Erstaunlich, dass dennoch ganz unterschiedliche Artikel und verschiedene Aussagen zustande kommen - je nach Erfahrungswelt des Autors.
Einladung zum Perspektivenwechsel
So ist zum Beispiel für die Design-Thinking-Dozentin Julia von Thienen vor allem die Stimmung in den Seminaren wichtig. Die muss begeistert sein und gleichzeitig kritisch hinterfragend: Die Gruppe kann nur dann zu guten Ergebnissen kommen, wenn sie ständig nach dem Sinn der Fragestellung und der Zweckdienlichkeit der eigenen Methoden fragt. "Hingabe gehört im Design Thinking essenziell dazu", ist sie überzeugt. Nur so kommen am Ende Innovationen heraus, die wirklich etwas bewegen. Und Thienen beobachtet einen interessanten kulturellen Unterschied in der Anwendung von Design Thinking: In den USA wird die Methode spielerischer, flexibler gehandhabt, in Deutschland systematischer. Beides scheint zu guten Ergebnissen zu führen.
Carol Wong, die an der Gründung der Design Thinking School in Kuala Lumpur beteiligt war, findet es vor allem wichtig, dass die Methode Empathie fördert, das Verständnis für die echten Bedürfnisse der Zielgruppe. Martin Wegner von der Deutschen Post AG berichtet: "Ich habe erlebt, dass Design Thinking ein Ansatz ist, um vorhandene Denkmodelle zu hinterfragen, ein Vorgehen, das gerade in einem größeren Konzernumfeld ein ganz wichtiger Baustein sein kann, um zu echten Innovationen und Änderungen zu kommen."
Wolfgang Bayer von Siemens Healthcare hat die Erfahrung gemacht, dass Design Thinking eine bestimmte Unternehmenskultur voraussetzt: die Bereitschaft, Kunden nicht fertige Produkte und Dienstleistungen zu präsentieren, sondern diese gemeinsam mit ihnen zu entwickeln. "Design Thinking lebt also davon, dass neugierige und experimentierfreudige Menschen zusammenfinden und durch Fragen, Anregungen und greifbare Beispiele ein Projekt Stück für Stück nach vorne bringen", schreibt er.
Mit dabei auch Showmaster Frank Elstner. Er versteht Design Thinking vor allem als Einladung, neugierig zu bleiben, immer wieder neue Perspektiven kennenzulernen. Johannes Meyer von der HPI Academy hat dagegen eher die persönliche Lebenszufriedenheit im Auge. Er sieht die Sehnsucht der Menschen nach einer kollaborativen Arbeitskultur und sinnvollen Arbeit ein Stück besser erfüllt und konstatiert: "Design Thinking gibt Menschen das Selbstbewusstsein, etwas verändern zu können, und dieses Gefühl macht unglaublich zufrieden.
Aus vielen verschiedenen Blickwinkeln setzt sich so allmählich ein Gesamtbild zusammen.
Eine Art Multifunktionswerkzeug
Ob in der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, für soziale Projekte, in der Veränderung der Unternehmenskultur oder in der Psychotherapie und im persönlichen Coaching: Design Thinking, das wird an der Vielfalt der Beiträge deutlich, kann in den verschiedensten Lebensbereichen zur Lösungsfindung eingesetzt werden. Gemeinsam ist vielen Beiträgen das Motiv der Überraschung: Ideen und Arbeitsweisen, die sich in einem Design-Thinking-Prozess entwickeln, sind oft für alle Beteiligten überraschend. Aber dennoch nicht zufällig, sondern zielorientiert. Durch die iterative Arbeitsweise und den ständigen Realitätscheck werden die Folgen von Fehlentwicklungen minimiert. Auf der anderen Seite zeigen sich die Vorteile neuer Ideen nicht explosionsartig, sondern nach und nach, so, wie die Lösungen sukzessive übernommen und ausgeweitet werden. Die Revolution beginnt schleichend. Aber sie entwickelt Wucht.
Beeindruckend auch die Beispiele von erfolgreichen Innovationen, die durch Design-Thinking-Prozesse entstanden sind: von einem vom Stromnetz unabhängigen Inkubator für Frühchen über ein Vertriebssystem namens Bring Buddy, das die Alltagswege zahlreicher Menschen in Großstädten nutzt, bis hin zu einer Methode, um per Handy einen Überblick über die eigenen Finanzen zu bewahren. Unzählige Firmen wurden auf Basis von solchen Entwicklungen gegründet. Design Thinking wird so zu einer Art Multifunktionswerkzeug.
Über einen Punkt sind sich aber alle Autoren einig: So richtig vermitteln lässt sich die Methode nicht durch Worte. Am besten ist ausprobieren. Darauf macht dieses Buch so richtig Appetit.
Zitate
"Design Thinking hat sich in den letzten zehn Jahren von einer Methode zur Erfindung von innovativen Produkten zu einer ganzheitlichen Herangehensweise für die Lösung komplexer Probleme entwickelt." Annie Kerguenne in Design Thinking Live
"Hingabe gehört im Design Thinking essenziell dazu." Julia von Thienen in Design Thinking Live
"Design Thinking lebt davon, dass neugierige und experimentierfreudige Menschen zusammenfinden und durch Fragen, Anregungen und greifbare Beispiele ein Projekt Stück für Stück nach vorne bringen." Wolfgang Bayer in Design Thinking Live
"Design Thinking gibt Menschen das Selbstbewusstsein, etwas verändern zu können, und dieses Gefühl macht unglaublich zufrieden." Johannes Meyer inDesign Thinking Live
changeX 06.02.2015. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Christoph Meinel, Ulrich Weinberg, Timm Krohn: Design Thinking Live. Wie man Ideen entwickelt und Probleme löst. Murmann Publishers, Hamburg 2015, 272 Seiten, 25.00 Euro, ISBN 978-3-867744270
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Autorin
Ute WielandtUte Wielandt ist freie Texterin in Ingolstadt. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.