Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen
Markenführung gehorcht allein sozialen Gesetzmäßigkeiten. Sagen zwei Markenexperten, die die klassischen Ansätze für Unsinn halten. Sie fordern: Markenwerbung muss immer die Markenleistung transportieren, wegen der sie Vertrauen genießt.
Focus Groups? Markenkern? Kennzahlen, Likes, emotionale Werbebotschaften und Neuromarketing? Alles Unsinn. Alles Mythen rund ums Marketing, um die Werbung - um die Marke. Marke ohne Mythos heißt das neue Buch von Arnd Zschiesche und Oliver Errichiello, den beiden Markenspezialisten aus Hamburg, zu deren - nun ja - Markenkern es gehört, die klassischen Theorien zur Markenführung über den Haufen zu werfen. Sie sagen: "Langfristiger Markenaufbau geschieht allein auf Grundlage sozialer Gesetzmäßigkeiten."
In Fortführung eines Buchs aus den 1960er-Jahren - Rosser Reeves’ Werbung ohne Mythos - unternehmen sie nichts weniger, als Markenführung (und damit Werbung und Marketing) auf die Füße zu stellen. Reeves predigt die konsequente Konzentration auf den Produktnutzen. Eine Werbung soll sagen, was das Produkt kann und warum es das besser kann als alle anderen. Alles andere sei Unsinn.
Denselben No-Nonsense-Ansatz übertragen die Autoren nun auf die Marke. Sie lassen das Wort Mythos nur gelten für das, was die Kunden draus machen. Ein Unternehmen aber, dem die Marke gehört, sollte sich von der inhaltsleeren Mythisierung um seiner selbst willen fernhalten: "Der Mythos um Marken entsteht allein über deren Leistungen - niemals über Marketing-Worthülsen von Kompetenz, Innovationskraft und Serviceorientierung." In der Praxis bedeutet das, eben diese Leistungen in den Mittelpunkt zu stellen: "Das Unternehmen hat die völlig mythenfreie Aufgabe, diese immer wieder aktuell zu erbringen - nichts anderes." Starker Tobak. Es kommt aber noch dicker: "Kennzahlen und Marktforschung sind keine seriösen Markenführungsinstrumente."
Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen
Was aber dann? Die Antwort lautet: Vertrauen. "Vertrauen bleibt die schnellste und vor allem die einzige echte soziale Verbindung zwischen Menschen." Vertrauen steht hier für eine soziale Kraft, die Menschen an Gruppen, an Produkte und Marken bindet, die sie attraktiv finden. Attraktiv und wirtschaftlich stark sind Marken aber nur, weil sie eine dauerhafte Leistung erbracht haben. So fassen Menschen Vertrauen zu ihr, ein positives Vorurteil über Leistung und Unternehmen entsteht. Und diese Leistung gilt es immer wieder zu kommunizieren. "Mehr nicht."
Klingt vertrackt? Ist aber eigentlich ganz einfach. Sparkassen zum Beispiel. Sparkassen sind nicht hip. Menschen sind Sparkassenkunden, weil Sparkassen Sicherheit bieten und keine Experimente. Gute Markenführung schlägt sich dann in Werbung nieder, die genau das ausstrahlt. Auch wenn das nicht sexy ist: "Emotionale" Sparkassenwerbung, die nicht an die Markenleistung erinnert, ist im besten Fall verschenkt - im schlechtesten Fall zerstört sie Markenwert.
Ein gelungenes Beispiel gefällig? Audi. Natürlich lebt Audi auch vom Mythos. Aber der wiederum beruht auf dem Anspruch, technisch führend zu sein. Eine gelungene Werbung, die "unterhält" und "Witz" hat, aber die Markenleistung transportiert, ist jene, in der ein Manager auf Geschäftsreise verzweifelt den Tankdeckel sucht. Sein neuer A6 TDI ist eben so wahnsinnig sparsam - weil die Markenleistung von Audi eben Technik, in diesem Fall kräftige und sparsame Motoren lautet.
Beharrlich den Mythos Marke demontieren
Klingt nicht neu, Vertrauen und Marke zusammenzubringen. Neu ist aber die Beharrlichkeit, mit der die Autoren immer wieder den Mythos Marke demontieren und an den gesunden Menschenverstand appellieren, schlicht und einfach die erwartete und vertrauenerweckende Leistung zu kommunizieren. Das tun sie sehr konkret und mit zahlreichen Beispielen. Einzelne Kapitel sparen sich Zschiesche und Errichiello dabei aber. Wer ein Inhaltsverzeichnis sucht, sucht vergeblich.
Wichtige Kernsätze fassen die Seiten oben und unten ein, man kann auch nur sie lesen und auf die (sehr konzisen) Details dazwischen verzichten. Ab und zu leitet eine sehr große Typo so etwas wie einen neuen Abschnitt ein. Allzu viele Kästen, Checklisten und Grafiken gibt es nicht. Dennoch lernt man sehr viel - erfährt etwa von der Bedeutung eigenähnlicher Werbung und Markenführung (Bärenmarke: Immer, bis in alle Ewigkeit, den Bären ins Bild tun!) oder lernt die fünf Indikatoren für kräftige Markenführung kennen (zum Beispiel Nummer 3: Auch für den größten Markenmythos zählt als Begründung nur eins: Fakten, Fakten, Fakten!). Zum Schluss finden sich noch einmal ordentlich die zehn wichtigsten Regeln zur Markenführung.
Und was sagen die beiden zu Social Media? Vor allem dies: Im Netz geht’s grad so zu wie im richtigen Leben. Nichts anderes heißt es, wenn sie schreiben: "Die Gesetze der Markenführung im Allgemeinen und von Marke im Speziellen gelten auch in sozialen Netzwerken." Ein Schlag ins Gesicht für alle Netzgurus, die seit Jahren inbrünstig von der neuen Kommunikationswelt und der Notwendigkeit eines netzspezifischen Auftritts reden. Und dann zum Beispiel im Netz zur Gestaltung eines Produktlabels aufrufen - aus Sicht der Autoren eine Ursünde, nimmt sich das Unternehmen doch so die Kontrolle über seine Marke. Ein weiterer beliebter Fehler: "Fans" mit Käufern zu verwechseln. Ein "Like" ist erst einmal nur ein "Like", nichts anderes. Aber, auch das eine Provokation: "Soziale Netzwerke scheinen in einigen Managergehirnen Vernetzungen unterbrochen zu haben." Vielleicht erklärt sich damit die Einschätzung der Autoren, dass es im Netz zu Dingen kommt, die in anderen Medien undenkbar wären: Ansprachen, die mit dem Rest des Unternehmens nichts zu tun haben, unpassende Texte, Abbildungen und Aktionen, die alle "aktive Wertvernichtungen der Marke" bedeuten. Man denke nur ganz kurz an die Probleme, die Facebook schon länger mit der oft unpassenden Werbung hat, die neben Unternehmens-Posts auftauchen. Überhaupt ist der ganze Mitmach- und Interaktionsgedanke die Sache der Autoren nicht: Das Unternehmen steuert schließlich die Marke, nicht die Käufer und schon gar nicht Online-"Freunde".
Wer aber auf Facebook und Co. nicht verzichten mag, der sollte die Sache ernst nehmen und sie nicht dem Praktikanten überlassen. Und sich einige Fragen stellen - neben der nach genügend Mitarbeitern für die Netzwerkpflege etwa diese: "Sind Ihre Posts so eigenständig, dass nur Ihre Firma damit in Verbindung gebracht werden könnte?" "Sind Sie bereit, auch ungerechte und polemische Kritik öffentlich einsehbar zu behandeln?" Aber auch die Frage, ob die Markenleistung so interessant ist, dass sich Menschen in ihrer Freizeit damit bewusst auseinandersetzen möchten - denn Netzwerke sind eben auch Freizeitvehikel. Allzu viele Neins legten nahe, es mit der Netzwerkkommunikation besser einfach sein zu lassen.
Ein ganz anderes Buch über Marke
Spätestens hier wird klar, dass man hier einmal ein anderes Buch über Marke vor sich hat. Der durchökonomisierte Begriff der Marke wird konsequent aus soziologischer Sicht gesehen - und prompt erscheinen "soziale" Netzwerke in nüchternem Licht. Wer mag, kann hier auch den Trend weg von der instrumentellen, rationalisierten, industrialisierten Welt des 20. Jahrhunderts sehen.
Wahrscheinlich aber geht es um den gesunden Menschenverstand und die Rückbesinnung auf einfache, im Grunde längst bekannte Marketing-Regeln, die im Buch auf leicht zu erfassende Weise wieder in Erinnerung gerufen werden. Lesen sollen das natürlich Kommunikationsfachleute, Werber, Marketing- und Markenverantwortliche und, geht man vom zuweilen aufscheinenden Spott über die Konkurrenz aus, vielleicht auch der eine oder andere "Markenguru". Genauso lohnten sich die rund 250 Seiten aber auch für "alle Menschen, die immer schon wissen wollten, wie Markenbildung wirklich funktioniert und was genau sich hinter dem allgegenwärtigen Faszinosum verbirgt", wie es in den einleitenden Bemerkungen heißt. Das allerdings stimmt. Es lohnt sich schon allein, um zwei Markenberater über Facebook lästern zu lesen, und für alle anderen Mythenentfernungen auch.
Zitate
"Langfristiger Markenaufbau geschieht allein auf Grundlage sozialer Gesetzmäßigkeiten." Arnd Zschiesche, Oliver Errichiello: Marke ohne Mythos
changeX 06.06.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Arnd Zschiesche, Oliver Errichiello: Marke ohne Mythos. Das erste ehrliche Markenbuch oder warum so viele Menschen einen MINI brauchen. GABAL Verlag, Offenbach 2013, 256 Seiten, ISBN 978-3-86936-476-6
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Jost BurgerJost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.