Eile mit Weile
Immer nur ans Wachstum denken? Und 60 Stunden die Woche arbeiten? Das gilt vielleicht für das übliche Gründer-Klischee. Die meisten Gründer aber sind Selbständige, die einfach nur unabhängig arbeiten wollen. Und individuell wachsen. Sagt Svenja Hofert. In ihrem neuen Buch beschreibt sie, wie man dahin kommt.
Deutschland ist kein Gründerland. Die Gründerquote liegt hierzulande konstant bei elf Prozent und damit im Keller der europäischen Rangliste. Diese Zahl zitiert auch Gründungsberaterin Svenja Hofert in ihrem neuen Buch Das Slow-Grow-Prinzip. Doch anders als die meisten Kommentatoren sucht sie die Gründe nicht nur in der mangelnden Risikobereitschaft der Deutschen. Sie macht vielmehr das Bild verantwortlich, das viele Berater, der überwiegende Anteil der Managementliteratur und (verbeamtete) Uniprofessoren von der sogenannten "Unternehmerpersönlichkeit" zeichnen: mystischer Übermensch, unablässiger Innovationstreiber, wachstumsorientierter Investitions- und Renditefetischist. "Wer traut sich denn in eine Gründung, wenn er glaubt, keine Unternehmerpersönlichkeit zu sein? Wer wagt sich ins Abenteuer Selbständigkeit, wenn er sich dem Druck eines ‚Think Big!‘ aussetzt oder den Zahlen eines Businessplans unterwirft?" Fragt Hofert, und, sagen wir es doch deutlich: Sie hat ja recht!
Dagegen setzt Hofert das Credo des modernen Gründers, der auch statistisch gesehen in der ganz großen Mehrzahl der Fälle einfach ein Selbständiger ist. Einer, der nicht der Nachwelt ein Firmenimperium hinterlassen will, sondern einfach in relativer Unabhängigkeit "sein Ding" machen möchte (und natürlich auch Geld verdienen will).
Einfach machen, was zu einem passt
Und dieser Typ Selbständiger tickt eben ganz anders: "Die meisten Selbständigen brauchen Zeit, um sich und ihre Idee zu entwickeln", schreibt Hofert. Und "die allermeisten Menschen brauchen Schuhe, die passen, und gehen erst einmal überschaubare Schritte. Die meisten wollen ,gesund‘ gründen." Man könnte auch sagen: "Numeh ned huddle" - baden-württembergisch für "Nur nichts überstürzen". Immerhin darf sich Baden-Württemberg zu den wirtschaftlich eher erfolgreichen Bundesländern zählen.
Wobei es Hofert nicht darum geht, den Wert von Fleiß und Disziplin herunterzuspielen. Ihre Aussage lautet: Lieber langsam wachsen, dafür so, wie es zu mir passt, und sich auf keinen Fall von vorgefassten Meinungen und Lehren kirre machen lassen.
Hofert setzt ihren Ansatz folgerichtig in die "9 Slow-Grow-Regeln" um. Die setzen darauf, persönliches Wachstum mit unternehmerischem Wachstum in Einklang zu bringen. Schon die Kapitelüberschriften warten mit zahlreichen "Regelverstößen" auf. Zum Beispiel Regel Nummer eins: "Sie müssen keine Unternehmerpersönlichkeit sein! Sondern: Die Art der Selbständigkeit muss zu Ihnen passen." Oder, wie die Autorin weiter schreibt: "Sie müssen weder 60 Stunden pro Woche arbeiten noch BWL studieren noch Führung lernen. Machen Sie einfach, was zu Ihnen passt."
Woraufhin sie dem geneigten Gründungsinteressierten ein Vierfaktorenmodell an die Hand gibt, mit dem sich recht überzeugend das eigene Persönlichkeitsprofil möglichen Tätigkeitsfeldern zuordnen lässt. So sind bei Beratern Persönlichkeit und Kompetenz wichtig, Innovationen dagegen weniger. Letztere braucht es dann, wenn ein Internetportal sich am Markt behaupten soll.
Selber denken
Solch praktische Umsetzungen gibt es am Schluss jedes der neun Kapitel. Wenn es zum Beispiel ums liebe Geld geht (Regel Nummer vier: "Falsch: Sie brauchen Geld. Richtig: Sie brauchen Zeit"), wird zunächst dargelegt, dass die Gründungen am erfolgreichsten sind, die am Anfang zwischen 5.000 und 10.000 Euro für eine gute Website, eine CD und vielleicht eine Geschäftsausstattung ausgeben - und ansonsten nicht auf bankenfinanzierte Marketingschlachten setzen, sondern auf klug eingesetztes Networking. Wer darüber hinaus doch höhere Geldsummen investieren muss, dem beschreibt Hofert im Praxisteil dann Möglichkeiten wie den Verwandtenkredit oder die Gewinnbeteiligung von Freunden, die geringe Einlagen machen. Auch hier gilt: Nicht den üblichen Pfaden folgen, selber denken.
Für mich die wichtigste Regel ist die neunte: "Falsch: Sie müssen wachsen. Richtig: Verändern Sie sich." Dieses Kapitel mündet in Ratschläge, wie man aus der sogenannten Hamsterradphase heraus- und in eine dem Streben nach Unabhängigkeit entsprechende "Veränderungsphase" kommt. Die "Hamsterradphase" ist erreicht, wenn Gründung und Existenzsicherungsphase abgeschlossen sind und die Geschäfte im Grunde gut laufen - aber die Arbeit kaum beherrschbar ist. Es ist der bekannte Zustand des Fremdbestimmtseins, dem viele erfolgreiche Gründer ausgesetzt sind, die einfach nur noch versuchen, allen Kundenanfragen gerecht zu werden.
Hier rät Hofert, genau zu analysieren, wohin man will mit seiner Gründung - und mit seinem Leben. Und das kann dann bedeuten, zu wachsen. Das kann aber auch bedeuten, sich auf bestimmte Kunden oder Angebotsgruppen zu beschränken, andere Aufgaben aber abzugeben. Auf jeden Fall bietet diese Phase die Möglichkeit, das eigentliche Ziel der Selbständigkeit zu erreichen - selbstbestimmt und (mehr als) existenzsichernd sein eigener Chef zu sein. Auch hier gilt: Bloß nicht vorgegebenen Denkmustern folgen, sondern den gesunden Menschenverstand einsetzen. Für eine erfolgreiche "Wir machen alles"-Werbeagentur kann das zum Beispiel bedeuten, bestimmte Teile wie Texten oder Webdesign outzusourcen, und nur noch Werbefilme zu machen - und damit richtig zufrieden zu sein.
Auf dem Weg zu einer zufriedenen, eigenständigen Existenz
Das wird im zweiten Teil des Buches noch auf ganz andere Weise deutlich. Dort finden sich Interviews mit Gründern, die es anders gemacht haben. Sozusagen die "wahren" Selbständigen - von der freien Beraterin bis zum Musikproduzenten. Da rät eine Positionierungsexpertin dazu, nicht immer auf Wachstum zu setzen. Da spricht eben jener Musikproduzent ganz ehrlich davon, dass er wirtschaftlich gar nicht so sehr erfolgreich, aber mit seiner Arbeit zufrieden ist, weil sie ihm entspricht.
Hoferts Buch ist keine Beruhigungspille für Leute, die ohne Anstrengung selbständig ihr Geld verdienen wollen. Auf bald jeder Seite wird betont, dass es ohne Arbeit, Fleiß und Disziplin nicht geht. Doch Hofert macht auch klar: Diese Tugenden sind eben kein Selbstzweck. Sie sind Vehikel auf dem Weg zu einer zufriedenen, eigenständigen Existenz. Vorausgesetzt, sie werden klug eingesetzt und folgen keinen Stereotypen und Klischees.
Zitate
"Wer traut sich denn in eine Gründung, wenn er glaubt, keine Unternehmerpersönlichkeit zu sein? Wer wagt sich ins Abenteuer Selbständigkeit, wenn er sich dem Druck eines ‚Think Big!‘ aussetzt oder den Zahlen eines Businessplans unterwirft?" Svenja Hofert: Das Slow-Grow-Prinzip
"Die meisten Selbständigen brauchen Zeit, um sich und ihre Idee zu entwickeln." Svenja Hofert: Das Slow-Grow-Prinzip
changeX 14.10.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Svenja Hofert: Das Slow-Grow-Prinzip. Lieber langsam wachsen als schnell untergehen. GABAL Verlag, Offenbach 2011, 280 Seiten, 24.90 Euro, ISBN 978-3-86936-236-6
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Autor
Jost BurgerJost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.