Einfach da
Jedes Unternehmen hat sie, sie ist ständig und überall präsent, nichts geschieht ohne sie, beeinflussen lässt sie sich jedoch nur schwer, steuern gar nicht: die Unternehmenskultur. Doch was ist Unternehmenskultur überhaupt? Und inwieweit lässt sie sich gestalten? Ein neuer Band aus der Reihe der kleinen Einführungen nimmt das Phänomen systemtheoretisch unter die Lupe.
Tja, Unternehmenskultur? In einem vorwissenschaftlichen Sinne ist die Frage danach samt Antwort recht unproblematisch und könnte - salopp paraphrasiert - schlicht lauten: "Wie tickt denn der Laden so?" Illustrativ auch ein Gedankenspiel aus der Praxis: Stellt ein neuer Mitarbeiter der Marketingabteilung die Frage nach den strategischen Zielen des Unternehmens, so ist es die Unternehmenskultur, die darüber entscheidet, wie diese Frage aufgefasst wird: Ein und dasselbe Verhalten könnte in Unternehmen A als Zeichen für die strategische Kompetenz der Person gedeutet werden, in Unternehmen B als Frechheit ("Strategie ist Chefsache, was geht den das denn an!") und in Unternehmen C als Dummheit ("Wenn der die strategischen Ziele nicht versteht, ist ihm nicht zu helfen!").
Aber was Unternehmenskultur in einem theoretischen Sinne denn sei, ist schon schwieriger zu beantworten. Sicher ist zumindest, dass jedes Unternehmen sie hat, dass sie ständig und überall präsent ist, dass jeder im Unternehmen mehr oder weniger bewusst danach handelt, dass sie aber in der Regel nicht thematisiert wird.
Umso bemerkenswerter ist deshalb, was Christina Grubendorfer in ihrem neuen Buch Einführung in systemische Konzepte der Unternehmenskultur, einem recht schmalen Büchlein aus den Einführungen des Carl-Auer Verlags, leistet: Behutsam nimmt die Autorin den Leser an der Hand und führt ihn ins Dickicht abstrakter Konzepte der Systemtheorie, um das nicht weniger abstrakte Phänomen der Unternehmenskultur dingfest zu machen - und geleitet ihn sicher wieder hinaus.
Mehr noch: Der eher pragmatisch orientierte Leser, ob nun Führungskraft, Mitarbeiter, Berater oder Ähnliches, atmet nach der Theorie-Inhalation wieder die klare Luft der Praxis, indem die Autorin gezielt auf die Möglichkeit der Gestaltung von Unternehmenskultur eingeht und diese unter den Aspekten von Führung, Arbeitgeberattraktivität, Familienunternehmen und agiler Organisation beleuchtet. Als Take-away gibt Grubendorfer dem Leser zum Schluss noch "10 Gebote des erfolgreichen Arbeitens mit Unternehmenskultur" mit auf den Weg. So darf eine gelungene Symbiose von Theorie und Praxis aussehen!
Unternehmenskultur als impliziter Trampelpfad
Also, systemtheoretisch lässt sich das Gespenst der Unternehmenskultur wie folgt einfangen: Unternehmen "entwickeln Strukturen, nämlich Entscheidungsprämissen, die den Spielraum für die Mehrzahl von Entscheidungen einschränken. Sie schaffen Voraussetzungen, die für eine Vielzahl von Entscheidungen in Organisationen gelten." Heißt, um die Metapher des Spiels zu bemühen: Die Unternehmenskultur ist ein Spiel, das nach mehr oder weniger festen Spielregeln gespielt wird, wobei die Spielregeln nicht explizit gemacht werden. Die Kompetenz und Bereitschaft jedes Einzelnen entscheidet darüber, wie gut er mitzuspielen versteht! Und wozu das Ganze? "Entscheidungsprämissen helfen, die Komplexität zu reduzieren, die ansonsten überwältigend wäre und das Unternehmen lähmen würde." Unternehmenskultur als impliziter Trampelpfad, der zeigt, wo es langgeht.
Und wie kommt das Unternehmen zu seiner Kultur? Ganz einfach: Unternehmenskulturen entstehen einfach. Nicht nach Zielen, sondern irgendwie selbst organisiert. Unternehmenskultur ist einfach da. "Mal angenommen, in einem Unternehmen ist zu beobachten, dass viel gelacht wird, die Gesichter sind freundlich, Besucher nimmt man herzlich lächelnd in Empfang. In einem anderen Unternehmen wird so gut wie gar nicht gelacht, die Gesichter sind mürrisch, Besucher werden skeptisch beäugt. Wie lässt sich das erklären? Wir wissen es nicht."
Über Bande spielen
Zudem, und das dürfte die bitterste Erkenntnis sein, lassen sich Unternehmenskulturen nicht direkt steuern. Appelle wie "Ab jetzt mal recht freundlich, bitte!" verpuffen sofort. Werte lassen sich also nicht einfach implementieren, wie sich das Unternehmen heute so vorstellen, um am Markt zu punkten.
Aber beeinflussbar sind diese Kulturen schon. Am besten, indem man über Bande spielt! Will heißen: Platt instruktiv wirkt nicht, aber jede Veränderung im Unternehmen zeitigt Folgen. Wer also seinen Laden versteht, hat gute Karten, über gezielte Veränderungen Impulse zu setzen, die bestenfalls eine Veränderung in die gewünschte Richtung bewirken. Systemtheoretisch: "Es empfiehlt sich, eine Interventionsstrategie zu entwickeln, die dabei hilft, Hypothesen darüber zu bilden, welche Interventionen zu welchen Veränderungen führen könnten beziehungsweise warum bestimmte Einflussnahmeversuche auch scheitern."
In jedem Fall spielen Führungskräfte eine besondere Rolle: Als je machtvoller sie im Unternehmen angesehen sind, desto einflussreicher ist ihr Verhalten - Hebel Nummer eins. Wenn Führungskräfte darüber hinaus ihr Zusammenwirken reflektieren und ihr gemeinsames Handeln danach ausrichten, wenn sie also eine Art Kulturbewusstsein entwickeln, werden sie dem Überlebenswillen des Unternehmens gerecht - Hebel Nummer zwei.
Sich der Einzigartigkeit bewusst werden
Der Hype um die Unternehmenskultur lässt sich heute an der strategischen Markenentwicklung von Unternehmen festmachen, insbesondere im Employer Branding. Im Kampf um die besten Köpfe muss jedes Unternehmen ein attraktiver Arbeitgeber sein, im besten Fall über ein Alleinstellungsmerkmal. Doch mittlerweile sind die beworbenen Unternehmenskulturen völlig austauschbar. Statt Vielfalt herrscht Einfalt.
Grubendorfer plädiert daher dafür, dass sich Unternehmen ihrer Einzigartigkeit bewusst werden, um die Leute zu finden, die zu ihrer Unternehmenskultur passen: "Unternehmen sollten nicht fragen, ob sie attraktiv sind, sondern für wen sie attraktiv sind. Mit der Attraktivität eines Arbeitgebers verhält es sich wie mit der Liebe", so die Autorin. "Zudem mögen wir an unseren Lieben doch gerade die kleinen Merkwürdigkeiten, die Besonderheiten, die Ecken und Kanten, die Unperfektheiten, manchmal auch die Ungereimtheiten."
changeX 10.03.2016. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
Carl-Auer Verlag
Weitere Artikel dieses Partners
E. Noni Höfner und Charlotte Cordes über den Provokativen Ansatz zum Interview
Fritz B. Simons Anleitung zum Populismus zur Rezension
Formen - ein kurzes Interview mit Fritz B. Simon zu seinem Werk zum Interview
Ausgewählte Links zum Thema
-
Zum Buch auf der Verlagsseitezum Buch
Zum Buch
Christina Grubendorfer: Einführung in systemische Konzepte der Unternehmenskultur. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2016, 124 Seiten, 14.95 Euro, ISBN 978-3-8497-0105-5
Buch bestellen bei
Osiander
genialokal
Amazon
Autor
Sascha HellmannSascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.