Stiften gehen

Unternehmen Stiftung. Michael Görings Anleitung zur Bildung sozialen Kapitals.
Text: Annegret Nill

Nicht alle Reichen in Deutschland machen sich vom Acker und scheffeln ihr Vermögen nach Liechtenstein oder anderswohin. Sondern tragen dazu bei, dass es dort, wo es erwirtschaftet wurde, Nutzen stiftet: in der eigenen Gesellschaft. Stiften boomt. Und das ist gut so.

Michael Göring Cover

In Strasburg, Mecklenburg-Vorpommern, war die Freude groß, als sich 2007 die Stiftung Max-Akademie, die zur Max-Schmeling-Stiftung gehört, hier niederließ. Im Angebot: Projekte, die die Eigeninitiative und Bildung der Schulkinder fördern sowie ihre sozialen Kompetenzen und ihre Persönlichkeit stärken. Das Spektrum reicht von Hausaufgabenbetreuung und Lesestunden über das Entwickeln von Spielideen bis zu Gesprächsrunden und Gruppenarbeit. Freuen konnten sich auch die Kinder und Jugendlichen der Region Ahrensburg, als die Bürgerstiftung Region Ahrensburg 2001 gegründet wurde. Denn sie unterstützt Vorleseprojekte in Kindertagesstätten, gibt Haupt- und Förderschülern zusätzlichen Unterricht im Handwerk oder bietet Kommunikationstrainings für Jugendliche an. Gefreut haben sich schließlich die Angehörigen von Demenzkranken im Raum Ingolstadt. Dort nämlich organisiert seit 2004 die Ingenium Stiftung Betreuungs- und Selbsthilfegruppen, Vortragsreihen und ein Tanzcafé. Knapp 16.500 Stiftungen gibt es mittlerweile in Deutschland. Ihr Daseinszweck: Fördern, was der Stifter für förderungswürdig hält. Denn in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich nicht nur das private Vermögen hierzulande exorbitant erhöht – auch gemeinnützige Stiftungen sind wie Pilze aus dem Boden geschossen: In den letzten beiden Jahren stieg ihre Zahl jeweils um über 1.000 an – trotz Krise. Insgesamt wurden zwischen 1990 und 2008 etwa 11.500 Stiftungen gegründet. Sie investieren etwa zwei Milliarden Euro jährlich. Rechnet man Stiftungen mit eigenen Altersheimen oder Sanatorien hinzu, liegt ihr Umsatz inzwischen bei etwa 16 Milliarden pro Jahr. Dennoch bleibt der Stiftungszuwachs hinter den hohen Erwartungen zurück, die Bund und Länder hatten, als sie 2002 und 2007 das Stiftungsrecht entrümpelten. In den USA nämlich stieg die Zahl der Stiftungen zwischen 1995 und 2005 von 39.000 auf 76.000 – mit einem Finanzvolumen von jetzt 32 Milliarden US-Dollar. In Deutschland mit seinen hohen Vermögenswerten hatte man auf ähnlich hohe Zuwächse gehofft.


Anstiftung zum Stiften.


Michael Göring, geschäftsführender Vorstandsvorsitzender der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, möchte die Deutschen daher gern zum Stiften anstiften. „Jede neue Stiftung macht Mut“, schreibt er in seinem Buch Unternehmen Stiftung. Stiften mit Herz und Verstand, „zeigt sie doch das genaue Gegenteil von Passivität, Verdrossenheit und Lethargie“ – nämlich eine „aktive, engagierte Zivilgesellschaft.“ Und damit Zauderer ihre Hemmungen fahren lassen, hat er eine Anleitung für Stifter geschrieben. Hier werden alle relevanten Informationen von Stiftungsform und Vermögensverwaltung über rechtliche Grundlagen und Abgabenordnung bis zu Satzung, Schwerpunktsetzung und Projektmanagement durchbuchstabiert. Ab welcher finanziellen Größenordnung kann man überhaupt ans Stiften denken? Damit die Stiftung zugelassen wird, muss das Stiftungskapital mindestens 50.000 Euro betragen – lieber sehen die Stiftungsaufsichtsbehörden indessen Summen über 100.000 Euro. Das macht auch Sinn, denn für den Stiftungszweck steht nur der Zinsertrag zur Verfügung, den das Geld abwirft – nicht der Kapitalstock selbst. Von dem Ertrag müssen außerdem die Verwaltungskosten bezahlt und Rücklagen für den Inflationsausgleich gebildet werden. Da bleibt nicht viel bei niedrigen Summen, zumal dann, wenn – wie derzeit als Folge der Finanzkrise – die Zinsen niedrig sind. Was man tun kann, um auch mit kleineren Summen Gutes zu bewirken: Zustiftungen leisten an Stiftungen, die den gleichen Zweck verfolgen, den man selbst im Auge hat. Eine Zustiftung, das ist das, was Warren Buffett der Bill & Melinda Gates Foundation zukommen ließ. Nur dass in seinem Fall die Summe mit 30 Milliarden Dollar gigantisch war und das Stiftungskapital verdoppelt hat. Das Prinzip ist aber das Gleiche: Das Geld wird dem Kapitalstock der ausgewählten Stiftung zugefügt und trägt so dauerhaft dazu bei, dass die Stiftung mehr Zinserträge abwirft und damit mehr Geld zur Verfügung hat, mit dem sie Projekte fördern kann. Bürgerstiftungen funktionieren häufig so. Ihre Stiftungszwecke sind breit angelegt, aber regional begrenzt. Sie funktionieren über Teilhabe: Zustifter können sich also an Förderentscheidungen beteiligen. Über 200 Bürgerstiftungen gibt es in Deutschland inzwischen. Eine andere Alternative sind jährliche Spenden an eine Stiftung der Wahl. Dann kommt das Geld unmittelbar den geförderten Projekten zugute – und das schnell, denn es muss bis zum Ende des folgenden Jahres ausgegeben werden. Eine andere Möglichkeit, die das Stiftungsrecht vorsieht, ist die Gründung einer Verbrauchsstiftung. Sie kann jährlich zusätzlich zu den Kapitalerträgen eine gewisse Summe des Stiftungskapitals für Förderprojekte ausgeben. Der Nachteil: Die Kapitalerträge nehmen von Jahr zu Jahr ab, und irgendwann ist das Kapital aufgebraucht.


Unternehmen Stiftung.


Stifter, die selbst gründen wollen, sollten wie Unternehmer handeln, rät Göring. Denn das „Unternehmen Stiftung möchte wie jedes andere Unternehmen Gewinn erzielen“. Dabei geht es allerdings nicht um Profit für den Unternehmer, sondern um „Gewinn für die Gesellschaft“ – eine Maxime, die sich soziale Entrepreneure und ihre Theoretiker schon seit Längerem auf die Fahnen geschrieben haben. Verstehen sich Stiftungen als Unternehmen, die auf einem eigenen Markt agieren, hat das Konsequenzen für die Mittelvergabe. Förderungen haben dann nichts mehr mit einem „bedingungslosen mäzenatischen Geben“ zu tun, sondern werden an Zielvereinbarungen geknüpft, die überprüft werden. Förderempfänger werden auf diese Weise zu Partnern statt Nutznießern. Und die Stiftung braucht ein professionelles Management: von der Projektplanung bis zur Evaluation, von der Öffentlichkeitsarbeit bis zum Marketing. Wer gründet, muss zunächst den Markt und seine Mechanismen kennenlernen. Das gilt auch für Stiftungen. Andere Stifter kann man auf Tagungen und Fortbildungen der Stifterverbände treffen. Wer einen Überblick über den in den Blick genommenen Förderbereich gewinnen will, sollte sich mit einschlägigen Experten an einen Tisch setzen. Kennt man sich einmal aus und hat sich einen guten Ruf erarbeitet, öffnet sich ein ganzes Panorama an neuen Möglichkeiten. So kann man mit anderen Stiftungen kooperieren, um größere Projekte zu fördern. Im großen Stil haben das Hertie-Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Krupp-Stiftung, ZEIT-Stiftung und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft praktiziert, als sie 1997 das Herder-Programm gründeten, das emeritierte Professoren aus Deutschland für ein Jahr an osteuropäische Universitäten schickte. Ein Beispiel für eine andere Art der Kooperation ist das von der Hertie-Stiftung entwickelte Start-Programm, das Oberstufenschüler mit Migrationshintergrund zwei Jahre lang fördert, wobei für jeden geförderten Schüler 10.000 Euro benötigt werden. Für diese Förderstipendien suchte die Hertie-Stiftung Kooperationsstiftungen – und fand so viele, dass sie das Programm mittlerweile auch in einigen anderen Regionen als Frankfurt anbieten kann. Fast 60 Prozent der Stiftungen kooperieren inzwischen mit anderen Stiftungen, hat eine Kurzstudie zum Thema Stiftungskooperationen des Bundesverbands Deutscher Stiftungen ergeben. Auf Platz zwei der Kooperationsliste stehen Non-Profit-Organisationen, auf Platz drei der Staat – Public Private Partnership heißt das dann. In Hamburg beispielsweise kooperieren die Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen und die Kulturbehörde, um neue Bilder für die beiden großen Kunstmuseen anzukaufen. Kleine Stiftungen haben häufig ähnliche Probleme wie Projektträger: Die Finanzierung reicht nicht aus. Deshalb wird Fundraising auch in der Stiftungsszene immer üblicher. Günstig ist es dabei, Spenden für ein konkretes Programm oder Projekt zu sammeln. Es ist aber auch möglich, einen sogenannten „wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb“ zu gründen, um Geld einzunehmen – beispielsweise einen Museumsshop oder ein Café. Im Gegensatz zur gemeinnützigen Stiftung ist dieser Betrieb steuerpflichtig. Solange alle Gewinne, die er erwirtschaftet, den Stiftungszwecken dienen, bleibt aber die Gemeinnützigkeit der Stiftung erhalten.


Stiftungsmarktlücken.


Michael Göring schreibt aus praktischer Erfahrung heraus – und das merkt man seinem Buch auch an. Wer sich überlegt, eine Stiftung zu gründen, findet hier einen erstklassigen Ratgeber mit vielen Beispielen für alle Stationen auf dem Weg hin zur Gründung. Allerdings bleibt Göring auf der Ratgeberebene. In einen breiteren gesellschaftspolitischen Rahmen ordnet er die Stiftungsbewegung nicht ein. Außerdem bleibt er in den traditionellen Denkbahnen der etablierten deutschen Stiftungsszene verhaftet. Ein Blick über den Tellerrand ins Ausland oder auf neuere Entwicklungen wie Social Business und Social Entrepreneurship hätte dem Buch gutgetan und neue Perspektiven öffnen können. Klar können alle sozialen und kulturellen Bereiche Förderung brauchen. Ein schöner Anreiz zum Stiften wäre es auch gewesen, auf Bereiche hinzuweisen, in die besonders wenig Fördergeld fließt – Stiftungsmarktlücken, wenn man so will. Wenn man sich die Broschüre „Stiftungen in Zahlen“ des Bundesverbands Deutscher Stiftungen vom Mai 2009 anschaut, wird beispielsweise schnell klar: Die größte Stiftungsdichte im Verhältnis zu den Einwohnern gibt es in den wohlhabenden Bundesländern: Hamburg, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg haben die Nase vorn. In den ostdeutschen Ländern dagegen gibt es nur wenige Stiftungen, und es werden auch weniger neue gegründet. Das ist deshalb so wichtig, weil 82 Prozent aller Stiftungen im regionalen Bereich tätig sind. Diese ungleiche Verteilung bedeutet also: In die Regionen, die eine Förderung besonders dringend benötigen, fließt vergleichsweise wenig Stiftungsgeld. Hier wäre es also: ein wirklich lohnenswertes Betätigungsfeld für potenzielle Stiftungsgründer.


changeX 15.09.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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: Unternehmen Stiftung. Stiften mit Herz und Verstand. Carl Hanser Verlag, München 2009, 200 Seiten, ISBN 978-3-446-41792-2

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Autorin

Annegret Nill
Nill

Annegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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