Die Beobachter beobachten

Die Form(en) von Führung, Leadership und Management - das neue Buch von Marco Böhmer
Rezension: Katharina Lehmann

Nicht immer wurden die Begriffe Führung, Leadership und Management im wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs klar gegeneinander abgegrenzt. Eine Promotionsschrift will nun mit den Unklarheiten aufräumen. Und versucht sich an einer eigenen Begriffsbestimmung.

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Viel wurde in den deutschen und amerikanischen Wirtschaftswissenschaften in den vergangenen Jahrzehnten geforscht zu der Bedeutung von Führung, Leadership und Management. Dabei waren sich die Forscher hinsichtlich der Definitionen der Begriffe nicht immer einig. Die Unterschiede führten aber auch zu verschiedenen Untersuchungserkenntnissen, deren Grenzen Marco Böhmer auflösen will. 

Meinen Begriffe wie Management, Führung und Leadership das Gleiche? Nein, meint Marco Böhmer, Doktor der Wirtschaftswissenschaften und im Rahmen des Corporate Center bei der Bayer AG zuständig für die Entwicklung und Implementierung konzernweiter organisationaler Transformationen. In seiner Promotionsschrift, die jetzt als Buch unter dem Titel Die Form(en) von Führung, Leadership und Management. Eine differenztheoretische Explizierung erschienen ist, untersucht er, welche Unterscheidung zwischen den Begriffen in Bezug auf Organisationen im theoretischen Diskurs gemacht wird und wie sich das auf die jeweilige Untersuchung auswirkt.


Begriffe im Wandel


"Wenn von Führung, Leadership und Management in Bezug auf eine Organisation in der wissenschaftlichen Theoriebildung die Rede ist, dann werden die Überlegungen für den Beobachter der zweiten Ordnung schnell unscharf, unübersichtlich und inkommensurabel", erklärt Böhmer den Ausgangspunkt seiner Untersuchung. Denn, so behaupten einige Experten, es existierten mindestens genauso viele Definitionen zu diesen Begriffen, wie es wissenschaftliche Theorien gebe, um Führung, Leadership und Management zu beschreiben, gegeneinander abzugrenzen und aufeinander beziehen zu können.  

Mit einer disziplinübergreifenden, metatheoretischen Beobachtungsperspektive will Böhmer die zugrunde liegenden Denklogiken und deren inhärente Inkonsistenzen rekonstruieren und letztlich auch dekonstruieren. Der Rekonstruktion der theoretischen Begriffsdiskurse im ersten Hauptteil seiner Arbeit fügt Böhmer einen eigenen Konstruktionsentwurf hinzu. Dafür nutzt er in erster Linie das organisationstheoretische Konstrukt der luhmannschen Systemtheorie. In diesem Rahmen dienen vor allem der Entscheidungs- und der Erwartungsbegriff zur Beantwortung der Frage, wo Unterscheidungen zwischen Management, Führung und Leadership heute noch Sinn ergeben.


Entscheidungen über Erwartungen


So schafft Marco Böhmer wieder engere und handhabbarere Bedeutungshorizonte: Management soll nicht mehr nur als Inbegriff aller "handwerklichen" Tätigkeiten in der Organisationsführung dienen, Leadership nicht mehr als Kristallisationskern für die Leuchtkraft der an der Unternehmensspitze stehenden Personen gelten.  

Vielmehr verortet Böhmer diese Begriffe als Organisationsfunktion im Zentrum eines sich selbst erhaltenden, sozialen Systems. In seinem Konstrukt versorgen Führung und Management die Organisation immer wieder aufs Neue mit der Möglichkeit, die eigene Entscheidungsfähigkeit als System innerhalb der sich ständig ändernden Umwelt und angesichts diverser interner Problemlagen aufrechtzuerhalten. Statt um Entscheidungen über die Organisation geht es dabei zentral um Entscheidungen über Erwartungen: Die Funktion von Führung und Management sei letztlich nicht darin zu sehen, "Entscheidungen über die Organisation im Rahmen der Reproduktion von Entscheidungen durch Entscheidungen zu treffen, sondern variantenreich Entscheidungen über die Transformation von Erwartungen ... zu ermöglichen". Für eine Organisation gehe es immer darum, sich neu in Beziehung zur Umwelt zu setzen und damit ihre Differenz zur Umwelt zu erhalten, um so zugleich die gesellschaftlichen Leistungserwartungen zu erfüllen. Dies sicherzustellen, sei die Aufgabe von Führung und Management.


Erwartungshorizonte in lebbare Entscheidungen überführen


"Führung und Management versorgen Organisationen in diesem Verständnis mit der dauerhaften Möglichkeit, mit Blick auf die sich ändernden Anforderungen aus den externen Umwelten und angesichts der jeweils organisationsinternen neu erzeugten Problemlagen die eigene Entscheidungsfähigkeit als System aufrechtzuerhalten und auf diese Weise das organisationale Leistungspotenzial kontinuierlich zu erneuern", meint auch Rudolf Wimmer, Professor für Führung und Organisation am Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke und gleichzeitig Doktorvater dieser Arbeit, im Vorwort. "In solchen Prozessen integrieren Organisationen mit Hilfe von Führung und Management unterschiedliche, häufig zueinander in scharfem Konflikt stehende Erwartungshorizonte (das heißt Zielsetzungen) in lebbare Entscheidungen, an die dann weitere Entscheidungen anknüpfen können, mit denen wiederum vergleichbare Problemlagen einer organisationsspezifischen Bearbeitung zugeführt werden." 

So lässt sich Wimmers Fazit, Böhmers Arbeit markiere zweifelsohne einen besonderen Meilenstein in der aktuellen wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu den Themen Organisation, Führung und Management, nur unterstreichen. Eine breite Leserschaft und eine intensive Rezeption in allen einschlägigen Forschungsdiskursen, wie Wimmer sie wünscht, wird dem Werk wohl beschert sein. Denn Böhmers Analyse ist nicht nur für Theoretiker lesenswert. Auch Führungskräften in Wirtschaft und Wissenschaft sei sie ans Herz gelegt.  


Zitate


"Eine erste lexikalische Annäherung an den unscharfen und vielstimmig dissonanten Begriff der Führung macht schon deutlich, wie schwierig es ist, den Begriff der Führung trennscharf zu bestimmen. Etymologisch verweist ‚führen‘ auf das Veranlassen, dass sich etwas bewegt. Führen ist dem Deutschen mit ‚fahren machen‘ entlehnt; das englische lead wurzelt im altenglischen lithan ‚gehen, reisen, wandern‘. Es wird demzufolge bei Führung und Leadership etwas in Bewegung gebracht, was auf die Synonymität der beiden Begriffe verweist." Marco Böhmer: Die Form(en) von Führung, Leadership und Management

"Zwar ist Führung historisch gesehen der weitaus ältere Begriff, doch die wissenschaftstheoretische Erfassung im Rahmen einer Akkumulation von Managementwissen rückt auch den Begriff der Führung und des Leaderships in das Licht der Forschung. Nur durch dieses feingliedrige Zusammenspiel von Ausschluss, Abgrenzung, Unterscheidung und gegenseitigem Bezug in der wissenschaftlichen Diskussion kann ein Beobachter die wesentlichen Eckpfeiler der traditionellen Theoriebildung von Management, Führung und Leadership verfolgen." Marco Böhmer: Die Form(en) von Führung, Leadership und Management

"Und damit ist die Funktion von Führung und Management letztlich darin zu sehen, nicht Entscheidungen über die Organisation im Rahmen der Reproduktion von Entscheidungen durch Entscheidungen zu treffen, sondern variantenreich Entscheidungen über die Transformation von Erwartungen - als die mögliche zusätzliche Einführung von Unterscheidungen verstanden - zu ermöglichen." Marco Böhmer: Die Form(en) von Führung, Leadership und Management

"Es geht immer für eine Organisation darum - mit der Führung und dem Management -, sich neu in Beziehung zur Umwelt zu setzen und damit ihre Differenz zur Umwelt zu erhalten, um zugleich die gesellschaftlichen Leistungserwartungen zu erfüllen." Marco Böhmer: Die Form(en) von Führung, Leadership und Management

 

changeX 01.07.2015. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Die Form(en) von Führung, Leadership und Management. Eine differenztheoretische Explizierung. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2014, 313 Seiten, 27.95 Euro, ISBN 978-3-89670-989-9

Die Form(en) von Führung, Leadership und Management

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Autorin

Katharina Lehmann
Lehmann

Katharina Lehmann ist freie Journalistin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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