Projekte zu Kampagnen
Als Form symbolischer Skandalisierung sind sie legendär: die Kampagnen, mit denen Greenpeace die deutsche Öffentlichkeit gegen Umweltzerstörung mobilisierte. Kampagnen indes sind nicht nur probates Mittel für Protest, sondern überall dort, wo Veränderung bewirkt werden soll.
Ein Foto aus dem Jahr 1979: Zwei Kletterer in orangenen Overalls, ausgestattet mit Atemschutzmasken haben an der Spitze eines Fabrikschlots ein langes Spruchband befestigt. Darauf ist zu lesen: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann." Unterschrift: "Greenpeace". Das Bild ist zu einem Symbol für den Kampf gegen industrielle Luftverschmutzung geworden. Es brannte sich im kollektiven Gedächtnis ein. So fest, dass das Kaminbesteigen mit Greenpeace verbunden wird wie das Papiertaschentuch mit der Marke Tempo.
Das Besondere der Aktion ist die offene Konfrontation: Die Aktivisten sind nicht zufällig von Fotografen erwischt worden. Sie suchten diese Öffentlichkeit, um vor einem Gericht ihren Hausfriedensbruch zu verteidigen. "Sie werden sagen, das Recht auf saubere Luft sei ein höheres Rechtsgut als der Hausfriede eines stinkenden Fabrikschlotes. Es ist natürlich beides: Nur mit subversiven Mitteln kommt man an den Ort, wo man mit offenem Visier möglichst wirksam kämpfen kann", schreibt Andreas Graf von Bernstorff in seinem Buch Einführung in das Campaigning. Die Direktheit, die Greenpeace mit dieser Aktion in den akademisch geprägten Diskurs der Zeit bringt, macht mit einem Bild schlagartig die Konfrontation von Kritikern und dem Kritisierten deutlich. "Durch diese symbolische ‚Konfrontation‘ ... entsteht die Dynamik, die nach Veränderung ruft."
Bilder, die bewegen
Diese Kampagne ist nur eine von mehreren aus den Anfängen der deutschen Umweltbewegung, an denen Andreas Graf von Bernstorff, ehemaliger Kampagnenleiter der Umweltschutzorganisation Greenpeace, heute Berater und Universitätsdozent, das Handwerkszeug für eine effektive Kampagnengestaltung deutlich macht. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Campaigning professionalisier- und erlernbar ist. Und die Überzeugung, dass es Sinn haben kann, Projekte als Kampagnen zu fahren, überall dort nämlich, "wo es um Veränderung geht - Wahlkampf, Image, Marketing, Mobilisierung von Unterstützern und Spendern, Erschließung neuer Käufer- und Kundenkreise oder Aktivierung von Belegschaften".
Im ersten seines fünf Kapitel umfassenden Buches präsentiert der Autor einzelne Kampagnen entlang einer Bildserie und stellt damit die wichtigsten Elemente und Handlungsfiguren des Campaigning vor. Da aber jede Kampagne trotz spontanen Potenzials bei sich verändernden Umweltbedingungen einer Strategie im Sinne einer längerfristigen Konzeption bedarf, widmet sich das zweite Kapitel allein dem "Plänemachen".
Neben eher praktischen Fragen zum Ort und Zeitpunkt von Kampagnen behandelt der Autor hier Grundlegendes: Ist ein Thema relevant? Und wenn ja, für wen? Wie lässt sich die Botschaft in einem Slogan vermitteln, der die Zielgruppen auch wirklich erreicht? Denn: "Menschen ändern Dinge in der Regel nicht deswegen, weil sie den Sinn von Änderungen kognitiv erfasst haben, sondern wenn sie von Emotionen dazu bewegt werden." Es gilt also im Rahmen der geplanten Kampagne Sprachbilder und Foto- oder Videobilder zu produzieren, die diese Mobilisierung leisten können. Klar ist allerdings auch, dass das öffentliche Interesse mit diesen Bildern nicht ewig zu binden ist.
Die Gunst der Stunde nutzen
Für maximalen Erfolg ist es also erforderlich, Kampagnen zeitlich straff zu planen. Am schlimmsten nämlich sind Kampagnen, "die irgendwann anfangen und irgendwie aufhören, und keiner weiß, wann genau, wie und warum eigentlich. Und das Team - wer gehörte eigentlich genau dazu?, was war der genaue Auftrag? - geht wortlos auseinander. Eine Kampagne ohne deklariertes Ende ist wie ein Langstreckenlauf ohne Zielgerade." So Graf von Bernstorff. Eine Kampagne sollte vielmehr ihrem eigentlichen Wortsinn entsprechen: einem Feldzug. Dieser ist geplant und hat den Wandel von Bestehendem zum Ziel.
Ein drittes Kapitel, das der Autor Fritz B. Simon mit dem Input von Graf von Bernstorff entwickelt hat, widmet sich der Theorie hinter der Praxis und definiert moderne Kampagnen als "Eingriffe in Kommunikationssysteme der Politik, der Gesellschaft und ins Marktgeschehen. Ganz offensichtlich lassen sich die Elemente von militärischem Feldzug auf ziviles Vorgehen übertragen, mit dem Unterschied, dass nicht geschossen und getötet wird. An die Stelle von Waffengewalt tritt die Macht der Bilder und Symbole, der Worte, Gesten und Handlungsfiguren."
Um den praktischen Anwendungsfall von Kampagnen Schritt für Schritt zu illustrieren, nimmt der Autor den Leser im vierten Kapitel an die Hand: Hier werden Forschungsergebnisse aus dem Umweltbereich in konkrete Politik eines konkreten Kommunikationsdesigns übersetzt. Das geschieht vor dem Hintergrund eines Gedankenspiels, bei dem es einen vernünftigen Umgang mit Forschungsfeldern sowie einen konkreten Auftrag gibt, in Form einer Kampagne Wirkungen zu erzeugen. Nicht zuletzt an dieser Stelle muss die Vormacht von strategischen Planungen relativiert werden: "Die Abkehr von der Maxime ‚First things first‘ rechtfertigt sich durch lebensweltliche Realitäten und Erfahrungen und hat einen sehr schönen Ausdruck im klassischen chinesischen Strategiedenken gefunden." Dort geht es nicht primär um das Ziel, sondern um "die Neigung, die Gunst der Lage, das Situationspotenzial und den Weg als Ziel".
Man kann nichts erzwingen
In seinem letzten Kapitel widmet sich der Autor zusammen mit Annika Serfass dem klassischen chinesischen Strategiedenken, in dem er verblüffende Bezüge zum modernen Campaigning sieht. Beispielsweise in der Nutzung des Situationspotenzials: "Heroismus, Opfermut gelten dort nichts. Weglaufen ist nicht feige, sondern je nach Situation geboten. Stillhalten, Nichtstun ist sinnvoll, wenn die Lage ungünstig ist, und das Handeln erst wieder sinnvoll, wenn die Lage sich gewendet hat oder es gelungen ist, sie im Stillen zu wandeln. Man kann nichts erzwingen."
Abgesehen von dieser Weisheit nimmt Andreas Graf von Bernstorff in seinem Buch den Mund mit Weisheiten nicht zu voll, sondern bleibt in seinen anschaulichen Schilderungen und Erläuterungen auf Augenhöhe mit dem Leser. Dieser sollte sich angesichts des praktischen Nutzens des Buches vor allem unter Kommunikationsverantwortlichen von Organisationen, Beratern und Aktivisten finden - allerdings auch unter denen, die sich einfach für die Durchschlagskraft von konzertierten Aktionen interessieren.
changeX 04.04.2012. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch auf der Verlagsseitewww.carl-auer.de/...
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Kampagnen als strategische Konflikt-Inszenierung: Im Carl-Auer-Fokus "Campaigning for Change" präsentiert Andreas Graf von Bernstorff am 22. und 23. Juni 2012 ausführlich sein Campaigning-KonzeptCampaigning for Change
Zum Buch
Andreas Graf von Bernstorff: Einführung in das Campaigning. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2012, 120 Seiten, 13.95 Euro, ISBN 978-3-89670-831-1
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Autor
Sascha HellmannSascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.