Wissen und Meinen
Wissensmanagement erschöpft sich nicht im Strukturieren von Informationen in Ablagesystemen und Datenbanken. Sondern wurzelt tief in der Unternehmenskultur. Es geht um Vertrauen, Transparenz, Offenheit.
Schon der griechische Philosoph Protagoras wusste, dass man nicht zwischen einfachem Meinen und Wissen unterscheiden könne. Wie weitsichtig der vorsokratische Denker war, zeigt die mehr als 2.000-jährige Geschichte der abendländischen Philosophie, in deren Verlauf sich nicht eben wenige Philosophen an genau diesem Problem die Zähne ausbissen: Wissen als "wahre, gerechtfertigte Meinung" zu begründen.
Da mag es als nahezu vermessen erscheinen, dieses sich so hartnäckig dem definitorischen Zugriff entziehende Gut "managen" zu wollen. Und in der Tat sind die Anfänge des Wissensmanagements geprägt von Missverständnissen und Verkürzungen, die sich hätten vermeiden lassen, hätte man bei der Philosophie nachgefragt. Auf jeden Fall scheiterte der Ansatz, alles zusammenzutragen, zu strukturieren und in Datenspeichern abzulegen, was an "Wissen" in einem Unternehmen vorfindbar war, recht kläglich. Nicht nur, dass bei Weitem nicht alles Wissen in einer zu erfassenden und zu speichernden expliziten Form vorlag, sondern vieles "implizit" in den Köpfen der Mitarbeiter schlummerte. Auch war eben zwischen Wissen und Meinen nicht klar zu trennen. Wissensmanagement wurde zu einer reichlich komplizierten Angelegenheit.
Ein Schatz, den es zu bewahren gilt
Insofern muss das Ansinnen, Wissensmanagement in einer 30-Minuten-Lerneinheit abhandeln zu wollen, als beinahe ebenso vermessen erscheinen, ja, wie eben Wissen managen zu wollen. Gleichwohl zeichnet sich GABALs 30-Minuten-Reihe immer wieder dadurch aus, komplexe Sachverhalte auf leicht verständliche Weise darzubieten, ohne sie dabei auf allzu einfache Lehrbuchsätze herunterzubrechen. Das gelingt auch dem von Georg Mannsperger verfassten Band Wissensmanagement als Wettbewerbsfaktor ganz passabel. Das Buch eignet sich hervorragend als Schnelleinstieg in die Thematik.
So hält sich der Autor nicht lange mit begrifflichen Spitzfindigkeiten auf, sondern kommt gleich zur Sache. Und benennt das zentrale Spannungsfeld: Wissen ist für jedes Unternehmen eine stark personengebundene Ressource, für den Mitarbeiter aber ist sein individuelles Know-how sein Kapital, mit dem er sich auf dem Arbeitsmarkt differenzieren kann - ergo wird "jeder Mitarbeiter ... sein Wissen also als Schatz betrachten, den es zu bewahren gilt".
Das ist gewissermaßen der Kernsatz, der die fundamentale Neukonstruktion von Arbeitsbeziehungen in der Wissensökonomie erklären kann. Denn während sich mechanische Arbeitsleistung noch einfordern lässt, gilt dies für Ideenarbeit nicht mehr. Wie viele Ideen ein Mitarbeiter vielleicht für sich behält, um nicht von Killerphrasen-Ede eins übergebügelt zu bekommen, und - mehr noch - wie viele Ideen in seinem Kopf erst gar nicht entstehen und reifen wollen, weil das Arbeitsklima nicht danach ist, entzieht sich jeder Messung. Das erklärt die fundamental neue Bedeutung von Vertrauen. Vertrauen ist kein Nice-to-have, sondern schlichtweg die Basis wissensbasierter Arbeit. Erst in einer Vertrauenskultur wachsen die Voraussetzungen dafür, dass ein Mitarbeiter sein Unternehmen an seinem Wissen partizipieren lässt. Das setzt voraus, dass "bis auf Geschäftsführerebene eine Kultur von Transparenz und Offenheit vorgelebt wird". Denn "nur wenn man in angemessenem Maße selbst Wissen weitergibt, kann man von seinen Mitarbeitern und Kollegen verlangen, dies ebenso zu tun". Oder besser: erwarten. Es ist zu begrüßen, dass der Autor dies gleich zu Beginn seines Büchleins in der notwendigen Entschiedenheit betont.
Keine Managementmethode
Wissensmanagement ist also keine Managementmethode, sondern "bedarf eines umfassenden Ansatzes". Drei Ziele nennt Mannsperger: Erstens implizites in explizites Wissen umzuwandeln, zweitens eine vertrauensvolle Unternehmenskultur zu schaffen und drittens "die Mitarbeiter zu ermutigen, ihren wichtigsten Schatz - ihr individuelles Wissen - in den Dienst der Firma zu stellen".
Aber natürlich kommen die Methoden nicht zu kurz. Im Anschluss an die "Grundlagen des Wissensmanagements" ist ihnen der ausführliche Mittelteil des Buches gewidmet. Mannsperger stellt hier die acht Bausteine des Wissensmanagements nach Probst/Raub/Romhardt als Prozessmodell vor, behandelt Methoden der Wissenskommunikation, Wissensnetzwerke und Konzepte der Wissensvisualisierung und empfiehlt die Wissensbilanz als Instrument der Erfolgsmessung. Ein dritter Teil mit Praxisbeispielen zu IT-gestützten Wissensmanagementsystemen schließt das Büchlein ab, dessen zentraler These man wohl nicht widersprechen kann: "Wissen im Unternehmen zu halten und weiterzuentwickeln ist also die Management-Aufgabe, an der sich die Wettbewerbschancen entscheiden."
Was Wissen ist
Was Wissen ist, lässt sich freilich so einfach nicht sagen. Mannspergers Arbeitsdefinition, wonach "echtes Wissen" nur dann vorliege, wenn es zur Ableitung von Entscheidungen und Handlungsanweisungen taugt, scheint für die Wissensanwendung in Unternehmen auszureichen - das Problem ist nur: Was dafür taugt, lässt sich oft im Vorhinein gar nicht sagen. Sondern stellt sich erst beim Handeln heraus. Im Grunde also ist es ganz so wie beim Wissen und Meinen.
Zitate
"Wissen im Unternehmen zu halten und weiterzuentwickeln ist also die Management-Aufgabe, an der sich die Wettbewerbschancen entscheiden." Georg Mannsperger: 30 Minuten Wissensmanagement
"Nur wenn man in angemessenem Maße selbst Wissen weitergibt, kann man von seinen Mitarbeitern und Kollegen verlangen, dies ebenso zu tun." Georg Mannsperger: 30 Minuten Wissensmanagement
"Wirksames Wissensmanagement bedarf eines umfassenden Ansatzes. Es geht darum, implizites in explizites Wissen umzuwandeln, eine vertrauensvolle Unternehmenskultur zu schaffen und die Mitarbeiter zu ermutigen, ihren wichtigsten Schatz - ihr individuelles Wissen - in den Dienst der Firma zu stellen." Georg Mannsperger: 30 Minuten Wissensmanagement
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Zum Buch
Georg Mannsperger: 30 Minuten Wissensmanagement als Wettbewerbsvorteil. GABAL Verlag, Offenbach 2010, 80 Seiten, ISBN 978-3-86936-078-2
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.