Social Business 2009
Das Soziale neu begreifen. Nicht als Schwamm, der Spenden und Transferleistungen aufsaugt, sondern als Aktionsfeld unternehmerischer Verantwortung: Das ist der Kern von Social Business. Das Ziel: Soziale Projekte tragen sich selbst. In Deutschland differenziert sich dieses Feld mehr und mehr aus. Annegret Nill hat für changeX die Diskussionen ein Jahr lang begleitet. Hier ihr Report.
Anfang Oktober 2009. Der Beifall braust wie eine Woge durch das Allianz Stiftungsforum in Berlin. Die große Rotunde mit gläserner Kuppel ist überfüllt. Schon am Nachmittag waren etwa 500 Menschen – Investoren, Wissenschaftler und soziale Entrepreneure – zu der Konferenz „Wissen, was wirkt“ gekommen. Sie haben darüber diskutiert, wie Innovationen im sozialen Sektor entstehen und wie sie finanziert werden können. Am Abend bei der Kür der sieben neuen Ashoka Fellows 2009 sind es sogar noch mehr. Sie füllen sämtliche Plätze in der Rotunde, sie sitzen auf der Treppe und stehen im Vorraum bis zu den Türen hinaus.
Felix Oldenburg, Geschäftsführer von Ashoka Deutschland, ist sichtlich überwältigt. „Das hätte sich Ashoka vor fünf Jahren nicht vorstellen können“, sagt er. Da gab es die deutsche Sektion allerdings auch erst seit einem Jahr, und Social Entrepreneurship war hierzulande noch ein Fremdwort. Das hat sich in den letzten paar Jahren gründlich geändert. Mittlerweile gibt es hier vom Genisis Institute, das den jährlichen Vision Summit organisiert, über das Grameen Creative Lab, das Workshops zum Thema Social Business anbietet, bis hin zum selfHUB, einem Netzwerk von Social Entrepreneurs und selbständigen Akteuren „mit guten Ideen für die Welt“, mehrere Organisationen und Netzwerkstellen für soziale Unternehmer.
Dazu hat Ashokas Deutschland-Ableger sicher auch beigetragen. Weltweit ist die Organisation schon seit 1980 aktiv. Sie setzt sich dafür ein, einen wettbewerbsorientierten und effizienten sozialen Sektor zu schaffen. Deshalb kürt sie jährlich in verschiedenen Ländern sogenannte Fellows. In einem langen und gründlichen Prozedere werden soziale Entrepreneure ausgewählt, deren Ansatz zur Lösung eines sozialen Problems neu ist und so angelegt, dass er auch anderswo funktionieren kann. Wer es zum Fellow gebracht hat, erhält ein Stipendium für drei Jahre, bekommt Zugang zu kostenloser Beratung und zu einem Netzwerk von Unterstützern und Förderern.
Soziale Projekte tragen sich selbst.
Dieses Jahr sind drei der neuen Fellows im Bildungsbereich aktiv und werden gemeinsam mit der Vodafone Stiftung gefördert. Zum Beispiel Katja Urbatsch. Sie hat Anfang letzten Jahres die Internetplattform arbeiterkind.de ins Leben gerufen, die Kinder aus Arbeiterhaushalten dazu motivieren soll, ein Studium anzufangen. Denn nur 17 Prozent der Arbeiterkinder studieren bislang. Mittlerweile hat Urbatsch ein Netz von rund 1.200 Mentoren in 70 Ortsgruppen aufgebaut, die Arbeiterkindern ehrenamtlich mit Rat und Tat zur Seite stehen. Sandra Schürmanns Initiative „JobAct“ hilft jugendlichen Langzeitarbeitslosen mit einer Mischung aus Theaterarbeit und Bewerbungsmanagement, Selbstbewusstsein zu tanken. 65 Prozent schaffen es so doch noch, einen Ausbildungsplatz zu finden. Und Michael Stenger hat in München die „SchlaU Schule“ ins Leben gerufen. Sie führt minderjährige Flüchtlinge zum Hauptschulabschluss. Denn ab 15 gilt für sie die Schulpflicht nicht mehr – mit dem Resultat, dass viele ohne Abschluss und ohne Perspektive bleiben.
Die anderen Fellows: Manuela Richter-Werling schickt mit ihrer Initiative „Irrsinnig Menschlich e. V.“ Menschen, die psychische Krisen hinter sich gebracht haben, in Schulen. So will sie die Einstellung der Kinder zu psychischen Krankheiten ändern. Marion Steffens hat GESINE gegründet, ein Netzwerk für Intervention bei häuslicher Gewalt. Joachim Körkel hat KISS entwickelt, eine Drogentherapie für Drogenabhängige, die einen Komplettentzug nicht schaffen. Das Ziel: über einen kontrollierten Drogenkonsum zu einer schrittweisen Reduktion zu kommen. Christian Hiss schließlich hat die Regionalwert AG gegründet, eine Aktiengesellschaft, die die Konsumenten von regionaler Biokost in Investoren in nachhaltige Biobauernhöfe verwandelt – und diese so finanzierbar macht.
Mit der Aufnahme in das Ashoka-Netzwerk haben sie einen wesentlichen Schritt in Richtung dauerhaften Erfolgs für ihren Ansatz getan: Die Studie „Wissen, was wirkt“, die im Rahmen der gleichnamigen Konferenz vorgestellt wurde, hat herausgefunden, dass 94 Prozent der Ashoka Fellows sich und ihre Organisation nach den drei Förderjahren nachhaltig selbst finanzieren können.
Das Feld differenziert sich aus.
Die Ashoka Fellows gehören zu einer Avantgarde in einem Feld, das in Deutschland zwar noch jung ist, sich aber gerade ausdifferenziert. Ging es am Anfang erst einmal darum, das Phänomen bekannter zu machen und eine erste Infrastruktur zu schaffen, werden nun langsam unterschiedliche Ansätze und Schwerpunkte erkennbar. Einige Akteure – wie das Genisis Institute und Grameen – agieren auf der großen Bühne: Sie beziehen Unternehmen ein, unterstützen Joint Ventures wie Grameen Danone und konzentrieren sich auf skalierbares Social Business, das sich selbst trägt und auf Wachstum angelegt ist. Andere Akteure wie die Social Entrepreneurs vom selfHUB in Berlin-Kreuzberg vertreten hingegen eher einen Bottom-up-Ansatz des „do it yourself“: einfallsreich sein, im eigenen Umfeld selbst etwas auf die Beine stellen – das kann auch neben einem sogenannten „Day Job“ passieren, durch den man sich und sein Projekt finanziert. Social Business und Social Entrepreneurship sind zwei Ausprägungen eines neuen Denkens, das im Begriff ist, das soziale Feld neu zu definieren. Sie zeigen: Soziale Projekte können sich nicht nur selber tragen, sondern auch Erlöse erwirtschaften. Die Zukunft des Sozialen liegt nicht in Spenden. Sondern in der Investition in nachhaltige Projekte.
Folge 2 erscheint morgen. Das PDF erscheint mit Folge 4.
Zitate
"Bei allen Unterschieden in Herangehensweise und Publikum, die die Veranstaltungen des letzten Jahres auszeichnen, wird doch eines klar: Hier verfestigt sich ein neuer Ansatz. Social Business hat im Lande Einzug gehalten." Annegret Nill "Social Business 2009"
changeX 04.11.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Annegret NillAnnegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.
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