Mit purem Optimismus
Der Mensch besitzt die unter allen Lebewesen dieses Planeten vielleicht einzigartige Fähigkeit, sich eine Zukunft vorstellen zu können und darauf hinzuarbeiten. Diese Fähigkeit sollten wir nutzen. Zwei Bücher zur Klimakrise.
Wie finden wir den Ausweg aus der Klimakrise? Durch die Entwicklung einer Vorstellung einer anderen Zukunft. Zwei Bücher skizzieren den Weg.
Die Fähigkeit, uns eine Zukunft vorstellen zu können
Netflix? Oder ein Buch? David Attenborough bietet beides. Parallel hat er an zwei Dokumentationsformaten gearbeitet; jetzt erzählt der mittlerweile 94-Jährige von seinen Erlebnissen als Naturforscher und Tierfilmer, zeigt die verheerenden Veränderungen auf, die er innerhalb seiner Lebensspanne beobachten musste. Und er erklärt, warum er hoffnungsvoll bleibt, dass wir Klimawandel und Artensterben stoppen, Biodiversität retten. Der Film und die mit der Hilfe von Jonnie Hughes geschriebene Publikation durchlaufen einen identen Handlungsbogen, unterscheiden sich aber natürlich durch die dem jeweiligen Format spezifischen Visualisierungsmöglichkeiten. Beide Varianten sind wärmstens zu empfehlen.
Einnehmend und eindringlich reflektiert Attenborough die tragischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und denkt sie bis ins 22. Jahrhundert weiter. Kurz: Es mündet im Kollaps der belebten Welt. Und dann liefert er seine Vision für die Zukunft, hält uns an, die Hoffnung nicht zu verlieren, illustriert ausführlich, wie eine von Menschen gemachte Krise auch von international kooperierenden Menschen überwunden werden kann. Denn wir haben ja alles, was wir dafür brauchen. "Und wir haben noch eines: die unter allen Lebewesen dieses Planeten vielleicht einzigartige Fähigkeit, uns eine Zukunft vorstellen zu können und darauf hinzuarbeiten."
Wie gelingt eine nachhaltige Lebensweise im Gleichgewicht mit der Natur? Indem wir planetare Grenzen einhalten und endliche Ressourcen gerecht verteilen - Kate Raworths Donut-Ökonomie wird als Leitlinie für notwendiges Handeln benannt. Darauf aufbauend, beschreibt Attenborough sieben konkrete Punkte, um Biodiversität, und damit also die Stabilität auf unserem Planeten, wiederherzustellen: die Abkehr von exponentiellem Wachstum, den Wechsel zu sauberer Energie, die Rückkehr zu einem wilden Ozean, die Nutzflächenreduktion industrieller Landwirtschaft, ein Wiedererschaffen wilder Landschaften, das Eindämmen des Bevölkerungswachstums, ein Leben im Einklang mit der Natur. Und er ruft auf zum Handeln: "Wir müssen unsere Politiker und Politikerinnen und Wirtschaftsmanager spüren lassen, dass wir genau wissen, worum es geht, und dass diese Vision für eine Zukunft nicht nur etwas ist, das wir brauchen, sondern dass sie vor allem etwas ist, das wir einfordern."
Der Wandel wird kommen
"Wie kommuniziert man eine wissenschaftlich belegte Katastrophe in einer Zeit, die sich als postfaktisch deklariert?" Durch persönliche Geschichten, sagen die Aktivistin Luisa Neubauer und der Politökonom Alexander Repenning. Und die liefern sie.
Viel kann man aus diesem Buch mitnehmen, das sich aus zwei sich ergänzenden Erzählsträngen zusammensetzt: Einmal sind da die Einschübe individueller Erfahrungen und dann die Ausführungen, die verständlich die Klimakrise in Kombination mit allen damit verknüpften, dadurch bedingten und vice versa verstärkenden Faktoren präsentieren. Die Klimakrise wird dabei als Krise der Verantwortung, Kommunikation und Gerechtigkeit, des fossilen Kapitalismus und Wohlstands beschrieben, motiviert wird zum utopischen Denken, denn: "Es ist die Vision eines anderen Morgen, die uns im Heute die Kraft zur Veränderung geben kann." Darüber hinaus werden die Leserinnen und Leser aufgefordert, sich selbst und andere zu informieren, sich selbst und andere zu organisieren, um ebenso problemlos sagen zu können: "Wir wissen, was gemacht werden muss. Wir wissen auch, wie. Und vor allem wissen wir: dass es möglich ist. Das ist unsere Chance, die Geschichte der Zukunft zu schreiben. Der Wandel wird kommen."
Um noch genauer auf die Kommunikationskrise einzugehen: "Wenn die geophysikalische Wirklichkeit die Grenzen der Vorstellungskraft sprengt, dann braucht es eine Sprache, die dieser Wirklichkeit gerecht werden kann, und zwar der heutigen und zukünftigen. Wir brauchen Klimaübersetzer*innen, die die Erkenntnisse der Wissenschaft so formulieren, dass sie anschlussfähig sind an die Lebenswelten der Menschen." Die Bedeutung von Klimakommunikation zur Bewältigung der Klimakrise kann nach Neubauer und Repenning nicht überschätzt werden, es muss in sie investiert werden, damit die Erkenntnisse der Klimawissenschaft auch wirklich und weitreichend gehört werden, damit sie nicht aufgrund fehlender Vermittlung wirkungslos bleiben. Das Buch wird dieser an andere gestellten Anforderung selbst in besonderer Weise gerecht, dazu gehört auch die bewusste Wahl des Titels: Es findet eben nicht der Begriff "Klimawandel", sondern "Klimakrise" Verwendung - und damit ein völlig anderer Deutungsrahmen.
Zitate
"Wir müssen die Welt renaturieren! Wir müssen die Wildnis zurückbringen!" David Attenborough, Jonnie Hughes: Ein Leben auf unserem Planeten
"Wir haben … die unter allen Lebewesen dieses Planeten vielleicht einzigartige Fähigkeit, uns eine Zukunft vorstellen zu können und darauf hinzuarbeiten." David Attenborough, Jonnie Hughes: Ein Leben auf unserem Planeten
"Es braucht ein Training des Vorstellungsvermögens, ein Verständnis dafür, dass das Infomieren über die Klimakrise genauso wichtig ist wie das Informieren über die Auswege, über den Anfang vom Ende." Luisa Neubauer, Alexander Repenning: Vom Ende der Klimakrise
changeX 23.03.2021. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zu den Büchern
David Attenborough, Jonnie Hughes: Ein Leben auf unserem Planeten. Die Zukunftsvision des berühmtesten Naturfilmers der Welt. Karl Blessing Verlag, München 2020, 301 Seiten, 24 Euro (D), ISBN 978-3-89667-691-7
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Luisa Neubauer, Alexander Repenning: Vom Ende der Klimakrise. Eine Geschichte unserer Zukunft. Tropen Verlag, Berlin 2019, 304 Seiten, 18 Euro (D), ISBN 978-3-608-50455-2
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Autorin
Katharina KieningKatharina Kiening ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. Foto: Andre Hinderlich
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