Freundlich, probehalber
Ob die Welt besser wird, ist mehr als eine offene Frage: immer wieder gestellt, ist die Antwort alles andere als klar. Sicher aber ist: Wenn wir griesgrämig durch die Welt gehen, hat sich das Thema von vornherein erledigt. Ohne Freundlichkeit ist jeder Ansatz einer Verbesserung obsolet. Wie aber bringen wir mehr Freundlichkeit in unseren Alltag? Mit ganz konkreten, kleinteiligen Anstößen, sagt Bernhard von Mutius. Und macht 16 Vorschläge für Fragen und neue Gewohnheiten. Zum Ausprobieren, probehalber.
Unlängst hat Juli Zeh in einem Interview gesagt: "Jeder von uns muss selber darauf aufpassen, wie er mit Menschen umgeht, die anderer Meinung sind. Auch wenn man die Meinung unsäglich findet: Man muss wieder lernen, eine Form von Respekt zu finden." Freundlichkeit ist eine Form von Respekt. Auch sich selbst gegenüber. Sie äußert sich selbst in ganz verschiedenen Formen.
Die meisten Könner, die ich schätze, waren freundlich. Oder sind es. Sie können manchmal stur sein, explosiv sein, hartnäckig sein, ironisch sein, schweigsam sein. Doch zugleich gibt es eine untilgbare Freundlichkeit in ihnen. Mit der sie die Natur betrachten, mit der sie an ihre Sache gehen, mit der sie mit ihren Mitmenschen umgehen.
Wie sie das machen, ist ganz unterschiedlich. Deshalb gibt es auch keine für alle gültigen Verhaltensregeln, die sich in einer To-do-Liste zusammenfassen ließen. Jeder wird seinen eigenen Weg der Freundlichkeit finden. Es braucht oft nur ein paar Anstöße. Und schon sind wir wieder bei uns. Manchmal muss ich mir das selbst sagen. Das sind ein paar dieser Anstöße. Es sind Anregungen:
Was würde ich tun oder unterlassen, wenn der andere mein Freund wäre?
Oder sie meine Freundin?
(angenommen)
Wie kann ich anderen zwischendurch eine Freude machen?
(ganz ungeplant, einfach so)
Was könnte ich tun, um mich selbst freundlicher zu stimmen?
(spontan)
Wie kann es gelingen, Einladungen zur Eskalation nicht anzunehmen?
(rein hypothetisch)
Was könnte ich einfach einmal weglassen?
Zum Beispiel: moralische Urteile, Wertungen, Rechthabenwollen?
(probehalber)
Wie kann ich üben, Menschen von Meinungen zu trennen?
(auch probehalber)
Wie kann ich aufsteigende Empörung in Kreativität umwandeln?
Oder in Humor?
(schlagfertig)
Wie kann ich berechtigten Unmut nutzen, um Lösungen zu entwickeln?
(strategisch und freundlich)
Was wäre, wenn ...
... ich beim nächsten Gespräch eine Minute nur zuhöre?
(und nicht gleich meine Meinung äußere)
... ich beim Einkauf meinem Gegenüber ein freundliches Wort sage?
(bei einer Begegnung im Gang, dem Mann beim Einräumen der Regale oder der Frau an der Kasse)
... ich beim nächsten Spaziergang fremden Menschen ein Grußwort zurufe?
(so wie es mancherorts noch üblich ist, andere zu grüßen, wenn man ihnen auf der Straße begegnet oder auf dem Bergweg)
... ich es beim täglichen Stau einmal mit freundlichen Gesten probiere?
(eine Idee von Marshall B. Rosenberg)
... ich meine Wut beim Sport auslasse?
(und nicht in den Social Media)
... ich meinen morgendlichen Blick mit freundlichem Staunen auf den Himmel richte?
(und nicht auf das Display des Smartphones)
... ich mir ab und an fünf Minuten Zeit nähme, um an jemand anderen zu denken?
(oder diesem Menschen zu helfen, wie Adam Grant es einmal vorgeschlagen hat)
... ich meine tägliche Mediation mit Freundlichkeit verbinde?
(Freundlichkeit gegenüber anderen Menschen und der Welt)
Versuchen wir es mal. Oder wie meine Schwester manchmal sagte: "Tun wir mal so als ob".
Es sind 16 Anregungen.
Jeder mag sie ergänzen.
Vielleicht entsteht so ein kleiner Dialog über Freundlichkeit.
Zitate
"Freundlichkeit ist eine Form von Respekt. Auch sich selbst gegenüber." Bernhard von Mutius: Freundlich, probehalber
"Jeder wird seinen eigenen Weg der Freundlichkeit finden. Es braucht oft nur ein paar Anstöße." Bernhard von Mutius: Freundlich, probehalber
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Bernhard von MutiusBernhard von Mutius ist Sozialwissenschaftler und Philosoph, systemischer Berater und Führungscoach. Er ist Autor zahlreicher Publikationen über Erneuerungsprozesse in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Sein Hauptaugenmerk gilt der Entwicklung einer disziplinübergreifenden Denkkultur, die uns helfen könnte, mit den komplexen Prozessen unserer Zeit verständiger umzugehen. © Autorenfoto: Richard Pichler