Serendipity
Es gilt als eines der am schwersten zu übersetzenden Wörter der englischen Sprache. Serendipity beschreibt die zufällige Beobachtung von etwas Nützlichem, nach dem man nicht gesucht hat. Damit daraus etwas Großes entstehen kann, braucht es Neugierde, Offenheit und Beharrlichkeit.
Alle Unternehmen wollen innovativ sein, nur wenigen gelingt es. Warum schaffen einzelne Unternehmen echte Durchbrüche, während die meisten nicht über lustlose Me-too-Produkte hinauskommen? Innovation lässt sich nicht einfach verordnen - aber es gibt Erfolgsprinzipien, denen die besten Unternehmen folgen und die ihnen immer wieder einen Innovationsvorsprung gegenüber ihren lahmen Wettbewerbern verschaffen.
Oliver Gassmann und Sascha Friesike haben die 33 besten dieser Erfolgsprinzipien zusammengestellt. Als Auszug aus ihrem Buch 33 Erfolgsprinzipien der Innovation hier das Kapitel "Das Serendipity-Prinzip".
<<< "Das Wesentliche an der Erfindung tut der Zufall, aber den meisten Menschen begegnet der Zufall nicht. Was er Zufall nennt, ist in Wahrheit der Einfall, und der begegnet jedem, der sich für ihn wach und bereit hält." — Friedrich Nietzsche >>>
Das Serendipity-Prinzip
Um ein Patent der Konkurrenz zu umgehen, erforschte Roy Plunkett 1938 für die Firma DuPont Kältemittel für einen neuen Kühlschrank. Dabei fand er einen Stoff, der im Jahr 1941 als PTFE von DuPont patentiert wurde. Jahrelang schien der Stoff nutzlos. 1954 beschichtete der Chemiker Marc Grégoire seine Angelschnur mit PTFE, um sie leichter entwirren zu können. Seine Frau kam auf die Idee, Töpfe und Pfannen zu beschichten. PTFE ist uns heute unter seinem Markennamen Teflon bekannt. Entgegen der gängigen Meinung wurde Teflon keineswegs für die Raumfahrt entwickelt. Die erste Teflonpfanne gab es bereits 1954 und damit vier Jahre bevor der erste Sputnik sich ins All aufmachte.
Serendipity beschreibt die zufällige Beobachtung von etwas Nützlichem, nach dem man nicht gesucht hat. Das Wort Serendipity wird von der British Translation Company als eines der am schwersten zu übersetzenden Wörter der englischen Sprache gehandelt. Im Deutschen kann man es noch am ehesten mit dem Wort Zufallsfund beschreiben, wobei dies keine aktive Suche nach etwas ganz anderem voraussetzt. Das bekannteste Beispiel für Serendipity ist der erfolglose Versuch von Christoph Kolumbus, einen Seeweg nach Indien zu finden.
Es gibt zahlreiche Beispiele für unbeabsichtigte Durchbruchsinnovationen: Dem Post-it von 3M lag ein missglücktes Experiment zugrunde - ein Klebstoff, der nicht klebte. Serendipity bedeutet auch, Möglichkeiten in solchen Zufällen zu erfassen und diesen nachzugehen. Dabei darf man nicht nur in klassischer Controller-Tradition die negativen Abweichungen vom angestrebten Ziel betrachten. Vielmehr gilt es, die neuen Gegebenheiten umfassend zu analysieren und neu zu beurteilen. Abweichungen von den erwarteten Ergebnissen sind immer auch als Chancen zu sehen.
Auch sind Innovationen selten das Resultat einer gezielten Suche, sondern das Ergebnis der Wahrnehmung von Möglichkeiten. Dies zeigt der Anfang des Teebeutels. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschickte der Teehändler Thomas Sullivan Teeproben in kleinen Seidensäckchen. Tee wurde normalerweise in Blechdosen verschickt, für Proben war das jedoch zu schwer und zu teuer. Sullivans Kunden tauchten die Seidensäckchen in kochendes Wasser, in dem Glauben, ihr Teehändler habe dies gewollt: Der Teebeutel war erfunden. Serendipity widerfährt Unternehmen, die es verstehen, Neugierde und Offenheit mit Beharrlichkeit zu verbinden.
Neugierde
Die Kletten, die sich im Fell seines Hundes festhakten, brachten den Schweizer Ingenieur Georges de Mestral dazu, die Pflanzen genauer zu untersuchen. Unter einem Mikroskop fand er an den Kletten winzige elastische Häkchen. Er nutzte das Wirkprinzip und erfand den Klettverschluss. Neugierde ist eine Grundvoraussetzung für Serendipity. De Mestral suchte kein Verschlusssystem, aber seine Neugierde brachte ihn dazu, eines zu finden.
Auch der Blitzableiter war eine Erfindung, die als nicht beabsichtigtes Nebenprodukt entstand. In seinem berühmten Experiment zur Wirkung von Blitzen ließ Benjamin Franklin während eines Gewitters einen Drachen steigen und band an das Ende der Schnur einen Schlüssel. Als der Schlüssel den Boden streifte, leitete die nasse Schnur den elektrischen Strom und erzeugte bei Bodenberührung Funken. Franklin war ein neugieriger und interessierter Geist, Eigenschaften, die ihn später zu einem der Gründungsväter der USA machten.
Offenheit
Manchmal muss man es hinnehmen, dass man die Lösung eines Problems gefunden hat, das man gar nicht hatte. Sildenafil, besser bekannt unter seinem Markennamen Viagra, wurde entwickelt, um Herzkranzgefäße zu erweitern. Das tut Sildenafil auch, aber eben nicht nur das. Lange waren die Nebenwirkungen unbekannt. Erst als ein pharmakologisch einmaliges Phänomen festgestellt wurde - Patienten klauten zusätzliche Tabletten -, kam man der Wirkung auf die Spur.
Viagra ist heute das erfolgreichste Lifestyle-Medikament. Es wurde jedoch nur entdeckt, weil in der pharmazeutischen Forschung Medikamente nach allen (Neben-)Wirkungen untersucht werden. Was bei pharmazeutischen Produkten Wirkung und was Nebenwirkung ist, bestimmt letztlich die Betrachtung. Der Stanford-Professor Robert Sutton fasste es gut zusammen, er sagte: "Im kreativen Prozess ist Unkenntnis ein Segen, vor allem in den Frühphasen. Menschen, die nicht wissen, wie die Dinge sein sollen, werden nicht von bestehenden Überzeugungen verblendet."
Beharrlichkeit
Teflon konnte erst etliche Jahre nach seiner Entdeckung sinnvoll eingesetzt werden. Es zum Patent anzumelden, erschien anfangs gewagt. Was man tatsächlich entdeckt hat, lässt sich bisweilen erst rückblickend beurteilen. Nur Unternehmen, die gewillt sind, dieses Risiko einzugehen, und auch anfangs scheinbar sinnlose Entdeckungen fördern, haben eine Chance auf Serendipity.
Auch die Erfindung des Gesellschaftsspiels Monopoly war nur ein Ergebnis großer Beharrlichkeit. Charles Darrow reichte das schon im Jahr 1904 von Elizabeth Magie Phillips erdachte Spiel 1929 vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise bei Parker ein. Die Firma lehnte das Spielkonzept mit der Begründung ab, es enthalte "52 prinzipielle Fehler". Darrow ließ sich von dem negativen Bescheid nicht einschüchtern und brachte es trotzdem auf den Markt. Erst später lizenzierte Parker das Spiel. Heute wird es in 37 Sprachen in 103 Ländern äußerst erfolgreich und nachhaltig verkauft.
Auch aus Unnützem kann Großes entstehen
Die deutschen Mobilfunkanbieter sahen zu Beginn keinen kommerziellen Nutzen in der SMS. Der Service wurde kostenlos angeboten, denn wer möchte auf einem Nummernblock kompliziert Texte verfassen, oder wer möchte solche Texte lesen, wenn er oder sie auch anrufen kann? Doch die Nutzung entwickelte sich anders als prognostiziert: 1999 wurden in Deutschland bereits knapp vier Milliarden SMS verschickt, 2009 waren es 34,4 Milliarden.
Der Markt lässt sich nicht vorhersagen. Kunden verhalten sich überraschend und selten so, wie man es im Businessplan festgehalten hat. Ideen, die wunderbar und einleuchtend klingen, werden vom Markt ignoriert. Andere, die befremdlich anmuten, werden euphorisch angenommen. Man denke nur an das Tamagotchi, den Strohhalm oder den Kaugummi.
Vom Serendipity-Prinzip lernen
:: Serendipity beschreibt die zufällige Beobachtung von etwas Nützlichem, nach dem man nicht gesucht hat.
:: Was auf andere wie ein Glückstreffer wirkt, ist in der Regel ein Zusammenspiel aus Offenheit, Neugierde und Beharrlichkeit. Nur wer sein Glück erzwingt, dem wird Serendipity begegnen.
:: Nicht alle abgelehnten Produktvorschläge entwickeln sich positiv. Aber Serendipity lehrt uns, die Zufälligkeiten zu erkennen und anzupacken. Häufig werden innovative Produkte nicht erkannt oder abgelehnt, weil sie nicht in die dominierende Branchen- oder Produktlogik passen. Nicht selten werden sie aber gerade deshalb zu großen Verkaufsschlagern.
Zitate
"Serendipity beschreibt die zufällige Beobachtung von etwas Nützlichem, nach dem man nicht gesucht hat." Oliver Gassmann & Sascha Friesike: Das Serendipity-Prinzip
changeX 13.03.2012. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Oliver Gassmann, Sascha Friesike: 33 Erfolgsprinzipien der Innovation. Carl Hanser Verlag, München 2012, 256 Seiten, 19.90 Euro, ISBN 978-3-446-43042-6
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Autor
Sascha FriesikeSascha Friesike ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin.
Autor
Oliver GassmannOliver Gassmann ist Professor an der Universität St. Gallen und Vorsitzender der Direktion des dortigen Instituts für Technologie-management.