Mit Fantasie an die Arbeit
Vorbei. Die Normalarbeit, nine to five in Festanstellung, kann man sich abschminken. Die neue Arbeitswelt bietet weniger Sicherheit, aber mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Peter Plöger hat am Ende seines Buches zusammengefasst, worauf angehende Arbeitssammler achten sollten. Ein Aufwärmprogramm.
Für alle die, die schon ahnen, dass sich die goldene Tür zu einem sicheren Job mit gutem Auskommen für sie verschlossen hat; für alle die, die nach Schule, Ausbildung, Uni, Akademie et cetera in Kürze eine Arbeit finden wollen, aber schon wissen, dass es wohl eine andere werden wird, als sie erwartet haben; für alle die, die sich in Bälde zu uns gesellen werden:
Hier ist euer Aufwärmprogramm!
(1) Schminkt euch die Idee „Normalarbeit für alle“ endgültig ab! Ihr habt viel investiert, eine gute Ausbildung hinter euch, eine Menge nebenbei gemacht, das euch die Autobahn in die berufliche Zukunft hätte ebnen sollen, und trotzdem: Vergesst die gerade Spur! Ihr seid auf einem Feldweg gelandet. Niemand wird euch hören, wenn ihr klagt, ihr hättet doch alles richtig gemacht und trotzdem fühle sich der Berufseinstieg so falsch an. Begrüßt die nicht normale Arbeit! Stellt euch ein auf Beweglichkeit, Veränderungsfähigkeit, Risikobereitschaft, Pragmatismus. Was euch am ehesten erwartet, ist viel Arbeit, wenig Geld, keine Sicherheit.
(2) Schaut euch an, wie andere Arbeitssammler arbeiten! Sprecht mit ihnen. Informiert euch auf www.arbeitssammler.de. Macht euch ein möglichst genaues Bild davon, was euch erwartet. Lernt rechtzeitig die Fakten kennen. Es hat keinen Sinn, weiter der Hoffnung auf eine Normalarbeit hinterherzulaufen, wenn ihre Erfüllung schon so unwahrscheinlich geworden ist.
(3) Findet euer eigenes Arbeitsmodell, habt Fantasie! Versucht es am Anfang zum Beispiel mit dem einfachen Brotjobberinnen-Modell: ein Job, der das Geld bringt, ein anderer, der das bringt, was ihr wirklich tun wollt. Scheut euch nicht vor Jobdispersion. Nutzt eure Qualifikationen zum Besten, was euch die augenblicklichen Jobchancen bieten! Wartet nicht auf einen Job, in dem ihr das, was ihr einmal gelernt habt, einfach anwenden könnt. Nutzt euer Können da, wo man es gebrauchen kann – auch wenn das ganz unerwartete Orte sind. Lotet weiter Chancen aus. Zögert nicht, sie zu ergreifen, wo sie sich bieten. Seid schöpferisch mit Beschäftigungsmöglichkeiten und bereit, euer Arbeitsmodell im Laufe der Zeit immer wieder zu verändern.
(4) Konzentriert euch nicht bloß auf eure Fachkompetenzen! Lernt frühzeitig, was euch Ausbildung, Hochschule, Akademie und so weiter nicht beibringen: Akquise, unternehmerisches Handeln, Ideen umsetzen, Selbstdisziplin, „Zeitmanagement“, Gelassenheit, Vertrauen in euch und eure Ideen. Übt das alles in der Praxis ein. Probiert euch zeitig aus als (Selbst-)Unternehmer, solange eure Existenz noch nicht davon abhängt. Gründet einen Internethandel, denkt euch eine originelle Dienstleistung aus oder bastelt mit Freunden im Keller ein Produkt, das noch keiner kennt. (Dass das alles vielleicht kaum einer braucht, interessiert erst mal nicht. Wundert euch lieber darüber, woran man alles ein Kleinstunternehmen aufhängen kann und was man daraus alles lernen kann.)
(5) Stellt euch auf ewiges Weiterlernen ein! Ihr dürft nicht damit aufhören. Für Arbeitssammlerinnen gilt sogar noch mehr als für andere: Wer stehen bleibt, fällt zurück. Zurücklehnen im „das habe ich geschafft, das ist mir sicher“ fällt aus. Diese Bequemlichkeit kommt allenfalls später zurück, solltet ihr sehr erfolgreich sein. Aber dann werdet ihr längst Blut geleckt haben und weiterlernen, einfach weil ihr weiterlernen wollt. Glücklicherweise werdet ihr aber ohnehin schon automatisch beim Arbeiten dazulernen. Ihr werdet eure Möglichkeiten erweitern – und damit eure Arbeitsfelder –, wo immer ihr euch bewegt. Mehr können: Das ist euer Ersatz für eine herkömmliche Karriere. Auf die werden nämlich die meisten von euch verzichten müssen.
(6) Aber Obacht! Werdet darüber nicht zu anpassungsfreudig! Beutet euch nicht selber zu stark aus (manchmal muss es sein) und lasst euch von Auftrag- und Arbeitgebern nicht ausbeuten. Langfristig landet ihr sonst in einer Abwärtsspirale, in der sich eure Arbeitsbedingungen verschlechtern werden. Damit tut ihr euch selbst und anderen Arbeitssammlern keinen Gefallen. Spielt zum Beispiel nicht mit bei unsinnig niedrigen Entgeltangeboten. Macht nicht den Anfängerfehler, ohne Bezahlung zu arbeiten. Denkt daran, dass ihr auch anderen die Preise kaputt macht. Wenn der Auftraggeber niemanden mehr findet, der es billiger macht, muss er eure Preise akzeptieren. Und: Auch Praktika dürfen bezahlt werden. Steht denen, die euch entlohnen (sollten) ruhig mal auf den Füßen! Verhandelt, besteht auf gerechter Bezahlung und einem Ausgleich von Auslagen (Fahrtkosten, Fortbildungskosten und so weiter).
(7) Es gibt mehr Arbeitssammlerinnen, als ihr denkt. Schließt euch zusammen! Gebt euch eine Stimme! Lasst eure Auftraggeber und die Politik eure Interessen hören (ihr werdet tatsächlich ein paar Leute finden, die ein offenes Ohr dafür haben). Den Anfang haben wir auf www.arbeitssammler.de gemacht.
(8) Und vor allem: Bleibt optimistisch für eure Zukunft (wenn schon nicht für die Zukunft der Arbeit schlechthin)! Arbeitssammler zu sein ist eben nicht nur manchmal unbezahlt, sondern oft auch schlicht unbezahlbar.
changeX 12.03.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Autor
Peter PlögerPeter Plöger, freiberuflicher Autor, war als Vorstandsmitglied der "Vereinigung für Ökologische Ökonomie" (VÖÖ) mit Wirtschaft auf neuen Wegen beschäftigt und kennt als akademisch ausgebildeter Multijobber die alltägliche Selbstorganisation von Arbeit aus dem Effeff. 2010 erschien im Carl Hanser Verlag sein Buch Arbeitssammler, Jobnomaden und Berufsartisten. Sein neues Buch Einfach ein gutes Leben ist im Herbst 2011 ebenfalls bei Hanser erschienen.