Fatale Politisierung der Ökonomie
Ein Zwischenruf von Utz Claassen.
Rentengarantie, Mindestlohn, Deutschlandfonds - die Kombination politischer Versprechen und Versprechungen ist unhaltbar und unverantwortbar. Denn sie kommt einer Enteignung künftiger Generationen gleich. Utz Claassen spricht Klartext. Regelmäßig kommentiert er die aktuellen Entwicklungen in Politik und Wirtschaft. Hier seine Kritik der fortschreitenden Politisierung der Ökonomie. / 15.07.09
Der politische Streit um die "Rentengarantie" beherrscht derzeit die Szene. Dass er so erbittert geführt wird, darf niemanden überraschen, denn ökonomische Rationalität und soziales Wunschdenken stehen hierbei in diametralem Gegensatz zueinander. Kein einziger anständiger Mensch würde den Ruheständlern einen Anstieg ihrer Bezüge um 2,4 Prozent im Westen oder 3,4 Prozent im Osten missgönnen. Doch Adam Riese wird nicht besiegt. Schon heute müssen 2,5 Beschäftigte für einen Rentner sorgen, bis zum Jahr 2050 wird das Verhältnis bei eins zu eins liegen. Wer sich also wirklich um das Wohl der älteren Generation sorgte, dürfte staatliche Ressourcen nicht in Abwrackprämien oder Unternehmenshilfen stecken, sondern müsste sich stattdessen vermehrt um Familienpolitik und qualifizierte Zuwanderung sowie - ohnehin selbstverständlich - Bildung und Innovation kümmern. Wer jedoch in einem Budgetjahr fast so viel für das Abwracken ausgibt wie für die Familienpolitik und gleichzeitig noch Rentengarantien ausspricht, handelt nicht nur verantwortungslos und fahrlässig, sondern streng genommen sogar zynisch und unanständig, und dies umso mehr vor dem Hintergrund dreistelliger öffentlicher Milliardenbeträge für Deutschlandfonds und Bankengarantien. Die Kombination der verschiedenen Versprechen und Versprechungen ist unhaltbar und unverantwortbar. Letztlich kommt sie einer Enteignung künftiger Generationen gleich.

Abkehr von ökonomischer Rationalität.


Doch lassen wir die ökonomischen Aspekte des Rentenstreits einmal beiseite. Sie werden in den Medien derzeit ohnehin eingehend und differenziert beleuchtet, und die Position der qualifizierten Ökonomen hierzu ist hinreichend eindeutig. Unterstellen wir sogar einmal, es sei ökonomisch irrelevant, ob die Renten nun um drei Prozent steigen oder nicht, und der Staat könne sich trotz seines Verschuldungsniveaus in vierstelliger Milliardenhöhe auch noch eine Rentengarantie und damit eine weitere Erhöhung des größten Postens im Staatshaushalt leisten. Selbst dann wären die aktuellen politischen Beschlüsse unverantwortbar. Denn viel wichtiger als die Frage, ob es denn nun vielleicht ein Prozent weniger oder mehr sein soll, kann oder darf, ist die Frage der ordnungspolitischen Stringenz: Im Kern bedeuten Rentengarantie und Außerkraftsetzung von Rentenformel nichts anderes als die Abkehr von ökonomischer Rationalität und die Politisierung der Rentenfindung. Und dies ist - vollkommen unabhängig von allen durchaus verständlichen sozialen Erwägungen - ein ordnungspolitischer Sündenfall.
Letzterer steht keineswegs allein. Durchaus vergleichbar ist die Situation bezüglich der Mindestlohndiskussion. Kein einziger anständiger Mensch würde den Betroffenen einen Mindestlohn von 7,50 Euro, 8,50 Euro oder auch zehn oder zwölf Euro missgönnen. Doch auch hier stehen ökonomische Wirkungszusammenhänge - noch dazu im Kontext globaler Wettbewerbszwänge - und soziales Empfinden in einem deutlichen Spannungsfeld. Es sei an dieser Stelle erneut auf die Aufzählung der relevanten ökonomischen Argumente verzichtet. Und es sei wiederum angenommen, das sozial Gewünschte sei auch wirklich wirtschaftlich darstellbar, ohne dass die, denen man vorgeblich helfen will, am Ende (etwa durch Arbeitsplatzverlust oder verhinderten Arbeitsplatzgewinn) am meisten unter den Folgen potenzieller gesetzlicher Festlegungen zu leiden hätten. Aus ordnungspolitischer Sicht ist auch der Mindestlohn ein Sündenfall, denn er bedeutet nichts anderes als die Politisierung der Lohnfindung (und ist zugleich - ob zu Recht oder zu Unrecht - ein deutliches Symbol für einen Mangel an gewerkschaftlicher Kraft).
Noch deutlicher wird der Verlust und Verfall an ordnungspolitischer Stringenz und Vernunft am Beispiel des Deutschlandfonds. Das, was dimensional in etwa "Holzmann mal 1.000" entspricht, bedeutet schlussendlich nichts anderes als die Politisierung des Wettbewerbs. Der Staat macht sich selbst zum Herrn über Leben und Tod - zum Glück nicht im Hinblick auf Menschen, durchaus aber in Bezug auf Unternehmen und Unternehmensschicksale. Wer als Unternehmen im Einzelfall (mit Staatshilfe zumindest temporär) "überleben" darf und wer (ohne Staatsunterstützung unternehmerisch sofort) "sterben" muss, wird nicht mehr vom Wettbewerb und von den Kunden (beziehungsweise dem Insolvenzrecht) entschieden, sondern vom allmächtigen Staat. Die Politisierung von Wettbewerb jedoch bedeutet letztlich die Verschiebung der Wettbewerbsfunktion auf die staatliche Administration und Bürokratie - die mit dem Wettbewerb naturgemäß nur begrenzte Erfahrung hat und dadurch logischerweise von ihm auch nur ein begrenztes Verständnis haben kann. In der gelebten Realität bedeutet diese Verschiebung sogar eine potenzielle Verantwortungsübertragung an Gremien außerhalb angemessener demokratischer Transparenz und Kontrolle.

Parteieninteresse anstelle ökonomischer Vernunft.


Rentengarantie, Mindestlohn und Deutschlandfonds in Summe reflektieren eine dramatisch und beängstigend zunehmende Politisierung der Ökonomie. Und das wiederum heißt nach aller gewonnenen Lebenserfahrung nichts anderes als Entlanghangeln an Gemengelagen sowie Fokussierung auf wahltaktische Überlegungen und Parteieninteresse anstelle ökonomischer Vernunft und faktenbasierter Entscheidungsfindung. Glaubt ein einziger Mensch allen Ernstes, dass wir damit den Belegschaften krisengeschüttelter Unternehmen, den Erwerbstätigen im Niedriglohnbereich oder den Rentnern wirklich helfen? Denen von heute, denen von morgen oder etwa denen des Jahres 2050?

Utz ClaassenUtz Claassen ist Topmanager, Unternehmensberater, Unternehmer, Wissenschaftler und Buchautor. Bis 2007 war er Vorstandsvorsitzender der EnBW Energie Baden-Württemberg AG. Er ist Honorarprofessor am Institut für Controlling der Leibniz Universität Hannover und Professor für Innovative Unternehmensführung, Risikomanagement und Wissensmanagement an der GISMA Business School. Sein neues Buch Wir Geisterfahrer ist bei Murmann erschienen.

Utz Claassen kommentiert regelmäßig die aktuellen Entwicklungen in Politik und Wirtschaft unter
www.murmann-verlag.de/geisterfahrer


Utz Claassen:
Wir Geisterfahrer.
Wir denken falsch. Wir lenken falsch. Wir riskieren die Zukunft unserer Kinder.

Murmann Verlag, Hamburg 2009,
376 Seiten, 19.90 Euro.
ISBN 978-3-867740661
www.murmann-verlag.de

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