Maschinen werden Kollegen sein
Digitalisierung ist disruptiv. Vor allem in ihrer Wirkung auf Arbeit. Die eigentliche Revolution wird aber nicht in den Fabriken, sondern in den Büros stattfinden. Denn künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen machen die Jobs vieler Büroarbeitskräfte überflüssig. Das Gebot der Stunde: Mit den Maschinen arbeiten - nicht gegen sie. 25 Thesen.
Die eigentliche Revolution der Arbeit in der digitalen Welt wird nicht in den Fabriken, sondern in den Büros stattfinden. Künstliche Intelligenz und Machine Learning bestimmen die Zukunft der Arbeit, weil sie die Jobs vieler Büroarbeitskräfte überflüssig machen, die eigentlich nur händisch Daten verarbeiten. Daher wird die Herausforderung darin bestehen, diese Arbeitskräfte zu schulen, damit sie die Daten, die der Computer berechnet, interpretieren können. Mit den Maschinen arbeiten - und nicht gegen sie - lautet das Gebot der Stunde. Parallel dazu lösen sich die Strukturen der Arbeit auf. Festanstellungen werden an Bedeutung verlieren. Die Deutsche Telekom hat zusammen mit der Universität St. Gallen diese Megatrends der Arbeit in der digitalen Welt erforscht.
"Die Digitalisierung kommt nicht als laues Lüftchen daher, sondern als Sturm. Sie ist disruptiv. Die 25 Thesen unserer Befragung machen das deutlich. Sie zeigen Handlungsfelder für die Debatte über den Wandel von Arbeit in den Unternehmen auf", sagt Christian P. Illek, Personalvorstand der Telekom. Seine Schlussfolgerung: Arbeit muss im Ökosystem Digitalisierung neu organisiert werden.
Die in der Studie befragten Experten gehen von der "Auflösung der Organisation" aus. Die Loyalität der digitalen Fachkräfte werde künftig weniger der eigenen Firma als vielmehr hoch spezialisierten, firmenübergreifenden Communitys gelten, lautet eine Prognose der 60 befragten Experten für das "Arbeiten 4.0". Im Folgenden werden die 25 Thesen, unterteilt in drei Abschnitte, vorgestellt. Vieles ist überspitzt, und nicht mit allen Thesen muss man einverstanden sein (besonders These 4 wirkt wie aus einer längst überwunden geglaubten Zeit). Aber es ist auch viel Nachdenkenswertes dabei.
Die Auflösung der Organisation
1 Liquid statt starr
Die neue Arbeitswelt ist geprägt durch Netzwerke. Standardisierte Back-End-Prozesse werden zwischen Unternehmen geteilt, ohne dass dies für Kunden oder Mitarbeiter sichtbar ist. Dadurch entstehen Arbeitsplätze ohne eindeutige organisatorische Zugehörigkeit und Produkte ohne eindeutigen Absender.
2 Peer-to-Peer statt Hierarchie
Hoch spezialisierte Fachkräfte kommunizieren weltweit in Special Interest Communities. Nicht mehr die Organisationszugehörigkeit, sondern nur noch die fachliche Expertise leitet Loyalitäten. Die gelösten Bindungen führen auch zum Ende der Organisierbarkeit.
3 Beauftragen statt einstellen
Unternehmen greifen für die Erbringung spezifischer Leistungen immer weniger auf die dem Unternehmen fest verbundene Workforce zurück. Globale Transparenz von Skills und Verfügbarkeiten hoch qualifizierter Fachkräfte führen zu einem "Hiring on Demand". Das Arbeitsverhältnis wandelt sich zum Arbeitseinsatz.
4 SAP statt McKinsey
Organisationen strukturieren sich nicht mehr entlang von Organigrammen. Komplexe IT-Systeme geben standardisierte Abläufe und Organisationsformen vor. Es ist billiger, die Organisation an die Software anzupassen, als die Software zu individualisieren. Die Softwarestandardisierung macht Organisationsformen homogener.
5 Offen statt geschlossen
Akzelerierte Transparenzansprüche sowie die Notwendigkeit zu Co-Creation mit Kunden (Open Innovation) führen zu einer Öffnung und Entgrenzung vormals geschlossener Unternehmensstrukturen. Übergänge zwischen innen und außen werden flüssig, Herrschaftswissen, wie zum Beispiel Patente, verliert an Wert. Die Fähigkeit, schnell und offen zu skalieren, wird zum Königsweg. Dabei wird die Crowd zum Teil der Wertschöpfung.
6 Prosumenten statt professionelle Produzenten
Statt auf Mitarbeiter setzen Unternehmen immer mehr auf Kunden. Viele (digitalisierbare) Leistungen werden von Begeisterten freiwillig und unentgeltlich erbracht. Beim Prosumerismus verschwimmen die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten. Freiwillige digitale Arbeit ersetzt dabei professionelle Beschäftigung.
Arbeit in der digitalen Netzwerkökonomie
7 Vom Ausführen zum Überwachen
Die Rolle des Menschen im Produktionsprozess transformiert sich vom Erbringer der Arbeitsleistung in den Überwacher der Maschinen. Routinevorgänge und auch körperlich belastende Tätigkeiten werden von diesen selbständig abgewickelt. Der Mensch kontrolliert und greift nur im Notfall ein.
8 Maschinen als Kollegen, Kooperationspartner und Kontrolleure
Neue Interaktionsformen zwischen Mensch und Maschine ziehen herauf. Diverse Spielarten werden in Zukunft koexistieren. Von Menschen, die Maschinen steuern, über Maschinen als Kollegen der Menschen bis zur Verschmelzung von Maschine und Mensch oder der kompletten Übernahme der Maschinen.
9 Cloud- und Crowdworking als Übergangsphänomen
Digitale Leistungen werden in immer kleinere Teile zerlegt und an "Virtual Laborers" delegiert. Durch Big-Data-Analysen können Wertbeiträge präzise einzelnen Arbeitskräften zugeordnet werden. Cloud- und Clickworker erbringen ihre Leistungen im Akkord. In absehbarer Zeit werden viele dieser Tätigkeiten voll digitalisiert sein.
10 Die Datenleser
Mit Big Data liegen für alle Lebensbereiche hinreichend Daten vor. Die Fähigkeit, diese sinnvoll zu kombinieren und zu interpretieren, ist eine Schlüsselqualifikation digitaler Arbeit und nicht substituierbar. Von traditioneller Datenanalyse unterscheidet sich die Arbeit mit Big Data allerdings, da keine Hypothesen mehr benötigt werden ("End of Theory").
11 Arbeit ohne Grenzen
Hoch qualifizierte Spezialisten erbringen im Rahmen von Projektarbeit Arbeitsleistung rund um die Welt. Qualifikationen sind global transparent und vergleichbar. Die räumliche Verortung des Leistungserbringers spielt keine Rolle mehr. Arbeit erlangt damit erstmals die gleiche Mobilität wie Kapital.
12 Beruf und Privatsphäre verschwimmen
Die traditionellen Arbeitsorte und -zeiten lösen sich auf. Für Arbeitnehmer ergeben sich hieraus individuelle Gestaltungspotenziale, zum Beispiel zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch neue Belastungen ("always on").
13 Nicht lineares Denken als Domäne des Menschen
Die Automatisierung von Arbeit ist endlich, da kreative Tätigkeiten verbleiben, die voraussehbar nicht maschinell substituierbar sind. Diese finden sich vor allem in sehr spezifischen Nischen. Unternehmerische Skills, Kreativität und die Beherrschung der Maschinen gelten als nur schwer substituierbare Fähigkeiten.
14 Mehr personenbezogene Dienstleistungen
In Hochlohnländern werden Tätigkeiten mit unmittelbarer menschlicher Interaktion aufgewertet. Diese Jobs wachsen auch prozentual. Standardisierbare und anonyme Prozesse dagegen, gerade im Bereich ICT, werden zum Gegenstand von Offshoring und weiterem Effizienzdruck.
15 Selbstmanagement als Kernqualifikation
Durch die flexible und bedarfsgerechte Vergabe von Aufträgen an Arbeitskraftunternehmer lösen sich traditionelle Arbeitszusammenhänge und -abläufe auf. Die Arbeitszeit setzt sich zusammen aus Mikroarbeitszeiten verschiedener Aufgaben, die der Arbeitnehmer nach Bedürfnis und Fähigkeit zusammenstellt.
16 Kreative und produzierende Arbeit wachsen zusammen
Immer häufiger wird von den Erbringern kreativer oder geistiger Leistung verlangt, diese auch materiell umzusetzen. 3-D-Drucker und andere Werkzeuge begünstigen diesen Trend.
17 "Wunderkinder" dringen in die Chefetagen vor
Die weiter steigende Bedeutung von IT eröffnet den "Nerds" den Weg in die obersten Unternehmensetagen. Was früher die musikalischen Wunderkinder waren, sind heute die frühreifen App-Tüftler und Datenexperten. Zum disruptiven Wandel der Unternehmenskulturen wird diese Generation erheblich beitragen. Nicht formale Qualifikationen, sondern ausschließlich technisches Können entscheiden fortan über die Employability.
18 Digitale Inklusion
Distanzarbeit, die Anonymität von Crowd- und Clickworking-Arbeitsverhältnissen und die Flexibilisierung der Arbeitszeiten integrieren auch soziale Gruppen in den Arbeitsmarkt, die für das klassische Normalarbeitsverhältnis nicht zur Verfügung stehen. Dies gilt - wie zum Beispiel in Berlin beobachtbar - für Start-ups, aber auch für Clickworker in Schwellenländern.
Herausforderungen für Führung und Organisation
19 Büros dienen nur noch dem Netzwerken ‒ nicht mehr der Arbeit
Der Arbeitsort von Menschen in flexiblen Arbeitsverhältnissen breitet sich auf den öffentlichen Raum aus. Physische Büros sind temporäre Ankerpunkte für menschliche Interaktion, die vor allem dem Netzwerken dienen. Gearbeitet wird überall - nur nicht am eigenen Schreibtisch.
20 Gamification und Belohnungen werden wichtiger
Gerade bei standardisierten Tätigkeiten sehnen sich Mitarbeiter nach Ablenkung und Belohnung. Gamification und intuitive Bedienbarkeit von IT-Oberflächen werden immer wichtiger und nähern die Arbeitsumgebung einem virtuellen Spielfeld an. Arbeitgeber sind gefordert, spielerische Designprinzipien in standardisierte IT-Anwendungen zu integrieren.
21 Jobhopper fordern die HR heraus
Die Bindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber löst sich. Flexible Arbeits- und Kooperationsformen führen dazu, dass Arbeitnehmer ständig mit einem Bein im Arbeitsmarkt stehen. Systematische Personalentwicklung wird so erschwert. Gleichzeitig steigen Erwartungen und Ansprüche der Mitarbeiter an unmittelbar nutzbare Qualifizierungen.
22 Führen auf Distanz
Der Abschied von der räumlich verorteten Arbeit geht mit einem Wandel von der Präsenzkultur zur Ergebniskultur einher. Führungskräfte müssen lernen, dass sie mehr motivieren als kontrollieren werden. Die Kunst besteht darin, persönliche Bindung auch über unpersönliche technische Kanäle aufzubauen und zu erhalten.
23 Neue Märkte erschließen, alte Märkte verteidigen können
Ein zunehmendes Innovationstempo erzwingt die ständige Neubesetzung zukunftsträchtiger Geschäftsfelder und die Transformation der bestehenden Geschäftsmodelle. Gleichzeitig muss das in der Gegenwart noch profitable Kerngeschäft so effizient wie möglich verfolgt werden. Management wird so "beidhändig" und agiert in Gegenwart wie Zukunft gleichermaßen.
24 Matching per Mausklick
Digitale Arbeitskräfte sind in Form individueller Datenpakete quantifiziert - ihre Kompetenzen, Erfahrungen, Kapazitäten. Das erleichtert die passgenaue Vergabe von Aufträgen. Störfaktoren im Datenprofil können so ein Matching aber auch verhindern. Personalauswahl wird weniger intuitiv, aber auch weniger an kultureller Passung orientiert.
25 Komplette Überwachung der Arbeit
Sensoren prägen das "Büro der digitalen Arbeit". Eigenschaften der Umgebung, der Prozesse, der Arbeitsergebnisse und der Arbeitenden werden laufend aufgezeichnet, um sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer Informationen über Qualität und Verbesserungspotenziale der Arbeit zu liefern. Praktischer Nutzen muss gegen ethische Erwägungen abgewogen werden.
changeX 08.07.2016. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Quellenangaben
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Die Thesen sind veröffentlicht in: Wolfgang Jäger, Peter Körner: "New Work, New Leadership", in: Thorsten Petry (Hg.): Digital Leadership. Erfolgreiches Führen in Zeiten der Digital Economy. Freiburg 2016, Seite 99-114
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Der Beitrag basiert auf: Universität St. Gallen/Telekom Shareground: "Arbeit 4.0: Megatrends digitaler Arbeit der Zukunft ‒ 25 Thesen", Ergebnisse eines Projekts von Shareground und der Universität St. Gallen (2015), in:Megatrends digitaler Arbeit
Zum Buch
Thorsten Petry (Hg.): Digital Leadership. Erfolgreiches Führen in Zeiten der Digital Economy. Haufe-Lexware Verlag, Freiburg 2016, 472 Seiten, 49.95 Euro, ISBN 978-3-648-08057-3
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