Sinn in Unternehmen
Viele Unternehmen sind "lost in transformation". Angesichts des rasanten Wandels und der weitreichenden Veränderungen in der Welt von heute verfallen sie in Aktionismus. Motto: Hauptsache, in Bewegung bleiben. Was vielfach fehlt, ist eine klare Orientierung, eine Vision, die mehr ist als ein Marketingslogan. Eine Vision beantwortet die Frage nach dem Sinn des Unternehmens. Formuliert wird sie unter Beteiligung aller.
Bis zur ersten Dekade des 21. Jahrhunderts waren Vision, Mission und Werte hauptsächlich Marketingthemen. Wenn ein Unternehmen überhaupt eine Vision hatte, war diese von einer externen Werbeagentur formuliert und spiegelte zumeist das jeweilige Selbstbild des Unternehmens wider. In etlichen Fällen handelte es sich eher um eine Mission, die Grenzen waren fließend. Werte fanden sich bestenfalls in den üblichen Floskeln im Hinblick auf Kundenorientierung und im internen Führungsverständnis von großen Konzernen wieder. Allerdings galten diese zumeist nur auf dem Papier. Einzig Unternehmen, die aus einem Werteverständnis heraus gegründet wurden, wie beispielsweise die Naturkosmetikmarke Weleda, oder NGOs, wie zum Beispiel Greenpeace, haben Werte von innen heraus zum Maßstab ihres Handelns gemacht.
Die weitreichenden Veränderungen - der Generationen- und damit der Wertewandel, die digitale Transformation und die daraus resultierenden neuen Arbeitswelten - haben die Karten nun völlig neu gemischt. Vision, Mission und Werte haben mittlerweile eine viel wichtigere Bedeutung für die strategische Führung eines Unternehmens, die Leadership der Mitarbeiter sowie die Wahrnehmung am Markt erlangt. Doch diese Bedeutung wird derzeit erst von wenigen erkannt, geschweige denn genutzt.
Im Folgenden werden wir aufzeigen, wie eine Vision, eine Mission und Werte für Unternehmenslenker zu unverzichtbaren Erfolgsfaktoren werden, um ihr Unternehmen und vor allem ihre Mitarbeiter sicher durch die Stromschnellen der derzeitigen rasanten Veränderungen zu leiten. Dazu gehören die folgenden fünf Punkte, auf die wir noch im Detail eingehen:
- die Vision als Erfolgsfaktor in Transformationsprozessen
- Vision, Mission und Werte als Hilfe, die richtigen strategischen Entscheidungen zu treffen
- die Erfolgsfaktoren Vision, Mission und Werte im Zusammenhang mit Sinnfindung und Unternehmenskultur
- die passende Vision finden und alle am Prozess beteiligen
- die Vision bei den Mitarbeitenden emotional verankern und zum Teil des Unternehmensalltags werden lassen
Doch zunächst einmal eine Bestandsaufnahme.
Der derzeitige Stand in Unternehmen
Zahlreiche Faktoren wie Digitalisierung, Globalisierung, Bedrohungen wie zum Beispiel Cyberkriminalität, Reglementierungen sowie Werte- und Generationswandel stellen zunehmend und in erhöhter Komplexität und Geschwindigkeit große Herausforderungen an Unternehmen und damit an Führungskräfte. Das führt zu einem immensen Druck, dem viele Unternehmenslenker mit einem noch größeren Aktionismus als sonst begegnen: Es werden ständig neue Strategien ins Leben gerufen, die vielleicht erst einmal verlockend sind und wie eine wirklich gute Idee klingen. Aber letztlich passen sie dann doch nicht ins Portfolio oder zur Unternehmenskultur, erhalten somit nie die rechte Anschubenergie und scheitern irgendwann kläglich. Hinzu kommen ständig neu gesteckte Ziele und Berge von Projekten. Und auch diese wechseln unaufhörlich, und vor allem ist häufig unklar, wie sich diese auszahlen sollen. Doch noch immer wird genau das belohnt: "Macher" genießen in der Managementwelt noch immer großes Ansehen.
Viele Unternehmen erscheinen "lost in transformation". Das Motto scheint zu sein: "Hauptsache, in Bewegung bleiben", doch die Folge sind hohe Streuverluste, 100 Schuss, von denen vielleicht zwei Kugeln treffen. Während es logisch erscheint, erst das Ziel und daraus abgeleitet den Weg zu definieren, schlagen viele Unternehmen einen neuen Weg ein, ohne diesen wirklich am Ziel auszurichten. Das andere Extrem: Sie bleiben ihren bisherigen Gefilden treu, aus dem Gefühl heraus oder weil sie es so gewohnt sind.
Die individuelle Arbeitsbelastung durch das Tagesgeschäft ist wegen des umfangreichen Abbaus von Arbeitskräften in vielen Unternehmen ohnehin hoch. Dazu kommen Unmengen an Projekten sowie Produkt- und IT-Migrationen. Die Folge: Die Mitarbeiter, auf die es jetzt eigentlich besonders ankommt, sind verwirrt und unsicher, weil sie nicht immer verstehen, warum es alle diese Veränderungen gibt. Sie haben kein Vertrauen mehr darin, dass sich der Nutzen - auch für sie persönlich - noch entfalten wird.
Die Führungskräfte sind in der Regel selbst so stark beschäftigt, dass die Kommunikation über die anstehenden Veränderungen oftmals auf der Strecke bleibt. Vielfach haben Mitarbeiter das Empfinden, dass da etwas über sie hinwegrollt. Manche verhalten sich neutral abwartend, etliche gehen in die innere Kündigung, andere in den äußeren Widerstand und wieder andere verlassen das Unternehmen. Wer in diesem Szenario kaum noch eine Rolle spielt, ist der Kunde - selbst in den Fällen, in denen "Customer Satisfaction" zu den größten Versprechen des Unternehmens zählt.
Es fehlt also offenbar an Orientierung, Klarheit und Kommunikation und in der Folge an Motivation.
Das bedeutet keineswegs, dass diese Unternehmen keine Vision hätten. Aufgeschreckt durch den allgemeinen Hype um das Thema wurden zumeist von Marketingagenturen scheinbar kraftvolle Formulierungen gefunden und grafisch aufwendig in PowerPoint-Präsentationen aufbereitet, welche dann ihre Reise durch die Unternehmen machen, um schließlich irgendwo im Intranet oder im hintersten Winkel des Servers vergessen zu werden. - Und das, obwohl die Frage nach der Vision fester Bestandteil in fast jeder durchgeführten Mitarbeiterbefragung ist. Zumeist sind die Ergebnisse bestenfalls Mittelmaß. Wer Führungskräfte oder Mitarbeiter nach der Vision des Unternehmens fragt, erntet in etlichen Fällen eher ratlose Gesichter, meist jedoch Augenrollen oder Kopfschütteln. Oft löst schon die Erwähnung des Wortes "Vision" starke Ermüdungserscheinungen aus, weil es schon so häufig thematisiert wurde - nur weiß offenbar leider niemand so recht, warum.
Auch die teilweise bombastischen Formulierungen, die derzeit gängigen Buzzwords wie "agil", "disruptiv", "kundenorientiert", "menschlich", die sich in zahlreichen Visionen und Missionen finden, sorgen dafür, dass die Mitarbeiter und selbst die Führungskräfte die Schotten herunterlassen, weil sie diese Worte zwar ständig hören, aber nur selten Taten gesehen haben.
Eine Vision ist eben kein pfiffiger Marketingslogan, doch was sonst?
Die Vision - Erfolgsfaktor in Transformationsprozessen
Es finden sich viele Definitionen, was unter einer Vision zu verstehen ist. Viel wichtiger erscheint uns zu beschreiben, welche fundamental wichtige Aufgabe eine Vision besonders in Zeiten großer Transformationsprozesse erfüllen kann: Wie eingangs beschrieben werden in vielen Unternehmen ständig neue Initiativen gestartet, Strategien und Ziele definiert, Projekte gestartet, welche Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen in Atem halten. Doch die Klarheit, auf welches Ziel diese ausgerichtet sein sollen, fehlt oft den Entscheidern selbst. Häufig ist es sogar so, dass sich diese Frage keiner stellt. Jedes GPS-System verlangt ein Ziel, bevor es den Weg berechnet. In vielen Unternehmen läuft es hingegen anders. Es werden Wege definiert, die dann wenig überraschend im Kreis verlaufen oder Teams gegeneinander arbeiten lassen. Eine wirkungsvolle Vision gibt dem Unternehmen, den Entscheidern und den Mitarbeitern eine gemeinsame Ausrichtung. Doch dazu muss es auch wirklich eine Vision sein.
Vielleicht ist es zunächst wichtig, Ziel und Vision zu unterscheiden: Eine Vision ist immer ein Ziel, aber nicht alle Ziele sind eine Vision. Auch Mission und Vision werden häufig verwechselt oder vermengt. Der Satz "Bis 2025 wollen wir unseren Marktanteil um 20 Prozent steigern und so zum Marktführer werden" ist dafür ein gutes Beispiel. Das ist keine Vision, sondern ein Ziel und allerhöchstens für die Unternehmensverantwortlichen interessant. Die Mitarbeiter können sich bestenfalls intellektuell zu diesem Satz bekennen, emotional löst er bei ihnen sicher gar nichts aus. Deshalb vergessen sie ihn auch gleich wieder.
Ein positives Beispiel für eine Vision ist dagegen, wenn wir uns entschließen, Kinder zu bekommen. Sofort entstehen wunderbare Bilder in unserem Kopf, wie die gemeinsame Zukunft, wie unser Leben dereinst aussehen wird. Weihnachten, gemeinsam Fußball spielen oder was auch immer bei jedem Einzelnen auftaucht: Auf jeden Fall sind es vermutlich sehr positive Bilder, die starke Emotionen auslösen. Der Alltag mit Kindern ist keineswegs immer nur schön, manchmal auch ganz schön herausfordernd. Hier kann man aber deutlich sehen, dass eine gute Vision Sinn verleiht und vor allem auch Kraft für schwere Zeiten gibt. Sie lässt uns über uns hinauswachsen.
Der Begriff lässt sich so definieren: Eine Vision ist ein Bild, ein Zustand, das beziehungsweise der aus der Zukunft heraus eine unwiderstehliche emotionale Anziehung auf alle Menschen im Unternehmen ausübt - dabei geht es um das Business, um die Menschen und um den gesellschaftlichen Beitrag. Zahlen, Größe oder Status spielen dabei keine Rolle.
Bill Gates stellte im November 1994 seine Vision 2005 für Microsoft vor: "Information at Your Fingertips". Bei Wikipedia lautete die Vision: "Stell Dir eine Welt vor, in der jeder einzelne Mensch freien Anteil an der Gesamtheit des Wissens hat." Diese Visionen sind für Kunden und Mitarbeiter selbst gleichermaßen einladend, beinhalten einen gesellschaftlichen Beitrag, sind zukunftsorientiert und gleichzeitig kurz und knackig.
Die Vision 2020 von Coca-Cola hingegen umfasst sechs Punkte und fast eine halbe DIN-A4-Seite, alles typische Marketingsuperlative. Doch wer soll sich das merken, wer soll das glauben und wen soll das anzünden? Das sind Ziele, Strategien, aber keine Vision.
Eine wirkungsvolle Vision ist idealerweise der Grund, warum jeder Mensch im Unternehmen morgens freudig das Bett verlässt, um seinen eigenen Beitrag zu leisten, diese Vision dereinst wahr werden zu lassen. Und sie gibt Kraft in schwierigen Zeiten. Sie lässt uns durchhalten, wenn die zeitliche und vor allem die emotionale Belastung mal wieder hoch sind. Doch sie kann noch viel mehr.
Vision, Mission, Werte - Hilfe bei strategischen Entscheidungen ...
Bevor wir eine Strategie entwickeln, benötigen wir erst einmal eine Vision. Zwei Fragen sind dafür grundlegend:
- Wo wollen wir hin?
- Und wie kommen wir am besten dahin?
Was in seiner Logik so bestechend einfach klingt, scheint im Alltag jedoch häufig nicht zu klappen. Wenn es jemals ein Ziel gab, ist es in vielen Unternehmen - vor lauter Enthusiasmus - oft aus dem Bewusstsein verschwunden, wenn wichtige Entscheidungen über Strategien getroffen werden.
Die Vision ist die Schablone, in die alles Weitere hineinpassen muss. Was nicht auf die Vision ausgerichtet ist, wird nicht gemacht, so attraktiv, finanziell vielversprechend oder öffentlichkeitswirksam es auch immer sein mag. Hier sind gerade inhabergeführte Unternehmen gefährdet, aus der Euphorie eines visionären Inhabers heraus Firmen zu gründen oder aufzukaufen, Produkte auf den Markt zu bringen, die vielleicht wirklich eine gute Idee sind, aber eben nicht auf die Vision einzahlen. So werden wertvolle Ressourcen gebunden, die anderswo gebraucht werden, und das lenkt vom eigentlich Notwendigen ab.
Erst wenn wir eine Vision haben, lassen sich Strategien, Ziele, Projekte und Aufgaben ableiten. Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Wir reisen also in die Zeit ("begin with the end in mind") und bewegen uns zurück ins Heute.
Unsere Werte sind unsere Leitplanken. Und zwar die, die wir wirklich leben, und nicht die, die werbewirksam auf unserer Website stehen.
.. und Erfolgsfaktoren für Sinnfindung und Unternehmenskultur
Früher konnten sich Unternehmen ihre Mitarbeiter aus einem großen Pool auswählen. Mittlerweile hat sich ein Mitarbeitermarkt gebildet, auf dem sich gut ausgebildete Talente aussuchen können, wo sie arbeiten wollen. Sie können Ansprüche stellen und tun das auch. Früher wurde Marketing nur auf Kunden ausgerichtet, mittlerweile hat jeder Konzern eine Employer Branding Unit, die über umfangreiche Budgets verfügt, um Mitarbeiter zu finden und zu halten.
Neue Generationen und damit neue Werte halten Einzug in die Unternehmen: Der Job hat nicht mehr den gleichen hohen Stellenwert im Leben wie noch bei den vorherigen Generationen. Arbeit soll Spaß und Erfüllung bringen, Gratifikationen, die man sich früher erst erarbeiten musste, werden sofort erwartet, Arbeitsplätze und -zeiten sollen flexibel und dem Lifestyle entsprechen, die Kollegen nett und die Führungskräfte mehr denn je Inspiratoren, Coaches, Förderer sein. Eine gute Unternehmenskultur wird genauso wie eine gute Bezahlung vorausgesetzt.
Das alles strahlt auch auf die vorhergehenden Generationen aus: Während sich die Generationen X und die frühen Y kurz nach dem Jahrtausendwechsel noch schlecht gelaunten Chefs, Mikromanagement und einer Angstkultur zu beugen bereit waren, haben sie von der nachfolgenden Generation Z gelernt, dass das auch anders geht. Gesundheit, Erfüllung, Freizeit und die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben werden in diesen Generationen ebenso zunehmend wichtiger. Das geschieht viel schneller, als der Wunsch nach Eigenverantwortung und Freiheit wächst.
Seit der US-amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Milton Friedman 1970 postulierte: "Die soziale Verantwortung der Wirtschaft ist es, ihre Profite zu vergrößern", hat sich einiges getan. Unternehmen sollen heutzutage die Welt besser machen. Mitarbeiter wollen verstehen, worin der Sinn des Unternehmens für die Gemeinschaft, der Sinn ihrer Arbeit, ihrer Aufgabe besteht. Den müssen sie einerseits für sich selbst finden, den muss andererseits ein Unternehmen aber auch bieten. Nicht zuletzt die Bewegung Fridays for Future zeigt, dass gerade die jüngeren Generationen einen Beitrag für eine bessere Zukunft nicht nur von der Politik, sondern auch von den Unternehmen und der Gesellschaft fordern.
Doch Achtung: Die Vision muss die Formulierung von etwas sein, das bereits vorhanden sein sollte. Sie wirkt von innen nach außen. Gerade die jüngeren Generationen sind einerseits durch Internet und soziale Medien gut informiert, was hinter den Kulissen ihres (zukünftigen) Unternehmens geschieht. Andererseits sind sie viel misstrauischer, gerade weil so viele Unternehmen glänzende Marketingfassaden von Kunden- und Mitarbeiterzentrierung, Innovation, Technisierung und Coolness aufgebaut haben, die sich bei näherem Hinsehen jedoch allzu oft als Potemkinsche Dörfer entpuppen. Eine Vision, die nicht mit der Unternehmenskultur, mit den Werten und den Herzen verbunden ist, wird als leeres Versprechen erkannt und sorgt dafür, dass sich Menschen sehr schnell enttäuscht abwenden.
Die passende Vision finden und alle am Prozess beteiligen
Damit eine Vision wirklich der Sinnfindung dienen kann, empfehlen wir das Konzept "Ikigai" (japanisch für Lebenssinn) als zeitgemäße Erweiterung des Hedgehog-Modells, das ausgehend von der Frage nach unseren Leidenschaften ("Was machen wir am liebsten?") zu den Stärken und Talenten weitergeht ("Worin sind wir besser als all die anderen?") und schließlich den wirtschaftlichen Aspekt mit einbezieht ("Womit können wir Geld verdienen? Welchen Mehrwert stiften wir? Wer bezahlt uns dafür?"). Das bedeutet: Sich vom Individuum über Kleingruppen ins Plenum bewegend gilt es, sich folgenden Fragen zu widmen:
- Womit können wir (auch in der Zukunft) Geld verdienen?
- Was braucht die Welt (in der Zukunft)?
- Was lieben wir (als Einzelne, als Team)?
- Worin sind wir gut (als Einzelne, als Team)?
Aus den verdichteten Teilen dieser Arbeit lässt sich die Vision zusammenpuzzeln, die gleichermaßen einen Beitrag für die Gesellschaft beinhaltet.
Und das bringt uns zu den Beteiligten: Eine Vision, die die Mitarbeiter emotional anzünden soll, kann nicht von externen Beratern oder Agenturen gestaltet werden. Wichtig ist eine gute Mischung aller Beteiligten: vom Vorstand bis zum Fahrer, vom Auszubildenden bis zur Abteilungsleiterin. Externe Berater können höchstens als Facilitator unterstützen: beim Entwickeln und dabei, sich dem Kern zu nähern. Und anschließend können Marketingagenturen bei der Formulierung helfen. Nicht umgekehrt.
Damit eine Vision ihre Wirkung entfaltet, ist es grundlegend, dass sie eine - vielleicht zunächst noch schlanke - Verbindung zu den Werten, den bestehenden Kompetenzen, den Talenten der Mitarbeiter ("Warum sollte ich für eine Vision brennen, für die ich keinen Beitrag leisten kann?"), der Infrastruktur, den Kunden, dem (zukünftigen) Markt hat. Alles andere wäre Selbstmord.
Auch klassische Automobilunternehmen müssen ihre Ingenieure, die ihr Know-how im Bereich des klassischen Verbrennungsmotors haben, ebenso wie alle Prozesse und Infrastrukturen behutsam in eine Zukunft führen, die vermutlich eher mit Mobilitätskonzepten, E-Motoren und kurzen Entwicklungsphasen zu tun haben wird. Deshalb ist es so immens wichtig, diese Vision frühzeitig zu entwickeln, um besonders die großen Tanker so zu drehen, dass die Mannschaft nicht von Bord fällt oder das Schiff havariert.
Die Vision zum Teil des Unternehmensalltags werden lassen
Der nächste Schritt ist ein Kulturworkshop, um die emotionale Entzündung zeitgleich für alle zu ermöglichen. Diese zwei Tage sind eine gute Mischung aus Reflektieren, individuellem und gemeinsamem Erleben, Herumspinnen, Spaß haben, sich Ziele setzen und Pläne schmieden.
Je nach Unternehmensgröße sollten alle Führungskräfte dabei sein, vielleicht auch noch Stabsstellen, um ein möglichst starkes Momentum zu schaffen. 200 Menschen in einem Raum erschaffen eine starke Energie, die niemand so schnell vergisst. Vor allem aber erzeugt es ein Gemeinschaftsgefühl, schweißt zusammen, und Betroffene werden nicht nur zu Beteiligten, sondern zu Multiplikatoren gemacht.
Doch mit dem Kulturworkshop ist es noch nicht getan. Bei aller Euphorie sollten sich Führungskräfte und Teammitglieder nicht der Illusion hingeben, dass Workshops eine Transformation anschieben. Das tun nur die Menschen. Im Workshop erfahren sie die Notwendigkeit und lernen Werkzeuge für die Transformation kennen. Es ist wie das Training, um einen Waschbrettbauch zu erhalten: Ich muss Mindset und Ernährung verändern und vor allem regelmäßig und ständig trainieren. Sobald ich aufhöre, baut sich der Effekt schnell wieder ab. Dieses ständige Training, die Auseinandersetzung mit der Vision, die Verbindung jeder Aufgabe zur Vision herzustellen, dafür braucht es Führungskräfte.
Wichtig sind jetzt weniger große Workshops, sondern vielmehr regelmäßige Arbeitsgruppen, Buddy-Meetings, also Treffen mit einem Lernpartner, Mitarbeitergespräche sowie kleine Interventionen im Alltag, um jedes Problem, jede Frage, jede Planung immer wieder mit der Vision zu verbinden. Jede Strategie, jedes Ziel, alle Projekte und Aufgaben müssen geprüft und eventuell angepasst werden, damit sie uns der Vision näherbringen. Wie ein Mantra, das jeder mehrmals am Tag im Kopf und im Gespräch ausspricht. Die üblichen Bildschirmschoner, Plakate oder Ähnliches helfen hier eher nicht. Wir hängen nur dann visuelle Erinnerungshilfen auf, wenn es eben nicht Teil unseres Alltags ist.
Auch die Werte müssen immer wieder als Leitplanken für die Planung und Lösung herangezogen werden. Meilensteine auf dem Weg zur Vision müssen definiert und deren Erreichen muss gefeiert werden, um ständig Aufschluss darüber zu erhalten, wie weit wir sind. Und das jahrelang, bis die Vision erreicht ist. Und kein Tagesgeschäft oder sonstige "gute Gründe" dürfen als Ausrede gelten, davon abzuweichen. Und alle müssen einbezogen werden, damit sie stolz darauf sein können, ihren Beitrag zu leisten. Dann klappt es auch mit der Vision.
Der Beitrag ist unter dem Titel "Lost in Transformation" in dem von Dagmar Werther herausgegebenen Buch Mission - Vision - Werte erschienen. In der Buchfassung erhält er zusätzliche Praxisbeispiele und Informationskästen.
Beate Junginger ist Gründerin und Managing Partner der aergon inside-out leadership transformation in München. Sie und ihr Team unterstützen Führungskräfte, Teams und Organisationen sowohl von DAX-Konzernen als auch Mittelstands- und Start-up-Unternehmen mit der Konzeption und Begleitung ganzheitlicher Transformationsprozesse und Executive Coachings in Europa, Nordamerika und Asien, um mit bewussterem Denken und Handeln der Entscheider und ihrer Teams den unternehmerischen Erfolg zu steigern. In den letzten Jahren hat sie sich intensiv mit den Herausforderungen rund um die Digitalisierung befasst und einige digitale Transformationsprozesse begleitet. Sie ist zertifizierter Scrum Master und führt in Kooperation mit dem Barrett Values Centre Kulturbefragungen in Teams und Gesamtunternehmen durch.
Organisation: aergon - inside-out leadership transformation
Website: www.aergon.de
E-Mail: beate.junginger@aergon.de
Anhang: zum Kulturworkshop
Zielgruppe: Je nach Unternehmensgröße alle Führungskräfte, vielleicht auch noch Stabsstellen oder gleich alle? Üblicherweise befinden sich 100 bis 200 Beteiligte gemeinsam in einem Raum.
Setting: Die Teilnehmer durchlaufen an zwei Tagen den sogenannten 4-D-Prozess, der die Kreativität stimulieren, für Energie und die Bereitschaft zur Veränderung sorgen soll. Die Ergebnisse entstehen ausgehend von der individuellen Reflexion über die Diskussion und Auswahl in Kleingruppen bis zur Präsentation im Plenum.
Erster Tag
Discovery - Schätze heben: Unser Reichtum, unser Kern, unser Bestes, das, was wir bereits haben. Worauf sind wir stolz? Welche Erfolgsgeschichten gibt es? Was muss in der Zukunft erhalten werden?
Dream - Visualisieren: Wie stellen wir uns die Zukunft vor, wenn wir die Vision erreicht haben? Anhand einer geführten Meditation werden die Teilnehmer zum Träumen gebracht. In Kleingruppen werden die individuellen Träume geteilt. Anschließend zeigt jede Gruppe in einer fünfminütigen Szene vor dem Plenum, wie sie sich die Zukunft vorstellt, so kreativ und abgedreht wie möglich. Das wird gefilmt, geschnitten und am nächsten Morgen als Vorbereitung für das Design gezeigt.
Zweiter Tag
Design - Wege und Sprache finden: Wie haben wir das geschafft? Was hat uns motiviert? Was hat sich verbessert? Welche Entwicklungen und Werte waren hilfreich, um den Traum zu realisieren? Wieder wird von der individuellen Reflexion ausgegangen, dann wird - hier über World-Cafés - eine Präsentation der Ergebnisse im Plenum erarbeitet.
Destiny - Umsetzung: Was ist mein persönlicher Beitrag? Wie werde ich die Vision zum Leben erwecken? Konkrete nächste Schritte werden festgelegt, und ein persönliches Commitment wird vor dem Plenum präsentiert.
Wichtig ist es, die zwei Tage emotional stark aufzuladen. Dazu gehören ein gutes Ambiente, passende Musikstücke, Rituale. Wir empfehlen, die vier Schritte in Form von Graphic Recording aufzeichnen zu lassen. Das gibt eine weitere intellektuelle und vor allem emotionale Verankerung und ist eine schöne Erinnerung, die manche Unternehmen später zum Beispiel vor dem Mitarbeiterrestaurant aufhängen. Eine gute Rahmenveranstaltung ist ebenso förderlich. Die Teilnehmer sollen diese zwei Tage nie vergessen und jede Menge Raketentreibstoff aufsammeln.
Zitate
"Eine Vision ist ein Bild, ein Zustand, das beziehungsweise der aus der Zukunft heraus eine unwiderstehliche emotionale Anziehung auf alle Menschen im Unternehmen ausübt - dabei geht es um das Business, um die Menschen und um den gesellschaftlichen Beitrag. Zahlen, Größe oder Status spielen dabei keine Rolle." Beate Junginger: Sinn in Unternehmen
"Unsere Werte sind unsere Leitplanken. Und zwar die, die wir wirklich leben, und nicht die, die werbewirksam auf unserer Website stehen." Beate Junginger: Sinn in Unternehmen
"Eine Vision, die nicht mit der Unternehmenskultur, mit den Werten und den Herzen verbunden ist, wird als leeres Versprechen erkannt und sorgt dafür, dass sich Menschen sehr schnell enttäuscht abwenden." Beate Junginger: Sinn in Unternehmen
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