Wir brauchen keine Helden

Leadership in der Krise - die neue Ausgabe des Schweizer Magazins GDI-Impuls.

Von Heike Littger

Korrupte Manager, Berater und Politiker stehen in Zeitungen und Büchern derzeit hoch im Kurs. Sie ruinieren das Land. Doch darum, so Heike Littger, sollen sich Journalisten und Staatsanwälte kümmern. Viel interessanter ist der Blick dahinter: Auf die innere Emigration oder auf das gegenseitige Misstrauen der Menschen. Ein spannender Ansatz - fordert er uns endlich auf, uns nicht nur als Opfer, sondern auch als Täter zu verstehen. Denn wir sind Teil des Systems und definieren die Spielregeln jeden Tag mit.

Es führt kein Weg vorbei. Die Schuldfrage ist noch nicht geklärt. Oder warum müssten wir uns sonst immer und immer wieder damit beschäftigen, wer die Krise letztlich zu verantworten hat? Zur Auswahl stehen nicht nur Politiker, Unternehmensberater, Wirtschaftsprüfer, Banker und Journalisten. Insbesondere Manager müssen sich den Klägern stellen. Mit ihrer Selbstbedienungsmentalität, so der Vorwurf, ruinieren sie die Wirtschaft und ziehen selbst seriöse Unternehmen in die Tiefe.
Die kritischen Stimmen verhallen nicht ungehört. Etliche Bücher wurden in der vergangenen Buchsaison auf den Markt gekippt und gierig gelesen. Für die Verlage ein klares Zeichen, auch in diesem Frühjahr auf das erfolgversprechende Trio "Manager, Gier und Größenwahn" zu setzen und "Aufreger-Bücher" mit "unerbittlichen Fragen" und "provokanten Antworten" zu drucken. Wie aufregend die Bücher wirklich sind, werden wir in den kommenden Wochen erfahren. Auch wenn zu befürchten ist, dass der beste Beitrag zu diesem Thema bereits erschienen ist: Leadership in der Krise, eine Artikelsammlung vom Gottlieb Duttweiler Institut.

Opfer und Täter zugleich.


Im Gegensatz zu Stefan Risse (Manager außer Kontrolle), Stefan Kühl (Exit) oder Hans Sedlmaier (Firmenjäger) stürzen sich die elf Autoren des Heftes nicht auf einzelne Top-Manager, Raider oder Skandalunternehmen - um sie kümmern sich Medien oder Justiz. Viel interessanter erscheinen ihnen die Glaubenssätze, welche die westliche Welt zusammenhält und alle Menschen mehr oder weniger antreibt, sich von ihrer Umwelt zu verabschieden und sich mit Ellbogen durch ihren Alltag zu boxen. Ein spannender Ansatz - fordert er die Leser doch dazu auf, sich nicht nur als Opfer, sondern auch als Täter zu verstehen, als Teil des Systems, der die Spielregeln mitdefiniert.
Beispiel: Jeden Morgen verschlingen wir die aktuellen Schlagzeilen. Lesen über Haffa, Esser und Co. Empören und ereifern uns. Und übernehmen die Schlussfolgerung: Menschen sind bereit, für Geld und Macht alles zu opfern, sogar Reputation und Moral. Wer nicht mitzieht, hat die Verantwortung für sein Scheitern selbst zu tragen. Deswegen heißt das Lebensmotto: Kampfanzug anlegen und versuchen, auf den dynamischen Märkten Fuß zu fassen - koste es, was es wolle. Aber stimmt das so?
Kunal Basu, Berater für diverse Unternehmen, legt Veto ein. "Sicher, nicht wenige verkaufen ihre Integrität für einen gewissen Preis. Aber für viele Menschen sind Selbstrespekt und Integrität noch Grundwerte. Es sind Bedürfnisse, die nicht verhandelbar sind." Das Märchen vom Homo oeconomicus, so der Autor, treibe einen "Keil des Misstrauens" in die Gesellschaft. Ihn müsse man ziehen, bevor sich immer mehr Menschen daran verletzen und ihr inneres Urteilsvermögen verlieren - zwischen Medienwelt und Wirklichkeit, zwischen kurzfristig kalkulierbarem Erfolg und tief verwurzelten Kernwerten.

Die Hero-Obsession.


Ein weiterer Glaubenssatz: "Unternehmen brauchen heroische Führer". Obwohl ein Top-Manager nach dem anderen von seinem (Medien-) Sockel gestürzt wird und verstimmte Arbeitnehmer mit Transparenten auf die Straße ziehen, um gegen unternehmerische Willkür zu protestieren, sehnen sich die Menschen nach einem Helden. Nach einem handlungsfähigen Politiker, der mit geeigneten Gesetzen das Wirtschaftstreiben kontrolliert. Und nach einem mächtigen Unternehmenslenker, der den Ton angibt und seine Mitarbeiter in die richtige Richtung bugsiert.
Der Ruf nach einer starken Hand erscheint den Autoren von Leadership in der Krise auf den ersten Blick plausibel. Er befriedigt die Sehnsucht nach einer unkomplizierten Welt. Nach dem Motto: Die da oben entscheiden für uns mit. Das Problem ist nur: Wie wollen die da oben - Menschen aus Fleisch und Blut - all die Erwartungen erfüllen? Indem man sie kauft? Indem man ihnen ein Podest baut? "Heroisches Leadership hat das Problem, dass es losgelöst ist. Es treibt einen Keil zwischen den Leadern auf ihrem Sockel und allen übrigen (...) Zu befürchten haben sie nichts: Sie versilbern ihre Optionen, wenn der Kurs steigt, und springen mit dem goldenen Fallschirm ab, wenn er fällt - manchmal sogar beides."
Den Grund für unsere Hero-Obsession sehen die Management-Vordenker Henry Mintzberg und Robert Simons darin begründet, dass echte Unternehmensführung relativ unspektakulär und medial kaum zu verwerten ist. "Sie ist eher leise als heroisch. Sie ist vernetzt, involviert und engagiert. Es dreht sich um Teamwork und um langfristige Perspektiven; darum, eine Organisation langsam, sorgfältig und gemeinsam aufzubauen."
Fazit: Wenn es um das Thema "Führung" geht, sollten sich die Deutschen nicht nur auf einzelne Gierschlunde konzentrieren und mit ihnen abrechnen. Sie sollten auch ihre Glaubenssätze überprüfen und ihre Kritikfähigkeit wiederentdecken. In welchem Land wollen sie leben und was sind sie bereit dafür zu geben? Sich vor dieser Auseinandersetzung zu drücken hat einen hohen Preis, den wir allzu gut kennen. Denn merke: Die Verlagerung von Macht in die Hierarchiespitze bedeutet für die "Kinder der Freiheit": mehr Fremdbestimmung, weniger Selbstverantwortung und weniger Demokratie.

Heike Littger ist Redakteurin bei changeX.

Das Heft kann bezogen werden über:
Gottlieb Duttweiler Institut
CH-8803 Rüschlikon
Tel.: ++41 1 7246111
www.gdi.ch/impuls


© changeX [27.01.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autorin

Heike Littger
Littger

Heike Littger ist selbständige Journalistin und wohnt in Mountain View, Kalifornien. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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