Grundbedürfnis nach Einfachheit
Ein Interview mit Werner Tiki Küstenmacher, dem Autor von Simplify your life.
Mühselig, kompliziert, langweilig - viele Leute halten ihr eigenes Leben kaum aus, sehnen sich danach, Ballast abzuwerfen. Mit einer Fülle von Tipps leitet Küstenmachers vergnüglicher und nützlicher Ratgeber zum Entrümpeln an.
Werner Tiki Küstenmacher ist gelernter evangelischer Pfarrer und arbeitet als Journalist, Autor und Karikaturist. Der patente Ratgeber Simplify your life, den er zusammen mit Lothar Seiwert geschrieben hat, steht zur Zeit auf den Bestsellerlisten.
Glauben Sie, dass die Resonanz auf Ihr "simplify"-Konzept so
groß ist, weil die Menschen in dieser immer komplexer werdenden
Welt ein Grundbedürfnis nach Einfachheit haben?
Ich bin immer wieder verblüfft, wie positiv die Leute auf
das Wort "simplify" reagieren. Sie begreifen gleich, dass nicht
gemeint ist, dass man ohne Strom in einer Holzhütte leben soll.
Gerade Leute ab 35 Jahren verstehen das sofort: das Leben
vereinfachen, auf das Wesentliche kommen. In diesem Alter hat man
Lebensphasen hinter sich, in denen man viel angesammelt hat: Man
steigt in den Beruf ein und lernt neue Dinge, begegnet vielen
neuen Leuten, man kauft ein Haus oder mietet eine große Wohnung,
man schafft Babysachen und tausend andere Gegenstände an. Doch
irgendwann muss man den Bogen kriegen und sich wieder
verkleinern, den Ballast loswerden.
In Ihrem Buch geben Sie eine Fülle von Tipps. Welcher ist
Ihrer Ansicht nach der wichtigste?
Der wichtigste Tipp ist, keine Papierstapel aufzuhäufen,
sondern die Unterlagen in verschiedene Fächer einer
Hängeregistratur einzuordnen. Das sollte man zum zentralen
Organisationsinstrument machen. Und wenn man erst mal seinen
Schreibtisch im Griff hat, bekommt man erfahrungsgemäß sein
ganzes Leben besser in den Griff.
Dieser Tipp betrifft nur die unterste Stufe Ihrer
"simplify-Pyramide". Was ist auf den anderen Stufen besonders
entscheidend?
Beim Zeitmanagement ist der wichtigste
simplify-Tipp: Versuchen Sie nicht, zwei Dinge
gleichzeitig zu machen, konzentrieren sie sich auf eine Sache.
Denn sonst schaffen Sie letztlich nichts von dem, was Sie sich
vorgenommen haben. Die Folge: Frust, Aufschieberitis. Alle
erfolgreichen Menschen haben diese Gabe, hundert Unwichtigkeiten
einfach zu lassen und sich auf eine Sache zu stürzen.
Klingt bekannt. Es ist zum Symptom geworden, dass viele Leute
gleichzeitig telefonieren und E-Mails bearbeiten ...
Ja, das ist furchtbar. Das merkt man sowohl an den E-Mails
als auch an den Telefongesprächen. Ich spüre es sofort, wenn ich
mit jemandem telefoniere und derjenige macht noch irgendetwas
anderes dabei. Inzwischen nehme ich auch keine Aufträge mehr
entgegen, die man mir vom Auto aus telefonisch gibt - die Leute
können sich nachher an nichts mehr erinnern.
Und wie ist es mit Tipps auf den weiter oben stehenden Stufen
der Pyramide?
Im Bereich Gesundheit sollte man alle Dinge sein lassen,
die einem weh tun oder die einen quälen. Gerade im
Business-Bereich kenne ich Leute, die seit 20 Jahren keinen Sport
mehr gemacht haben und plötzlich Marathon laufen wollten. Dass
diese Kandidaten irgendwann crashen, ist vorgezeichnet. Viel
besser ist, sich im Alltag mehr zu bewegen: die Treppe zu
benutzen, statt den Aufzug zu nehmen, das Auto etwas weiter weg
parken und ein paar Schritte mehr machen. Das bringt mehr, als
solche Gewaltaktionen.
Was ist der wichtigste Tipp, wenn man sein Privatleben
vereinfachen will?
Die meisten Dankschreiben bekomme ich zum Tipp mit der
Partnerkommunikation. Er besagt, dass man sich regelmäßig Zeit
nehmen sollte, mit seinem Lebensgefährten wirklich zu sprechen -
und zwar nicht übers Wetter, die Kinder, die Arbeit und das Haus.
Die beste Methode dafür ist, wie wir es im Buch beschreiben, das
Zwiegespräch, bei dem man sich nach gewissen Regeln abwechselnd
gegenseitig etwas über sich erzählt. Ich habe schon Briefe
bekommen von Leute, die meinten, sie sind fast in Ohnmacht
gefallen, als sie diese Methode ausprobiert haben - sie haben 20
Jahre lang nicht gewusst, was ihr Ehepartner eigentlich
denkt.
Die Spitze Ihrer "simplify-Pyramide" ist, dass man grundlegend
über sein Leben nachsinnt.
Dass man einmal formuliert, was man selbst eigentlich will.
Die meisten unserer Lebensziele haben wir uns nämlich nicht
selbst überlegt, sondern kommen von außen. Zum Beispiel: "Es ist
besser, mehr Geld zu haben als weniger", "Es ist gut, im Beruf
aufzusteigen" oder "Es ist gut, sehr dünn zu sein und viele
Muskeln zu haben." Solche Leitsprüche akzeptieren wir ganz
selbstverständlich, ohne uns jemals überlegt zu haben, was
eigentlich für uns selbst das Beste ist.
Möglicherweise wirkt gerade die Fülle von Tipps etwas
entmutigend, weil man sehr wahrscheinlich Jahre braucht, um den
ganzen "Schmetterlingszyklus" zu durchlaufen. Welchen
Zeithorizont sollte man sich für diese Veränderungen geben?
Sie haben Recht, die Fülle der Hinweise erschlägt viele
Leute. Sie sagen dann: "Um Gottes willen, ich will mein Leben
vereinfachen, und jetzt sehe ich so viele Vorschläge. Wenn ich
die alle umsetzen muss, wird mein Leben ja noch komplizierter."
Aber
Simplify your Life ist kein Buch, das man von Anfang bis
Ende durchliest und dessen Tipps man dann komplett verwirklichen
sollte. Man blättert darin herum und sagt an einigen Stellen:
"Aha, das könnte ich probieren." Es reicht eigentlich, wenn man
auf jeder Stufe der Pyramide einen Tipp umsetzt - auch die
Reihenfolge ist egal. Man kann anfangen, wo man will. Aber man
sollte sofort anfangen.
In Ihrem Buch finden sich einige überraschende Fakten: Zum
Beispiel, dass Gerümpel dick macht und dass Menschen, deren
Wohnungsfußboden mit Gegenständen übersät und kaum noch begehbar
ist, finanzielle Probleme haben. Konnten Sie das in der Praxis
bestätigen?
Das mit dem Geld und dem Fußboden habe ich in einem anderen
Buch entdeckt und seither in meinem Bekanntenkreis immer wieder
bestätigt gefunden. Es ist wirklich verblüffend - vor allem, weil
man ja denkt, dass das Leute sind, die sehr viel besitzen. Doch
es ist wohl eher so, dass die Leute ihr Leben nicht im Griff
haben und sich das in ihrer Wohnung abbildet. Es gibt da viele
verborgene Zusammenhänge.
Zu Beginn Ihres Buches steht eine Anleitung zum Aufräumen. Ist
es nicht auch ein Stück Schicksal, wenn man ein "Messie" ist?
Oder kann man sich wirklich dauerhaft ändern?
Viele Leute sagen: "Ich bin eben chaotisch und werde bis
zum Lebensende in einem Chaos hausen." Aber - und das sagen auch
Spezialisten - das ist ein Zustand, den man beenden kann. Deshalb
ist die Hauptbotschaft von
Simplify: Es ist möglich! Fang einfach mal an! Es ist viel
einfacher, das Chaos zu besiegen, als Alkohol und Kettenrauchen.
Wenn man in eine Selbsthilfegruppe geht, dann hat man es schon
fast geschafft. Ich kenne einige Leute, die heute aufgeräumt und
ordentlich sind und früher in solchen Messie-Gruppen
waren.
Als Letztes noch die Gretchenfrage: Sind Sie selbst ein
ordentlicher Mensch? Welche Strategie hat Ihnen am meisten
gebracht?
Die Tipps habe ich alle selbst ausprobiert. Ich würde
sagen, im Bereich Büroorganisation bin ich auf einem guten Weg.
Ein echtes Problem habe ich noch beim Thema Zeitmanagement. Ich
kämpfe mit der Aufschieberitis und muss mir da auch selbst immer
viel predigen.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin bei changeX.
Lesen Sie dazu auch die Buchbesprechung: Kampf dem Ballast.
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