Die Vielfalt des Seelenheils
Die Weltreligionen, das neue Jugendsachbuch von Arnulf Zitelmann.
Vom Nahost-Konflikt bis zum Terrorismus im Westen - viele der großen Themen, die die Welt zur Zeit beschäftigen, wurzeln in der Religion. Wer wirklich verstehen will, was vorgeht, der sollte sich Zitelmanns Buch zu Gemüte führen. Es bietet einen differenzierten und gleichzeitig gut lesbaren Überblick, wie man ihn in den meisten Büchern für Erwachsene vergeblich sucht.
Wer sich mit Religion beschäftigt, der steht vor
einer unglaublichen Vielfalt. Einer bunten Landschaft des
Seelenheils, in der die abgedrehte Sekte ebenso ihren Platz hat
wie die uralte Naturreligion eines Inselvolks oder der Prophet,
an denen die Bewohner ganzer Kontinente glauben. Der gemeinsame
Nenner ist für Arnulf Zitelmann, dass Religionen versprechen, dem
Zufall einen Sinn zu geben - und dass die großen Religionsstifter
zu ihrer Zeit Ketzer, Aufrührer, Neuerer waren. Zitelmann, ein
erfahrener Jugendbuchautor, Theologe und Religionslehrer, hat
entschieden, sich in seinem Buch vor allem den fünf großen
Religionen zu widmen: Taoismus, Buddhismus, Judentum, Christentum
und Islam bekommen je ein Kapitel. Aber ein Handbuch der
Weltreligionen ist es nicht geworden, sondern ein sehr
persönliches Buch - Zitelmann, der sich etwas kokett als "frommer
Atheist" bezeichnet, erzählt entlang seiner eigenen Biographie
und verirrt sich nie in abstrakten Konzepten. Friedfertigkeit und
Sanftheit des Taoismus kontrastiert er mit seiner Erziehung in
der Hitlerzeit. Dem Judentum begegnete er zum ersten Mal durch
eine Kinderbibel, dem Islam in den Romanen Karl Mays.
Die Weltreligionen ist ein stilles, nachdenkliches,
philosophisches Buch geworden. Für Jugendliche ist es sicher eine
interessante Erfahrung, das Christentum hier nur als eine
Religion unter vielen kennen zu lernen. Auch die faszinierenden
Parallelen, Wechselwirkungen und Beziehungen zwischen den
verschiedenen Glaubensrichtungen sind für einige Aha-Effekte gut.
So kann das Buch ein interessantes Gegengewicht zum
Religionsunterricht bilden, denn die Schule, so Zitelmann, ist
eben eine "Institution, die westlichen Denkmustern verhaftet ist"
- und bei den vielen einzelnen Unterrichtsstunden kommt der
Überblick, das Begreifen des großen Ganzen zu kurz. Genau das
kann jedoch Zitelmanns Buch bieten, es liefert vernetztes, sehr
differenziertes Wissen auf leicht lesbare Art. Deshalb kann man
es ohne Bedenken auch Erwachsenen ans Herz legen.
Immer im historischen Kontext.
Fanatische Anhänger der einen oder
anderen Religion könnten sich ärgern über die Darstellung. Nicht,
dass Zitelmann jemals respektlos wäre. Nein! Aber er hat es sich
zur Aufgabe gemacht, die Religionen und ihre Anfänge in ihren
historischen Kontext einzubetten. Er interpretiert sie als
Produkte der Kulturen, der sie entstammen. So kann man den
Buddhismus mit seinen endlosen Zyklen von Wiedergeburten nur
wirklich verstehen, wenn man das Kastensystem Indiens kennt.
Andersherum kann man die gegenwärtige politische Situation im
Nahen Osten leichter interpretieren, wenn man weiß, dass es schon
zu Muhammads Zeiten Zusammenstöße zwischen Juden und Muslimen
gab.
Nüchtern und exakt, mit genau dem richtigen Quentchen
Distanz nähert er sich den brisanten Themen - und gibt auch zu,
wenn ihn eine religiöse Überlieferung verwirrt hat. Er hat keine
Scheu, kritische Fragen zu stellen und regt zum Nachdenken an.
Ein Beispiel: Bei der Bibel warnt er, dass sie kein historischer
Bericht sei, sondern ein Glaubenszeugnis, das durch viele Hände
gegangen ist. Kleine Kostprobe aus dem Text: "Aus heutiger
Distanz können wir nicht sagen, wieso Jesus in Jerusalem
scheiterte. Die einschlägigen Berichte wurden von der
konservativen Jakobus-Gemeinde überliefert, wahrscheinlich von
Griechenjuden schriftlich festgehalten und redigiert und die
Texte sind ständig wechselnden Interessen dienstbar gemacht
worden."
Der Dschihad - keine Notwendigkeit.
Auch im (sehr ausgewogenen) Kapitel
über den Islam findet sich so manches, was einem echten
Gotteskrieger nicht gefallen dürfte. Und den Saudis mit ihren
protzigen Gebäuden und Schnellstraßen erst recht nicht. "Nach
sieben oder acht Jahrhunderten glänzender Entwicklung kam der
Fortschritt im Islam zum Stillstand", berichtet Zitelmann.
"Warum? Ich weiß es nicht, und es schmerzt mich." Der Dschihad
bekommt eine halbe Seite. Zitelmanns knappes Urteil: Der Heilige
Krieg gehört nicht zu den Säulen des Islam. Dieser könnte auch
ohne den Dschihad existieren.
Leider gibt es zu viele Menschen, die anderer Meinung
sind.
Arnulf Zitelmann:
Die Weltreligionen,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2002,
223 Seiten, 17,90 Euro,
ISBN 3-593-36946-X
Sylvia Englert, Journalistin und Buchautorin, ist Redakteurin bei changeX.
© changeX Partnerforum [29.04.2002] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Arnulf Zitelmann: Die Weltreligionen.. Campus, Frankfurt 1900, 223 Seiten, ISBN 3-593-36946-X
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