Keens Zorn richtet sich dabei nicht gegen die Technologie selbst, sondern gegen die Gründer und Förderer des Web 2.0. Im Kreuzfeuer seiner Kritik stehen Internetseiten, deren Inhalte ausschließlich von Nutzern erstellt werden wie YouTube, MySpace oder Wikipedia - keine Meisterwerke, sondern ein endloser digitaler Dschungel der Mittelmäßigkeit, wie Keen sagt: "politische Kommentare ohne Informationsgrundlage, ungehörige selbst gedrehte Videos, peinliche Amateurmusik oder unlesbare Gedichte, Rezensionen, Essays und Romane". Weniger Talent würden unsere äffischen Verwandten auch nicht an den Tag legen, ätzt der Autor. Schlimmer noch: "Die Affen übernehmen die Macht."
Herrschaft der Unwissenden.
Schuld an dieser Entwicklung sei
der "edle Amateur", der immer öfter bloggt und damit die
öffentliche Meinung "verdirbt und verwirrt". 53 Millionen solcher
Blogs gebe es heute und ihre Zahl verdopple sich alle sechs
Monate, schreibt Keen. "Die Blogs sind so schwindelerregend
unendlich geworden, dass sie unseren Sinn für wahr und falsch,
für wirklich und unwirklich untergraben." Und damit auch die
Autorität der traditionellen Medien mit ihren Experten und
kulturellen Türhütern: "Der Amateur ersetzt den Profi, der Laie
den Lexikografen, der ungeschulte Pöbel die Harvard-Professoren."
Was bleibe, sei eine "Kakofonie von Inhalten", die ungeprüft über
die Masse der Internetnutzer hereinbreche.
Als Beispiel nennt Keen die Online-Enzyklopädie Wikipedia,
die sich immer größerer Beliebtheit erfreut - ganz im Gegensatz
zu der traditionsreichen
Encyclopædia Britannica mit ihren 100 hauptberuflichen
Redakteuren und Experten - sie würde einfach ersetzt werden. Und
womit? "Mit einem Zustand geistiger Schwäche und Erschöpfung, der
von massiver Unwissenheit kaum zu unterscheiden ist", zitiert
Keen den Schriftsteller Lewis Mumford. Für Keen steht der Experte
über alles: Er sichtet, prüft, bewertet. Und was er sagt, das ist
richtig. Immer und ausnahmslos.
Weil Keen den professionellen Experten über alles stellt,
kann er auch der Demokratisierung der Kultur durch das Internet
nichts Positives abgewinnen. Auch wenn das Internet für viele zum
Ausdruck ihrer Kreativität geworden ist - der Autor sieht darin
nur eine fundamentale Bedrohung für die Zukunft unserer
kulturellen Institutionen und Errungenschaften: vom Buch und Film
bis zum Musikalbum und der Zeitschrift. Doch nicht nur kulturell,
auch finanziell droht Erosion. So raube das Internet der
Musikindustrie mehrere Milliarden Dollar, weil es das illegale
Kopieren von Liedern ermöglicht. Durch Raubkopien drohe Hollywood
in eine ähnliche Krise zu schlittern wie die Musikindustrie. Und
auch die großen Fernsehunternehmen würden in finanzielle
Schwierigkeiten geraten, prophezeit der Autor. Die Folge: NBC
Universal zum Beispiel zeige in Zukunft keine teuren
Unterhaltungsserien mehr zwischen 20 und 21 Uhr. In der besten
Sendezeit würden statt beliebter Serien nun billigere Spielshows
oder noch mehr spottbillige Realityshows gezeigt, klagt Keen. Für
ihn der Beginn des kulturellen Verfalls.
Web 3.0 mit Online-Polizei?
Einen Ausweg sieht der Autor einzig in der Rückkehr zur "Sachautorität": Profis, die den Webspace pflegen und die Ordnung aufrechterhalten, "indem sie Regelverletzer und Störer bestrafen". Der Autor wünscht sich "Polizisten", wie sie bereits von der Online-Enzyklopädie Citizendium eingesetzt werden. Keens Web 3.0 funktioniert mit Online-Polizei. Fazit: Keen bündelt die Kritik an Internet und Web 2.0 zu einer griffigen Polemik, die kaum einen Negativposten des weltweiten Netzes auslässt. Hauptsache laut und extrem war anscheinend sein Motto, Provokation sein Ziel. Das ist ihm sogar auf recht unterhaltsame Weise gelungen. Sein Buch ist zielsichere Polemik gegen das Internet. Gelitten hat darunter freilich die Vielfalt der Perspektiven.
Florian Michl ist freier Mitarbeiter bei changeX.
Andrew Keen:
Die Stunde der Stümper.
Wie wir im Internet unsere Kultur zerstören.
Carl Hanser Verlag, München 2008,
248 Seiten, 19.90 Euro.
ISBN 978-3-446-41566-9
www.hanser.de
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Andrew Keen: Die Stunde der Stümper. . Wie wir im Internet unsere Kultur zerstören. . Carl Hanser Verlag, München 1900, 248 Seiten, ISBN 978-3-446-41566-9
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