Doch dieser Eindruck trügt. Gewandelt hat sich die Konkretisierung von Zukunft in Technologie. Der Wind hat sich gedreht, das Zeitalter der Großtechnik ist definitiv vorbei. Nicht mehr Groß- und Megaprojekte bestimmen das Bild der Technik, sondern der Trend zur Miniaturisierung und Integration in das Alltagleben. In einem Handy steckt heute die Rechenpower der Apollo-Mondfähre. Technik ist allgegenwärtig und verschwindet zugleich hinter den Dingen. "Seit es Computer gibt, seit die Energiepreise steigen und seit man Ressourcenverknappung fürchtet, hat sich die Entwicklungsrichtung gedreht. Auf die Expansion nach außen folgt nun die Expansion nach innen, zu immer kleineren und komplexeren Systemen", schreibt Steinmüller.
Grenzenlose Technik.
Nach den
Wild Cards, wie man unvorhersehbare, überraschende
Ereignisse bezeichnet, die auf einen Schlag die
Entwicklungsrichtung verändern können, wendet sich der
Zukunftsexperte zusammen mit seiner Frau als Co-Autorin nun
den Technologien zu. Sein Buch ist ein Grundlagenwerk über die
bestimmenden technologischen Trends der kommenden Jahrzehnte.
Steinmüller malt kein impressionistisches Gemälde der
technologischen Zukunft, ihm geht es weniger um eine
detailgetreue Beschreibung technischer Innovationen, sondern um
grundlegende Trends, welche die weitere Entwicklung der Technik
bestimmen werden: Die weitere Miniaturisierung und die steigende
Komplexität technischer Systeme, die zunehmende Durchdringung von
technischen Systemen mit Informations- und
Kommunikationstechnologie, die zunehmende Verschränkung von
Biologischem und Technischem sowie "die große Konvergenz der
Technologien".
Im Grunde wächst alles zusammen, nicht nur Technik und
Information, sondern auch Technik und Natur. Und immer mehr wird
es eine Frage der Information, der Software, was ein technisches
Gerät ist und was es kann. Technik wird grenzenlos und
allgegenwärtig. Eine in sich vernetzte Parallelwelt, die unsere
Welt zunehmend durchdringt und zugleich in sich abbildet.
Zukunft im plus ultra.
Dabei wagt Steinmüller einen Blick
weit in die Zukunft und rührt an Fragen, welche die Evolution des
Menschen betreffen denn zweifellos ist der Mensch im Begriff,
seine biologischen Fesseln zu sprengen und die Grenze zwischen
Natur und Technik zu verwischen. Aus Steinmüllers Sicht eine
notwendige Entwicklung: "Aus evolutionärer Perspektive erscheint
es sogar im buchstäblichen Sinne des Wortes natürlich, dass
der Weg über den Homo sapiens sapiens, die biologische Spezies,
die wir heute sind, hinausführen muss." Denn seit die Menschen in
der Renaissance die Zukunft entdeckten, geht die grundlegende
Entwicklungsrichtung "plus ultra" immer weiter hinaus.
Es ist ein schönes Bild, das Steinmüller gefunden hat: Seit
der Antike galten die Säulen des Herakles am Ausgang des
Mittelmeeres als Markierungspunkte für das Ende der Welt. Sie
waren das
non plus ultra was bedeutete: "Es gibt kein darüber
hinaus". Bis Kolumbus die bekannten Küsten weit hinter sich ließ.
Der Drang darüber hinaus, die Grenzüberschreitung, ist seither
das bestimmende Motiv in der Entwicklung des Menschen, die ganz
wesentlich die Entwicklung von Technologien ist. Die Zukunft ist
offen; sie liegt jenseits des Bekannten und jenseits der
Vorstellungskraft. "Die eigentliche Zukunft", schreibt
Steinmüller, "beginnt jenseits der verlängerten Technologielinien
eben im
plus ultra." Sein Buch vermittelt eine ziemliche Ahnung
davon, was kommen wird.
Karlheinz Steinmüller mit Angela Steinmüller:
Die Zukunft der Technologien.
Murmann Verlag, Hamburg 2006,
319 Seiten, 24.90 Euro,
ISBN 3-938017-46-5
www.murmann-verlag.de
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
© changeX [25.05.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.