Ständig unter Strom - und doch nicht glücklich
Auf die richtige Lebens-Balance kommt es an.
Vielen Menschen fehlt eine konkrete Lebensvision. Zudem lassen sie sich auf zu viele Rollen ein und verzetteln sich dadurch im Alltag.
Geht es Ihnen manchmal auch so?
Plötzlich - zum Beispiel auf der Fahrt mit der Straßenbahn zum
Bahnhof, wo der Zug auf Sie wartet - packt Sie das Gefühl: Das
Leben streicht an mir vorüber. Ich hetze von einem Termin zum
nächsten und stehe ständig unter Strom. Aber eigentlich weiß ich
gar nicht mehr, wofür ich das alles mache. Meinen Beruf bringe
ich zwar auf die Reihe. Auch mein Leben funktioniert irgendwie.
Doch dass ich ein erfülltes Leben führe, kann ich nicht sagen.
Sie sind längst nicht der Einzige, der so etwas denkt - im
Gegenteil. Spätestens wenn es dann auch beruflich nicht mehr
vorwärtsgeht, oder wenn ein Schicksalsschlag wie zum Beispiel
eine Krankheit die gewohnte Routine durchbricht, stellt sich
vielen die Sinnfrage. Erschreckt registrieren die meisten dann:
Was war ich früher doch für ein kreativer und vielseitig
interessierter Mensch; heute funktioniere ich nur noch. Meine
Kinder werden groß, ohne dass ich sie heranwachsen sehe. Mein
Partner wird mir immer fremder. Glücklich kann sich dann der
schätzen, der noch rechtzeitig instinktiv spürt: Mit meinem Leben
ist etwas nicht im Lot.
Das
Manager Magazin stellte einmal die Frage: Welches
Verhältnis zu seiner Arbeit hat jemand, der mit 50 Jahren
aussteigen möchte - oder muss? Antwort: Entweder ein
frustriertes, dann lautet seine Lebensmaxime "Schaffe, schaffe,
Häusle baue un' net nach de Mädle schaue", damit er mit 50
endlich die "Tretmühle" Arbeit verlassen und anfangen kann zu
leben. Oder ein "erotisiertes": Dann lautet die Lebensmaxime
"Arbeit, Arbeit über alles" bis das Burn-out-Syndrom oder der
Herzinfarkt ihn mit 50 zum Aufhören zwingen. Dann jedoch meist
verknüpft mit der ernüchternden Erkenntnis: Frau weg, Kinder weg,
Freunde weg.
Die rechte Lebens-Balance fehlt.
Die Ursache dafür: Beruflich wissen
die meisten Menschen, was sie in fünf oder zehn Jahren erreichen
wollen, doch für ihr Privatleben fehlen ihnen entsprechende
langfristige Ziele. Deshalb werden private Termine, wenn es mal
wieder eng wird, ersatzlos gestrichen. Immer wieder registriert
man im Kontakt mit beruflich Erfolgreichen: Ihre Arbeit können
sie zwar gezielt gestalten, auch ihr berufliches Weiterkommen
managen sie geschickt, doch zum Managen ihres eigenen
Lebenserfolgs und -glücks - zum "Life-Leadership", wie ich es
nenne - sind sie nicht fähig. Ihnen fehlt die rechte
Lebens-Balance. Sie räumen dem Bereich "Arbeit und Leistung" die
absolute Priorität bei ihrer Lebensgestaltung ein. Die drei
anderen Ebenen hingegen - "Sinn", "Körper/Gesundheit" und
"Familie/Kontakte" - verkümmern. Sie übersehen, dass diese vier
Lebensbereiche in einer wechselseitigen Abhängigkeit stehen.
Hier mag vielleicht mancher einwerfen: Soll ich mich
beruflich denn nicht stark engagieren? Doch! Selbstverständlich
ist in bestimmten Phasen oder "wenn's brennt" oft eine
Verlagerung des Gleichgewichts in Richtung "Arbeit und Leistung"
nötig. Probleme entstehen aber, wenn diese Verschiebung von Dauer
ist. Halt, sagen Sie vielleicht: Bei mir nicht! Ich nehme mir
regelmäßig Zeit für meine Familie und meine Freunde. Außerdem
treibe ich zweimal pro Woche Sport, um meine Gesundheit zu
fördern. Das Problem ist nur: Viele Menschen übertragen das
Leistungsprinzip, dem sie in ihrer Arbeit huldigen, auf ihr
Privatleben. Deshalb joggen sie zum Beispiel mit hochrotem Kopf
durch die Stadtparks. Dabei wäre es zum Fördern ihrer Gesundheit
wichtig, lang und langsam zu laufen. Sie merken nicht, dass sie
nie wirklich bei Ihrer Familie "ankommen", weil sie im Kopf stets
noch beim letzten Termin oder nächsten Termin sind. Sie können
den Fuß nie vom Gaspedal nehmen und einmal gezielt
entschleunigen. Sie entdecken nie die kreative Kraft der
Langsamkeit für sich, und gelangen nie zu einer gesunden Balance
zwischen den vier Lebensbereichen.
Sieben Rollen sollst du haben - aber nicht mehr.
Diese Balance kann man finden, wenn man eine Lebensvision für sich entwickelt, die alle vier genannten Ebenen umfasst. Um sie zu entwickeln, müssen Sie sich zunächst Zeit nehmen und sich in aller Ruhe fragen:
- Was will ich?
- Was kann ich?
- Welches Gefühl will ich haben, wenn ich in zehn, 20 oder gar 50 Jahren auf mein Leben zurückblicke?
Nur indem Sie sich Zeit nehmen, können Sie eine Lebensvision, ein Leitbild für Ihr Leben, für sich entwerfen. Wenn Sie diese dann schriftlich fixieren, haben Sie den ersten Schritt zu einem erfüllteren Leben getan. Der zweite Schritt besteht darin, dass Sie sich überlegen, wie viele Hüte Sie sich eigentlich aufsetzen. Das heißt, welche Rollen Sie in Ihrem Leben erfüllen. Schließlich haben Sie nicht nur einen Beruf, Sie sind auch Kollege, Chef, Vater, Pressewart, Sohn, Ehemann, Freund, Elternsprecher, Kegelbruder, Sänger oder Tennispartner - um nur einige mögliche Rollen zu nennen. Sind Sie sich darüber klar, welche es bei Ihnen sind, können Sie sich weiter fragen:
- Welche Rollen wurden mir von anderen auferlegt?
- Für welche habe ich mich bewusst entschieden?
- Welche will ich künftig ablegen?
Mein Tipp: Versuchen Sie die Zahl Ihrer Rollen auf sieben zu beschränken! Haben Sie so Ihre Lebensvision formuliert und die Zahl der "Hüte", die Sie sich aufsetzen, beschränkt, müssen Sie Ihre Lebensvision realisieren. Dies gelingt Ihnen nur, wenn Sie sich nicht nur Jahres-, Monats- und Wochenziele, sondern auch Tagesziele setzen. Nur so können Sie sich auf das Ihnen wirklich Wichtige konzentrieren statt sich auf Nebenschauplätzen zu verzetteln und Schritt für Schritt Ihre Lebensvision realisieren.
Er-fülltes statt ge-fülltes Leben.
Mancher mag nun vielleicht einwenden: Aber ich betreibe doch bereits seit Jahren ein solches Zeitmanagement, und trotzdem bin ich nicht zufrieden. Wahrscheinlich liegt das daran, dass alles Planen sinnlos ist, wenn Ihnen eine Lebensvision fehlt. Dann planen Sie zwar, dass Sie morgen diese Besprechung haben, zum Finanzamt gehen und übermorgen einen Handwerker bestellen müssen. Doch das ist ein Arbeits- und kein Lebensplan, weil darin die drei anderen Bereiche "Körper/Gesundheit", "Sinn" und "Familie/Kontakte" nicht angemessen berücksichtigt sind. Folglich kommen Sie mit ihm Ihrem eigentlichen Ziel, ein erfülltes Leben zu führen, nicht näher. Ein "Life-Leader" ist für mich jeder Mensch, der ein er-fülltes statt ge-fülltes Leben führt und der durch sein heutiges Handeln dafür sorgt, dass er auch in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit zufrieden ist und sich glücklich fühlen wird. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Auf Dauer gelingt es nur, wenn unsere vier Lebensbereiche in der rechten Balance zueinander stehen. Sobald wir einen Bereich über einen längeren Zeitraum vernachlässigen, gerät unser Leben aus dem Gleichgewicht.
Tipps für Ihr Leben in
Balance:
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Lothar J. Seiwert ist Inhaber der Coaching- und Consultingfirma Seiwert-Institut GmbH für Time-Management & Life-Leadership in Heidelberg. Er hat zahlreiche Bestseller zum Thema Zeit- und Selbstmanagement geschrieben. Gerade ist im Campus Verlag sein neues Buch Life-Leadership: Sinnvolles Selbstmanagement für ein Leben in Balance erschienen (242 Seiten, 49,80 Mark).
Adressen und Links
www.seiwert.de
[Zum Interview mit Lothar J. Seiwert]
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