Reise in die Vergangenheit
Die Geschichte der Deutschen - das neue Buch von Wilhelm von Sternburg.
Von Nina Hesse
Die Deutschen haben eine lange Geschichte, eine wesentlich längere als der Nationalstaat namens "Deutschland". Wilhelm von Sternburg hat sich auf eine Spurensuche gemacht und beleuchtet das von zahlreichen Blut-und-Boden-Ideologen missbrauchte Thema neutral und kritisch, Europa und die Welt dabei immer im Blick. Sein Buch bietet einen verständlichen, wenn auch sehr ausführlichen Überblick über die Wurzeln unserer Gesellschaft und Kultur.
In der Steinzeit wanderten, soweit man weiß, Stämme aus Zentralasien in die Gegend des heutigen Deutschland ein. Dort tummelten sich bald auch Kelten und Germanen. Bei den Hochkulturen im Süden galten sie schnell als raue Gesellen. Tacitus, der 98 nach Christus von ihnen erzählte, sprach seinen Landsleuten in Rom vermutlich aus der Seele, als er schrieb: "Wer würde schon ohne Gefahr Asien, Afrika oder Italien aufgeben, um nach Germanien zu ziehen, in jenes abstoßende Land mit seinem rauen Klima, seiner unfreundlichen Kultur und Erscheinung!" Als die wilden Germanen die Legionen des römischen Statthalters Varus niedermachten, gaben Kaiser Augustus und seine Nachfolger den Versuch endgültig auf, die rechtsrheinischen germanischen Gebiete zu erobern. "Damit werden die meisten germanischen Stämme nicht 'romanisiert'. Das bleibt für ihre Kultur, ihre Sprache und ihre Lebenshaltung, der die mediterrane Leichtigkeit fehlt, nicht ohne Folgen", berichtet Wilhelm von Sternburg. Seine Diagnose ist traurig: Die Deutschen hielten vom frühen Mittelalter bis 1945 am obrigkeitsstaatlichen Denken fest, einer antidemokratischen Mentalität.

Kritisch und neutral.


Die deutsche Geschichte ist vor allem, aber nicht nur von Hitler ideologisch missbraucht worden. Sie diente schon oft einer leicht anrüchigen Identitätsstiftung. Von "preußischen Tugenden" und anderen Dingen, auf die sich vielleicht stolz sein ließe, hält Wilhelm von Sternburg jedoch rein gar nichts. Er nähert sich dem mit kritischem Blick und dem Motto: "Geschichte ist janusköpfig. Sie hat immer zwei Seiten. Verbrechen und menschliche Größe stehen eng beieinander." So werden denn auch historische Persönlichkeiten von allen Seiten, mit ihren Stärken und Schwächen, unter die Lupe genommen.
Zum Beispiel besagter "Hermann den Cherusker", der vermeintlich den eisernen Durchhaltewillen der Deutschen demonstrierte und ein protziges Denkmal im Teutoburger Wald bekam, in Wirklichkeit aber Armin hieß, schlicht seine Interessen verfolgte und bei Bedarf wie andere Germanenfürsten auch ganz schnell die Seiten wechselte. Oder Luther, der intelligent und mutig der katholischen Kirche trotzte, sich aber auch als Judenhasser profilierte und sich in den Bauernkriegen gegen die verzweifelten Menschen und auf die Seite der Obrigkeit stellte - sein Mordaufruf kostete viele Bauern das Leben. Auch Bismarck, 27 Jahre lang mächtigste politische Figur in Deutschland und mit einem enormen Nachruhm gesegnet, bekommt sein Fett weg: "Der neue preußische Ministerpräsident wird die Krise bewältigen, drei Kriege auslösen, das Reich einen und es gleichberechtigt neben die anderen europäischen Großmächte stellen. Dies alles in einem Zeitraum von knapp zehn Jahren. Dabei verwaltet er das neue Kaiserreich und weist die sozialen und liberalen Kräfte, die sich gegen die politische Entmündigung des Volkes wehren, mit vielen parlamentarischen Tricks und harter Hand in ihre Schranken."

Geschichte wird von Menschen gemacht.


Differenziert, fair und spannend berichtet von Sternburg von der Massenhysterie, die das Deutsche Reich beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs erfasste, von Hitlers Herrschaft, die nahezu 50 Millionen Menschen das Leben kostete, von Gleichschaltung, Terror und Aufrüstung im Dritten Reich. Später vom Fall der Mauer und der Wiedervereinigung. Nach der Wiedervereinigung kommt nicht mehr viel, der Zeit von 1998 bis heute gönnt er nur noch eine Seite. Aber vielleicht ist das alles auch noch zu frisch, um schon einen Platz in einem Geschichtsbuch zu finden.
Wilhelm von Sternburg erzählt sehr viel von Menschen, zahlreiche spannende Porträts bilden das Herzstück seines Buches. Er berichtet über Herrscher, Künstler und Geschäftsleute; über Jakob Fugger, Friedrich den Großen, Marx und Engels, Hildegard von Bingen, Bach und Wagner, Willy Brandt und Rudi Dutschke. Viele, auch wenig bekannte Details lassen diese Akteure lebendig werden - so entsteht nach und nach ein großes, faszinierendes Tableau der Geschichte.

Kein Jugendbuch.


Ein ausführliches Register erleichtert es, sich all diese Menschen und Ereignisse zu erschließen, wenn man nicht gleich das ganze Buch durcharbeiten möchte. Leider enthält es keine Karten, dafür aber Illustrationen der Künstlerin Silke Reimers; sie hat farbenprächtige Collagen der deutschen Geschichte geschaffen.
Offiziell ist die Geschichte der Deutschen eins der Jugendsachbücher, für die der Campus Verlag inzwischen bekannt geworden ist. Doch nur ältere Jugendliche, die sich ernsthaft für Geschichte begeistern, werden sich an dieses sehr detailreich und ausführlich geratene Werk wagen. Schon das Vorwort "Warum über Geschichte nachdenken?" ist arg betulich geraten - von Sternburg, der lange Jahre als Journalist gearbeitet hat und Chefredakteur beim Fernsehen des Hessischen Rundfunks war, schreibt darin zwar über Jugendliche, aber nicht für sie. Stattdessen sollte man von Sternburgs Buch als verständliche, ohne Vorwissen lesbare Einführung sehen, die im Erwachsenenregal genauso gut oder sogar besser aufgehoben ist.

Wilhelm von Sternburg:
Die Geschichte der Deutschen,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2005,
304 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 3-593-37100-6
www.campus.de

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

© changeX Partnerforum [18.08.2005] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved>


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: Die Geschichte der Deutschen. . Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 304 Seiten, ISBN 3-593-37100-6

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