Die Krise ist vorprogrammiert. Gerade weil man sie als Leser kommen sieht, weil man von Anfang an ahnt, dass das nicht gut gehen kann, fiebert man bis zur letzten Seite mit. Und hofft aus ganzem Herzen, nie eine solche Seelenqual erleben zu müssen wie die, die Arno, Oliver und ihre Familie durchmachen.
Unterschiedliche Perspektiven.
In einem Mosaik aus
Tagebuchauszügen, E-Mail-Botschaften, Telefongesprächen und
Meetingprotokollen entfaltet sich die Tragödie einer
Vater-Sohn-Beziehung, die nicht nur beinahe Oliver und den Vater
zerstört, sondern auch um ein Haar das Unternehmen zugrunde
richtet. Trotz des nüchternen Titels ist Nagels Buch nicht nur
eine extrem lehrreiche Lektüre, sondern auch ein Roman, der einen
in seinen Bann zieht und den man auf der Stelle verfilmen sollte.
Das liegt auch daran, dass Nagel ein Könner ist - seine Figuren
sind vielschichtig und lebensecht, jede ihrer Stimmen im Buch ist
unverwechselbar. Die Konflikte, die sich zwischen ihnen
entfalten, wirken nicht inszeniert, sondern sind ebenso heftig,
quälend und schwer zu lösen wie in Wirklichkeit. Nagel hat sicher
die Erfahrungen aus seiner eigenen Beratungspraxis einfließen
lassen.
Geschickt ist die Struktur der Story: Da man die Geschichte
aus unterschiedlichsten Perspektiven erfährt, reihum in die
Gedanken der wichtigsten Figuren eintaucht, kann man sich in
jeden der Akteure einfühlen, versteht die Motivationen und merkt
umso deutlicher, wo gerade etwas schief läuft. Witzig sind die
"Klatsch aktuell"-Einfügungen, die aus Bemerkungen verschiedener
Grüppchen an der Kaffeemaschine und auf dem Vertriebsflur
zusammengesetzt sind. Nicht nur Arno Seibold ist bald von seinem
Sohn enttäuscht, auch der Konsens des Flurfunks lautet schnell:
"Aber ehrlich, der ist zwar vielleicht ein Intelligenzbolzen,
aber dem Alten kann der doch nicht das Wasser reichen,
der soll das Unternehmen führen?"
Währenddessen versucht Oliver, der immerhin einen MBA sein
Eigen nennen darf, die altmodischen Abläufe von Seibold Plastics
auf Vordermann zu bringen - und als er herausfindet, dass sein
Vater ihm auch noch verschwiegen hat, dass das Unternehmen längst
nicht mehr so gut dasteht, wird die Situation noch komplizierter.
Es kommt zu einem heftigen Streit, und nicht nur einem. Arnos
Schwester Ilse, ebenfalls Gesellschafterin, greift hin und wieder
vermittelnd ein, doch die Situation in der Firma verschlimmert
sich immer weiter ...
Unzählige Fehler.
Beide - Arno und Oliver - agieren nach bestem Wissen und Gewissen. Und doch machen sie vieles falsch. Eine kleine Auswahl aus Nagels "20 wichtigsten Führungsfehlern bei der Unternehmensnachfolge":
- Die Spielregeln der Zusammenarbeit in der Übergangsphase sind nicht klar.
- Das Timing für den Rückzug des alten Managements ist nicht glasklar.
- Unterschiedliche Wertauffassungen zwischen der alten und neuen Generation werden unterschätzt.
- Die wirklichen Konflikte werden vermieden und auf die Sachebene projiziert.
- Der Nachfolger hat kein eigenes "Prestigeprojekt" zum Start.
- Der Nachfolger demonstriert zu viel Abhängigkeit von "den Alten".
Nagel bringt viel Verständnis für
die Nöte beider Seiten auf. "Es ist menschlich, bei der eigenen
Ablösung zu versagen, bei den eigenen Kindern blind zu sein",
schreibt er im Vorwort und appelliert an die "Alten", frühzeitig
und mit gesundem Menschenverstand an ihre Nachfolgeplanung zu
gehen. Ihre Nachfolger sollten sie mit mindestens derselben
Professionalität aussuchen und einführen wie mittlere
Führungskräfte. Nagels Botschaft an die Jungen ist, dass sie sich
unabhängig von den Begehrlichkeiten der Alten darüber klar
werden, was sie wirklich können und im Leben wollen.
Darüber hinaus hat Nagel auch ganz praktische Ratschläge
parat, zum Beispiel im Umgang mit den grauen Eminenzen und dem
mittleren Management. Oder wie man als Nachfolger seine ersten
100 Tage so plant, dass man danach ausreichend eingearbeitet ist
und allseits akzeptiert das Ruder übernehmen kann. Die
psychologische Balance zwischen Alt und Jung ist so individuell,
dass im wirklichen Leben wahrscheinlich noch eine Menge mehr
schief gehen kann - doch die wichtigsten Punkte hat Nagel
herauskristallisiert.
Epilog im Internet.
Eine witzige Idee des Autors: Wer wissen will, wie die Geschichte von Arno und Oliver Seibold weitergeht, findet diese Infos auf seiner Website. Dort informiert ein kurzer Epilog über das Schicksal der wichtigsten Personen des Buches.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
Gerhard Nagel:
Chefsache Unternehmensnachfolge,
Hanser Verlag, München 2004,
245 Seiten, 24.90 Euro,
ISBN 3-446-22653-2
www.hanser.de
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