Gnadenlose Zerreißprobe
Chefsache Unternehmensnachfolge - der neue Wirtschaftsroman von Gerhard Nagel.
Von Nina Hesse
Das Thema Nachfolge ist eines der emotionalsten Führungsthemen überhaupt. Ein Unternehmen loszulassen, das man selbst aufgebaut hat, fällt unendlich schwer - und für den Junior ist es schwierig, allen Erwartungen gerecht zu werden und in die Rolle des Chefs hineinzuwachsen. Vielleicht sogar eigene Träume aufzugeben, um das Familienunternehmen zu übernehmen. Gerhard Nagel hat dieses Thema aufgegriffen - sein Buch über klassische Fehler bei der Nachfolge ist spannend wie ein Krimi.
Arno Seibold ist geschäftsführender Gesellschafter der Seibold Plastics. Schon seit vielen Jahren ist er, der Technikfan mit dem antiquierten Führungsstil, dabei, seine Nachfolge zu planen. Da sich die Tochter gesträubt hat (und dafür praktisch verstoßen worden ist), soll nun der Sohn in die Fußstapfen des energiegeladenen Gründers treten. Seit Jahren ist er dafür vorbereitet und ausgebildet worden. Aber wirklich freuen kann sich Oliver nicht auf die neue Herausforderung. Er ist hochintelligent, der Typ des Tüftlers, mit Menschen umzugehen ist nicht seine Stärke. Aber gegen seinen Vater kommt er einfach nicht an, er weiß, dass er einen hohen Preis dafür bezahlen müsste, wenn er die Nachfolge ablehnen würde ...
Die Krise ist vorprogrammiert. Gerade weil man sie als Leser kommen sieht, weil man von Anfang an ahnt, dass das nicht gut gehen kann, fiebert man bis zur letzten Seite mit. Und hofft aus ganzem Herzen, nie eine solche Seelenqual erleben zu müssen wie die, die Arno, Oliver und ihre Familie durchmachen.

Unterschiedliche Perspektiven.


In einem Mosaik aus Tagebuchauszügen, E-Mail-Botschaften, Telefongesprächen und Meetingprotokollen entfaltet sich die Tragödie einer Vater-Sohn-Beziehung, die nicht nur beinahe Oliver und den Vater zerstört, sondern auch um ein Haar das Unternehmen zugrunde richtet. Trotz des nüchternen Titels ist Nagels Buch nicht nur eine extrem lehrreiche Lektüre, sondern auch ein Roman, der einen in seinen Bann zieht und den man auf der Stelle verfilmen sollte. Das liegt auch daran, dass Nagel ein Könner ist - seine Figuren sind vielschichtig und lebensecht, jede ihrer Stimmen im Buch ist unverwechselbar. Die Konflikte, die sich zwischen ihnen entfalten, wirken nicht inszeniert, sondern sind ebenso heftig, quälend und schwer zu lösen wie in Wirklichkeit. Nagel hat sicher die Erfahrungen aus seiner eigenen Beratungspraxis einfließen lassen.
Geschickt ist die Struktur der Story: Da man die Geschichte aus unterschiedlichsten Perspektiven erfährt, reihum in die Gedanken der wichtigsten Figuren eintaucht, kann man sich in jeden der Akteure einfühlen, versteht die Motivationen und merkt umso deutlicher, wo gerade etwas schief läuft. Witzig sind die "Klatsch aktuell"-Einfügungen, die aus Bemerkungen verschiedener Grüppchen an der Kaffeemaschine und auf dem Vertriebsflur zusammengesetzt sind. Nicht nur Arno Seibold ist bald von seinem Sohn enttäuscht, auch der Konsens des Flurfunks lautet schnell: "Aber ehrlich, der ist zwar vielleicht ein Intelligenzbolzen, aber dem Alten kann der doch nicht das Wasser reichen, der soll das Unternehmen führen?"
Währenddessen versucht Oliver, der immerhin einen MBA sein Eigen nennen darf, die altmodischen Abläufe von Seibold Plastics auf Vordermann zu bringen - und als er herausfindet, dass sein Vater ihm auch noch verschwiegen hat, dass das Unternehmen längst nicht mehr so gut dasteht, wird die Situation noch komplizierter. Es kommt zu einem heftigen Streit, und nicht nur einem. Arnos Schwester Ilse, ebenfalls Gesellschafterin, greift hin und wieder vermittelnd ein, doch die Situation in der Firma verschlimmert sich immer weiter ...

Unzählige Fehler.


Beide - Arno und Oliver - agieren nach bestem Wissen und Gewissen. Und doch machen sie vieles falsch. Eine kleine Auswahl aus Nagels "20 wichtigsten Führungsfehlern bei der Unternehmensnachfolge":

  • Die Spielregeln der Zusammenarbeit in der Übergangsphase sind nicht klar.
  • Das Timing für den Rückzug des alten Managements ist nicht glasklar.
  • Unterschiedliche Wertauffassungen zwischen der alten und neuen Generation werden unterschätzt.
  • Die wirklichen Konflikte werden vermieden und auf die Sachebene projiziert.
  • Der Nachfolger hat kein eigenes "Prestigeprojekt" zum Start.
  • Der Nachfolger demonstriert zu viel Abhängigkeit von "den Alten".

Nagel bringt viel Verständnis für die Nöte beider Seiten auf. "Es ist menschlich, bei der eigenen Ablösung zu versagen, bei den eigenen Kindern blind zu sein", schreibt er im Vorwort und appelliert an die "Alten", frühzeitig und mit gesundem Menschenverstand an ihre Nachfolgeplanung zu gehen. Ihre Nachfolger sollten sie mit mindestens derselben Professionalität aussuchen und einführen wie mittlere Führungskräfte. Nagels Botschaft an die Jungen ist, dass sie sich unabhängig von den Begehrlichkeiten der Alten darüber klar werden, was sie wirklich können und im Leben wollen.
Darüber hinaus hat Nagel auch ganz praktische Ratschläge parat, zum Beispiel im Umgang mit den grauen Eminenzen und dem mittleren Management. Oder wie man als Nachfolger seine ersten 100 Tage so plant, dass man danach ausreichend eingearbeitet ist und allseits akzeptiert das Ruder übernehmen kann. Die psychologische Balance zwischen Alt und Jung ist so individuell, dass im wirklichen Leben wahrscheinlich noch eine Menge mehr schief gehen kann - doch die wichtigsten Punkte hat Nagel herauskristallisiert.

Epilog im Internet.


Eine witzige Idee des Autors: Wer wissen will, wie die Geschichte von Arno und Oliver Seibold weitergeht, findet diese Infos auf seiner Website. Dort informiert ein kurzer Epilog über das Schicksal der wichtigsten Personen des Buches.

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

Gerhard Nagel:
Chefsache Unternehmensnachfolge,
Hanser Verlag, München 2004,
245 Seiten, 24.90 Euro,
ISBN 3-446-22653-2
www.hanser.de

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: Chefsache Unternehmensnachfolge. . Hanser Verlag, München 1900, 245 Seiten, ISBN 3-446-22653-2

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