Auch Arbeitslosigkeit ist - wie alles im Leben - eine Frage der Einstellung. Ich kann mich natürlich hinsetzen, mich bemitleiden und mir sagen: "Es gibt Millionen Arbeitslose und ich gehöre jetzt auch dazu - wie schrecklich!" Oder ich kann meine berufliche Laufbahn überprüfen und mich fragen: "Habe ich überhaupt den richtigen Job gehabt, war die Firma überhaupt die richtige für mich?"
Die Arbeitslosigkeit ist eine Chance, beruflich die Weichen neu zu stellen und noch einmal durchzustarten. Vielleicht hatte ich ja gar nicht den idealen Beruf, möglicherweise besitze ich Fähigkeiten, die ich bisher noch gar nicht richtig eingesetzt habe. Um das herauszufinden, ist es nötig, einmal Bilanz zu ziehen. Dazu hat man jetzt Zeit.
Es ist völlig normal, wenn man erst einmal in ein Loch fällt, von Ängsten geplagt wird und zu depressiven Verstimmungen neigt. Und natürlich beschäftigen einen Fragen wie:
Wovon finanziere ich meinen Lebensunterhalt, finde ich überhaupt wieder eine Stelle?
Viele Menschen verfallen in dieser Situation in Panik und werden hektisch, doch das bringt niemanden weiter. Nur mit einem klaren Kopf kann man das Problem in den Griff bekommen. Dann kann man die Situation realistisch einschätzen und das rosige Licht, das wir gerne auf alles werfen, von dem wir uns trennen müssen, abschalten. Besser ist es, sich eine begrenzte Zeit - mehr als ein paar Wochen sollte das nicht sein - zuzugestehen, um den Schock zu verarbeiten. Dazu gehören die Niedergeschlagenheit, die Enttäuschung, aber auch die Wut.
Wer seine Emotionen weder unterdrückt noch sich von ihnen überwältigen lässt, kann viel besser mit den Tatsachen umgehen und erkennen, was gut und was weniger gut am verlorenen Job war. Der nörgelnde Chef, die vielen Überstunden, die wenig befriedigenden Aufgaben ... Am besten verabschiedet man sich von dem Job wie von einem Partner, mit dem man nicht mehr den Rest des Weges gehen möchte. Das macht frei und man kann sich auf die Zukunft konzentrieren.
Genau - obwohl das für die Psyche (weniger für die Teller) durchaus hilfreich wäre.
Machen Sie es den kleinen Kindern nach, die einen Wutanfall richtig ausleben. Toben, schreien Sie - es muss ja nicht gerade in der Öffentlichkeit sein. Das befreit unheimlich und auf diese Weise wird man eine Menge negativer Energien los. Die kann man nämlich überhaupt nicht gebrauchen. Was ein Arbeitsloser braucht, das ist vor allem Zuversicht, viel Kraft, Durchhaltevermögen und gute Nerven. Die Suche dauert auf jeden Fall länger und ist schwieriger, als man es sich vorgestellt hat. Sich dieser unbequemen Realität zu stellen beugt einem kompletten Absturz vor!
Warum es nicht Menschen nachmachen, die es geschafft haben? Der Mensch lernt am leichtesten von Vorbildern. Es muss nicht unbedingt ein Promi sein, der im Scheinwerferlicht steht. Das kann ein toller Chef, ein kompetenter und fairer Kollege sein, aber natürlich auch ein ehemaliger Arbeitsloser, der mit seiner Ich-AG schwarze Zahlen schreibt, ein Unternehmer, der nicht im Ausland produzieren lässt. An gelebten Erfolgsbeispielen kann jeder eine Menge lernen. Wie hat Ihr Idol es geschafft, aus der Krise herauszukommen, wie präsentiert sich dieser Mensch, was unterscheidet ihn von anderen Menschen, wie lautet seine Devise?
Ansonsten sind Kreativität und Flexibilität angesagt. Kürzlich las ich in der Süddeutschen Zeitung von einem Kubaner, der, anstatt sich in die Arbeitslosigkeit zu begeben, sich einer bisher nicht genutzten Fähigkeit erinnerte. Er hatte in seiner Heimat das Zigarrendrehen gelernt. Jetzt liefert er selbstgedrehte Zigarren und wird gern für Events gebucht - dort führt er sein Handwerk vor. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass man mit ausgefallenen Ideen und ungewöhnlichen Fähigkeiten Chancen hat. Wer die Verantwortung für sein (Arbeits-)Leben selbst übernimmt und nicht anderen überlässt, wird feststellen, dass es ihm viel besser geht. Das Gefühl, selbst etwas bewegen zu können, beflügelt. Wer aktiv und selbstverantwortlich diese wirklich schwierige Situation angeht, entwickelt einen anderen Blick und entdeckt viel mehr Lösungsmöglichkeiten.
Das kann passieren, wenn man mit falschen Vorstellungen und ohne gründliche Recherche in die Selbständigkeit geht. Ein fundiertes Konzept, ein hieb- und stichfester Finanzplan, Konkurrenzanalyse, richtige Selbsteinschätzung (nicht jeder ist für die Selbständigkeit geeignet) und noch einiges mehr - das ist unerlässlich. Lieber in die Vorbereitung mehr Zeit investieren, Existenzgründerseminare besuchen, Expertenrat einholen, bevor man eine Fehlentscheidung trifft und Schiffbruch erleidet. Das ist nicht nur für die Finanzen schlecht, sondern auch für die Psyche.
Erst der Verlust des Arbeitsplatzes konfrontiert manche Menschen damit, dass es außer dem Job auch noch eigene Bedürfnisse, Wünsche und ein Privatleben gibt. Für einige ist dieser Schock ganz heilsam, wenn sie erkennen, dass die Arbeitslosigkeit sie vor einem frühen Herzinfarkt bewahrt hat. Viele jedoch tun sich schwer, sich ohne Job zu definieren. Die Veränderungen in der Gesellschaft zwingen uns jedoch, uns mit dieser Frage auseinander zu setzen. Was ist einem wirklich wichtig im Leben? Ist es wirklich nur die Karriere? Gibt es nicht auch andere Dinge, die uns vielleicht sogar glücklicher machen als der Blick auf ein gut gefülltes Bankkonto? Wie sieht es aus mit den zwischenmenschlichen Beziehungen? Wissen wir überhaupt noch, was unser Partner denkt, wie sich die Kinder fühlen, welche Probleme unsere Freunde haben?
Mit der Arbeitsstelle gibt man ja nicht sein Wissen, seine Qualifikation, seine Erfahrungen ab. Wer sich auf seine Qualitäten besinnt, der kommt zu der Erkenntnis, dass man auch ohne Job wer ist. Dafür sollte man aber auch etwas für sich tun. Fehlte nicht noch das Übersetzerdiplom? Wollten wir nicht immer schon musizieren, malen oder fotografieren? Und aus einem Hobby kann sich auch schon mal eine neue Karriere entwickeln, zum Beispiel als Fotograf oder Maler.
Es hat ja auch nicht jeder eine künstlerische Ader. Aber besondere Talente und Fähigkeiten hat jeder. Und jetzt hat er Gelegenheit, etwas daraus zu machen. Deshalb rate ich zu einer Analyse, Stärken, Vorlieben, Begabungen, berufliche Abschlüsse, besondere Erfahrungen et cetera aufzuschreiben. Vielleicht lässt sich auch aus einem abgebrochenen Studium, einer nicht zu Ende gebrachten Ausbildung etwas machen. Nischen zur Entfaltung gibt es auch heute noch reichlich.
Das beginnt damit, dass man nicht in den Tag hineinlebt, sondern sich einen Tagesplan macht. Sonst wird man schnell von der Aufschieberitis erfasst und Lethargie schleicht sich ein. Wer auf der Suche nach einem festen Job ist, sollte die Suche als Fulltimejob betrachten. Also beispielsweise von neun bis zwölf Uhr Stellensuche über Anzeigen, Internet, Agentur für Arbeit, nach der Mittagspause geht es weiter mit Bewerbungsschreiben, Nachhaken et cetera. Fort- und Weiterbildung sind wichtig, um nicht auf der Strecke zu bleiben und ehrenamtliche Betätigung erhöht die Sozialkompetenz. Ein klarer Terminplan ist die beste Strategie gegen das Fledermaussyndrom (sich hängen lassen).
Ja, genau. Dazu gehört aber noch viel mehr - nämlich sich und seine Fähigkeiten richtig zu verkaufen: optimale Selbstdarstellung, überzeugendes Auftreten beim Vorstellungsgespräch, rhetorisches Geschick, Körpersprache, gute Manieren - um nur einige Punkte aufzuführen. Jetzt hat man Zeit, an sich zu arbeiten - vielleicht auch mit Hilfe eines Coachs.
Gut rüberkommen kann man nur, wenn man eine positive Einstellung hat. Daran kann man arbeiten. Und Sicherheit gewinnt man durch Vorbereitung, zum Beispiel sich schlau machen über die Firma und deren Philosophie, mental alle möglichen Fragen und Antworten durchspielen, die richtige Kleidung wählen und sich rechtzeitig auf den Weg machen. Und nicht vergessen: Der erste Eindruck zählt!
Grundsätzlich nicht. Aber ich stelle fest, dass heute das Versorgungsdenken ausgeprägter ist. Bevor man das Risiko eingeht, sich selbständig zu machen, oder einen Job annimmt, bei dem man weniger verdient, wollen viele erst mal alle finanziellen Ansprüche voll ausschöpfen - nach dem Motto: "Wenn ich das tue, reduziert sich dann mein Arbeitslosengeld oder die Rente?" Oder es heißt: "Ich bekomme ja noch ein paar Monate Arbeitslosengeld." Ein fataler Denkansatz! Besser gehen wird es denjenigen, die aktiv werden und nicht immer daran denken, was sie verlieren, wenn sie etwas Neues machen, sondern daran, was sie gewinnen. Auch der Gedanke, dass man selbst in die eigene Zukunft investieren kann, zum Beispiel Fortbildung, Kurse et cetera, ist für viele recht ungewohnt.
Ja, aber das hört ja irgendwann mal auf. Und zwar jetzt sehr viel schneller als früher. Besser, ich nehme heute einen Job, auch wenn es nicht hundertprozentig das ist, was ich möchte, als untätig dazusitzen und darauf zu warten, dass mein Arbeitslosengeld ausläuft. Dann muss ich mir ohnehin etwas suchen oder muss nehmen, was es gibt, ob ich es mag oder nicht.
Finde ich nicht. Man kann durchaus eine mittelmäßige Stelle annehmen und sich sagen: "Ich nehme das jetzt als Basis, damit ich nicht unter finanziellem Druck stehe - dann habe ich die Zeit, um mir in aller Ruhe die optimale Lösung zu suchen." Aus einer Stelle heraus ist es immer leichter, sich zu bewerben, als aus der Arbeitslosigkeit heraus. Es macht sich bei zukünftigen Arbeitgebern besser, und man hat ein höheres Selbstbewusstsein.
Nur Fledermäuse lassen sich hängen.
Arbeitslosigkeit als Krise und Chance,
Gabal Verlag, Offenbach 2004,
175 Seiten, 17.90 Euro,
ISBN 3-89749-465-5
www.gabal-verlag.de
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