Noch immer ist das Alltag in den Unternehmen. Und die von der geheimnistuerischen Geschäftsleitung und dem eigenen verunsicherten Team gestressten Manager haben allmählich das Gefühl, dass nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch sie selbst ein bisschen Betreuung und Hilfe gebrauchen könnten. Die bekommt man natürlich besonders kostengünstig in Buchform. Zwar ohne direktes Gespräch, aber das gibt's dafür zwischen dem Autor und dem fiktiven Herrn J. A. Aber. Herr Aber, ein klassischer Bedenkenträger, hat natürlich eine Menge skeptische Fragen und Einwände, die gleichzeitig die Funktion einer Art FAQ erfüllen und durch die Ironie und den Witz der Zwiegespräche den Text auflockern. Der hat das leider nötig, weil Goldfuß etwas zu sehr an Beispielen spart. Er hat zwar eine Menge zu sagen und viele nützliche Tipps, aber er bleibt zu oft auf der Ebene von Allgemeinplätzen.
Sich selbst kritisch hinterfragen.
Sein Buch ist nicht ohne Risiken
und Nebenwirkungen. Zum Beispiel kommt man nicht drum herum, sich
selbst - Persönlichkeit, Führungsstil und sogar Privatleben - zu
hinterfragen und kritisch unter die Lupe zu nehmen. Wie steht's
mit Ihrer Gelassenheit? Haben Sie Ihre Angst im Griff - oder
ignorieren Sie sie? Haben Sie genügend Selbstbewusstsein, um in
schwierigen Zeiten Vorbild zu sein? Wie sieht's mit Ihrer
Belastbarkeit aus? Schaffen Sie es, andere zu begeistern, auch
wenn die Stimmung im Team gerade zu wünschen übrig lässt?
Goldfuß leitet dazu an, sich über die eigene Position und
Rolle klar zu werden, Ängste und Gefühle zu reflektieren, das
eigene Weltbild auf den Prüfstand zu stellen. Egal, was man dabei
herausfindet - erwünscht ist, dass man dabei einen "realistischen
Optimismus" entwickelt. Und in den Veränderungen, so unangenehm
sie erst einmal sein mögen, die Chancen sieht. Denn nichts
wittern die lieben Kollegen schneller, als wenn der Leitwolf sich
innerlich düster zergrübelt und selbst mit Zukunftsängsten
kämpft. "Loyalität nach allen Seiten hin demonstrieren, als gutes
Vorbild Zweifel verbergen ... werden Sie Ihrer Rolle als
'Chefdarsteller' gerecht!", empfiehlt der Autor - mahnt aber an
anderer Stelle zur Offenheit. In der Praxis eine schwierige
Gratwanderung. Vor allem, wenn man gleichzeitig den Extremfall,
die eigene Kündigung, gedanklich durchspielen muss. Mit
Alternativplänen im Hinterkopf und dem Bewusstsein, dass das
Worst-Case-Szenario auch irgendwie auszuhalten wäre, fällt es
leichter, gelassen zu agieren.
In der Krise zeigt sich das wahre Gesicht.
Damit, dass es mit dem Arbeitgeber
innerhalb von kurzer Zeit steil abwärts gehen kann, muss man
heute rechnen. Kaum hat man sich in seiner Nische gemütlich
eingerichtet oder an den Gedanken gewöhnt, endlich Marktführer zu
sein, kann schon wieder alles anders sein. Auf einmal zicken die
Kunden herum, taucht ein gefährlicher Wettbewerber auf oder
ruinieren Terroristen die ganze Branche. Vorher im Unternehmen
mögliche Probleme und Chancen intensiv zu diskutieren verhindert
einiges, aber nicht alles. Es muss auch noch ein sensibler Umgang
mit den Kunden hinzukommen. Sonst kann es der Firma ergehen wie
Intel: Die Kunden empfanden die Reaktion des Chipherstellers auf
eine (berechtigte) Beschwerde als so unverschämte Augenwischerei,
dass sie rebellierten. Der Aktienkurs fiel stark und der Handel
mit der Aktie musste an der Börse eingestellt werden.
Ist die Katastrophe - egal, woher sie gekommen ist - erst
mal da, wird der Ton in Unternehmen gewöhnlich rauer. In
Krisenzeiten zeigt sich, ob die vor allem in Imagebroschüren oft
strapazierte Ethik in der Firma wirklich verankert ist. Und ob
die Mitarbeiter wirklich als wichtigstes Kapital gesehen werden,
oder doch nur als Zahlen, die man nach Belieben verschieben oder
aus der Bilanz entfernen kann, wenn das Management sich etwas
davon verspricht. Was die Mitarbeiter (sowohl die gefeuerten als
auch die verbleibenden) im Übrigen nicht vergessen - Unternehmen,
die sich während einer Krise gegenüber den Mitarbeitern eiskalt
gezeigt haben, haben während der folgenden Aufschwungphase
massive Probleme, qualifizierte Kräfte zu gewinnen.
Warnzeichen nicht ignorieren.
Faszinierend ist Goldfuß' Liste von
Warnzeichen, dass mit dem Unternehmen etwas nicht stimmt: Unter
anderem steigen Anzahl und Dauer von Meetings an, die Lieferanten
wechseln häufiger, das mittlere Management zeigt
Entscheidungsangst, politische Vorgaben zu Absatzpolitik oder
Sortimentsgestaltung ändern sich andauernd. In dieser Phase
kommen von der Geschäftsleitung gewöhnlich nur noch beruhigende
Worte an die Belegschaft - doch in der hat sich längst
herumgesprochen, dass etwas im Argen liegt. Die Angst geht um.
Fehlzeiten verringern sich drastisch (es will ja niemand als "Low
Performer" dastehen) und qualifizierte Führungskräfte verlassen
das Unternehmen (wie war das nochmal mit dem sinkenden Schiff?).
Falls Ihnen jetzt himmelangst geworden ist, weil Sie einige
Warnzeichen im eigenen Haus beobachtet haben: keine Panik. Nicht
den Kopf in den Sand stecken und immer schön dran denken: "Die
wahren Fähigkeiten einer Führungskraft entfalten sich ohnehin
erst dann so richtig, wenn möglichst viel auf sie einströmt -
oder besser gesagt, einstürzt ..."
Falls es Sie beruhigt: Die Anforderungen werden in Krisen
zwar in mancher Beziehung höher, in anderer jedoch niedriger.
Übergangsphasen sind nichts für Perfektionisten, selbst Goldfuß
empfiehlt dafür eine höhere Form des Durchwurstelns und nennt sie
"Fuzzy-Logik". Das heißt im Klartext: Peilen Sie auch mal über
den Daumen, Details sind jetzt nicht so wichtig.
Bloß keine Propaganda nachplappern.
Dafür aber die Kommunikation. Die
harte, aber realistische Botschaft des Autors: "Krisensituationen
kann man mit schnellem Handeln gut überleben. Aber ohne offene
Kommunikation, um das Problem abzusprechen und zu lösen, entsteht
eine neue Krise, nämlich die Vertrauenskrise. Und die kann sogar
dazu führen, dass ein Unternehmen an den Rand seiner Existenz
gebracht wird."
Mit Goldfuß' "Do's und Dont's" im Hinterkopf sind Sie
zumindest theoretisch dafür gerüstet, der zweiten Krise zu
entgehen. Weil Sie beispielsweise nicht in Versuchung kommen, die
Unwahrheit zu sagen oder Propagandaparolen der Presseabteilung
nachzuplappern. Einen schnelleren Weg, seine Glaubwürdigkeit als
Chef zu verlieren, gibt es nämlich kaum. Besser, man diskutiert
mit dem Team das, was an Informationen offiziell freigegeben ist,
so offen wie möglich. Denn von Ihnen, dem Chef, wird jetzt
verlangt, dass Sie Auskunft und Orientierung bieten. Auch wenn
die Spitze des Unternehmens Sie auch nicht viel besser informiert
hat. Goldfuß bietet reichlich Hintergrundmaterial, um mit den
Kollegen wenigstens über Kondratieff und dergleichen zu parlieren
und ihnen erklären zu können, was es mit Wandel, Umbruch und
Konjunkturzyklen auf sich hat.
Für alle Fälle hat der Autor dem Abschnitt eine Checkliste
zur persönlichen Glaubwürdigkeit beigefügt.
Menschen, keine Stelleninhaber.
Natürlich darf auch ein Kapitel zum
Thema "Trennungen und Trennungsfolgen" nicht fehlen, denn, so
Goldfuß: "Viele Führungskräfte sind davon in der Praxis
menschlich und psychologisch überfordert." Was tun, wenn die
Unternehmensspitze Jobstreichungen beschließt und man selbst sie
umsetzen muss?
Glücklicherweise ist der Autor - trotz der etwas
kaltschnäuzig klingenden Überschrift
Kündigerfeelings professionell bewältigen - kein Anhänger
der Ex-und-hopp-Schule, er betont die menschliche Seite,
beleuchtet psychologische Hintergründe und die
Verarbeitungsphasen beim Mitarbeiter. Immer wieder erinnert er
daran (traurig, dass das überhaupt nötig ist): "Es handelt sich
immer um Menschen und nicht um Stelleninhaber, die von solchen
Entscheidungen betroffen werden."
So oder so: Nach 20 oder 30 Minuten ist alles vorbei. Falls
es Sie beruhigt: Kündigen übt sich, versichert der Autor. Je
öfter man anderen Unangenehmes verkünden muss, desto leichter
fällt es. Mit ein bisschen Hornhaut über der Seele managt sich's
erheblich unbeschwerter.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
Jürgen W. Goldfuß:
Führen in schwierigen Zeiten.
Sicher durch Krisen- und Umbruchsituationen lenken,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
256 Seiten, 24.90 Euro,
ISBN 3-593-37531-1
www.campus.de
© changeX Partnerforum [14.10.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Jürgen W. Goldfuß: Führen in schwierigen Zeiten. Sicher durch Krisen- und Umbruchsituationen lenken. Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York 2004, 256 Seiten, ISBN 3-593-37531-1
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