Die neuen Managementrebellen
Living at Work-Serie | Folge 39 | - Holger Rust über frischen Wind in den Chefetagen.
Der Managementnachwuchs bläst zum Aufbruch. Viele Junge haben die Nase voll von der engen betriebswirtschaftlichen Sicht der Welt, von mathematischen Modellen, Formalismen und Kennzahlen. Sie wollen mehr Offenheit und Pluralität, nehmen soziologische, pädagogische und künstlerische Impulse auf. Werden sie es schaffen, eine neue Managementkultur durchzusetzen?
Auf den Karrierewegen in die
Chefetagen geschieht etwas Bemerkenswertes: Man beobachtet, dass
der Wettlauf um die besten Positionen hier und da unterbrochen
ist. Da stehen Gruppen zusammen, verschnaufen und diskutieren
über den Sinn ihres karrieristischen Sturmlaufes, fragen sich,
was das alles soll, was sie an Universitäten, in
Trainee-Programmen und Managementparcours lernen, die Modelle und
Managementmoden. Und sie kommen auf die Idee, dass man vielleicht
mal was ändern sollte, weil der klassische Weg des
formalistischen Kennzahlenmanagements so rasend erfolgreich ja
sichtlich nicht war und ist. Kurz: Beim Führungsnachwuchs
entsteht eine neue Mentalität, die sehr unterschiedliche Menschen
zwischen 20 und 35, aber auch ältere, zusammenführt. In den
Köpfen der Menschen formiert sich ein "essayistisches
Mentalitätsmilieu", wie ich es nenne. Essayistisch heißt: Diese
Menschen wollen Offenheit. Sie öffnen sich für andere Menschen,
die anders denken und anderen Berufen nachgehen. Sie öffnen sich
für Kultur und wirtschaftsgeschichtliche, politische,
künstlerische, soziologische Impulse, mit deren Hilfe sie die
enge, betriebswirtschaftlich konzeptionierte Sicht auf die Welt
erweitern können. Der Nachwuchs ist nicht mehr bereit, ein
Unternehmen nach vorgefertigten Rezepten zu führen. Die starren
Korsetts der etablierten Managementmethoden will niemand mehr.
Schon die Studenten wehren sich gegen den Formalismus bloßer
Kennzahlenorientierung, gegen die Dominanz der
metrisch-mathematischen Modelle, mit deren Hilfe sie auf den
Beruf vorbereitet werden sollen. Zu Recht. Denn Kennzahlen werden
den Markt- und Kundenproblemen nicht gerecht.
Sie suchen nach neuen, jeweils angemessenen Lösungen. Um
sie zu finden, setzen sich viele Leute zusammen und tauschen sich
aus. Hierarchisches Denken verliert an Bedeutung, der
egozentrische Karrierismus der ehemaligen Nobel-Ich-AGs ebenso.
Die Kommunikation untereinander und mit den Mitarbeitern ist eine
der Kernmotivationen der Nachwuchsmanager: "intellektuelle
Wertschöpfung", Wir-AGs statt Ich-AGs.
Schlechte Noten für Ausbildung und Chefs.
Es ist neu, dass eine wachsende
Zahl von jungen Führungskräften einerseits die Grenzen des
fantasielosen Formalismus und andererseits die blinde
Zielstrebigkeit des egozentrischen Karrierismus überwinden
möchte. Es ist auch neu, dass sich hier eine weltweite
Gedankenbewegung bildet. Eine Fokussierung dieser neuen
Mentalität macht sich mittlerweile weltweit machtvoll bemerkbar:
die Bewegung der "Postautisten". Im Juni 2000 verfassten
Studenten in Paris ein kämpferisches Pamphlet, demonstrierten für
mehr Pluralität in der Ausbildung, wollten den Konzepten des
amtierenden Establishments eine neue Vielfalt des Denkens
hinzufügen. Über das Internet werden ihre Ideen verbreitet. Die
Initiative wirkt. Viele Studenten der Wirtschaftswissenschaften
begehren auf gegen die mathematische, formalistische, ja
autistische Vorgehensweise derer, die zurzeit am Ruder sind. Sie
suchen nach überraschenden Lösungen, nach einer Kultur eines
neuen Pluralismus. In Diskussionsforen wird heiß debattiert: Weit
über 6.000 Abonnenten konsultieren regelmäßig die Website der
Bewegung, renommierte Professoren schreiben auf ihr. Sie erreicht
Menschen in 145 Ländern. Und überall stellt man sich diese Frage:
Wozu machen wir das eigentlich alles? Damit kein Missverständnis
entsteht - hier sind keine Romantiker unterwegs. Der
rebellierende Topnachwuchs bestreitet dabei nicht, dass
Kennzahlen, Balanced Scorecard und all dieses
betriebswirtschaftliche Handwerkszeug wichtig sind und
weiterlaufen müssen. Aber sie wollen wissen: Wozu brauche ich die
Modelle?
Dieser Nachwuchs findet Mitstreiter. An den Hochschulen, in
den Unternehmen, auf Kongressen. Die Studenten und die jungen
Managerinnen und Manager, die ähnlich denken wie sie, rennen
nicht wie 1968 das ganze System nieder. Es sind sanfte
Managementrebellen. Doch in einer Frage sind sie hart: bei der
Bewertung der amtierenden Führungskräfte. In empirischen Studien
zeigt sich der Gegensatz: altes Management - neue Rebellen,
deutlich. Ich habe in verschiedenen Studien die Möglichkeit
gehabt, Hunderte von Studenten und Berufseinsteigern, meist
zwischen 25 und 30, zu diesem Thema zu befragen: Wie sieht der
CEO von morgen aus? Und wie schätzt ihr die von heute ein? Das
Idealbild ist klar: Er muss kommunikativ sein und visionär,
kooperativ und lernend, kundenorientiert und analytisch. Auf
einer Fünferskala erhalten die Idealmanager von morgen Punkte
zwischen 1,5 und 2. Dieselben Befragten bewerten die amtierenden
Manager auf einer Fünferskala um durchschnittlich 1,5 Punkte
schlechter. Die Absolventen sehen sich selbst näher am Wunschbild
als ihre heutigen Vorgesetzten. Weiter befragt, was sie als
Erstes und ohne Umschweife tun würden, wenn sie selbst ein
Unternehmen führen müssten, antworteten die meisten: Die
Kommunikation mit den Mitarbeitern stärken. Auch in Sachen
Werthaltung und Ethik erhärten sich diese Ansprüche, und wieder
auch ganz anders, als sie sie bei ihren Chefs erfüllt sehen: Die
Aspekte der Pflege der Mitarbeiterpersönlichkeiten sind ihnen das
Wichtigste. Ob es um das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen
geht oder um die Frage, ob Mitarbeiter über die Ziele des
Unternehmens informiert werden sollen: Verstöße gegen die
Loyalitätspflicht gegenüber den Mitarbeitern finden sie
verwerflich. Sehr viel rationaler argumentieren die jungen Leute,
wenn es um betriebswirtschaftlich relevante Entscheidungen geht,
um die Frage beispielsweise, ob es zulässig ist, der Konkurrenz
die besten Mitarbeiter abzujagen. Da agieren sie sehr ähnlich wie
ihre heutigen Vorgesetzten.
Jenseits der Managementmoden.
Woher kommt dieser Wunsch nach einem Wandel? Wahrscheinlich dadurch, dass durch Hunderte Managementmoden und ausgefeilte Modelle, Tausende Tipps von Trendforschern und noch einmal so viele Einflüsterungen von Erfolgsgurus nichts besser geworden ist in den Unternehmen. Man hat alles berechnet, oft ohne Erfolg. Da fragt man irgendwann: Wo ist der Rest, den man nicht berechnen kann? Und was heißt das eigentlich, wenn sich Unternehmen auf Humankapital und Sozialkompetenz besinnen? Ihre Antwort ist klar und empirisch belegbar: Erfolg hat mit dem individuellen Mut von Menschen zu tun, sich intelligent und gemeinsam unerwarteten Herausforderungen zu stellen, die Basis der Problembewertung dadurch zu erweitern und die Zeit für Lösungen dadurch zu verringern, dass das Spektrum der Perspektiven ausgedehnt wird. In vielen erfolgreichen Unternehmen finden sich Beispiele. Ob IBM-Chef Gerstner sagt: "Wir müssen uns in Meetings unterhalten, statt Charts zu präsentieren." Ob VW ein ausgefeiltes Coaching-System einführt oder DaimlerChrysler auch horizontale Karrieren zulässt statt des Up-or-out-Prinzips. In vielen anderen herrscht jedoch das Regiment der Formalisten, die egozentrische Karrieristen um sich scharen. Natürlich: Auch die Mitglieder des essayistischen Mentalitätsmilieus möchten Karriere machen und an die Schalthebel der Macht kommen, nur möchten sie das auf andere Weise tun, als es bisher üblich war. Dieser Nachwuchs will eine Karriere mit Kollegialität und Verantwortung, Herausforderung und Entwicklungschancen. Gibt es diese Entwicklungschancen in ihrem Unternehmen nicht, ziehen die Managementrebellen schnell entschlossen Konsequenzen: Sie wechseln das Unternehmen. Die Mobilität dieser Gruppe ist enorm hoch.
Gelingt die Rebellion?
Die sanften Managementrebellen sind
keine Gruppe, die sich scharf abgrenzen lässt. Letztlich eint sie
ein diffuses Gefühl gemeinsamer Sichtweisen, Werte, Ansichten. Es
wäre falsch, sie als "Generation" zu bezeichnen. Und noch ist
nicht klar, ob die jungen Rebellen gegen alle Widerstände das
Ruder herumreißen können. Die Gefahr besteht, dass sie sich im
Laufe der Zeit immer mehr anpassen. Aber wir sollten an den
Wandel glauben. Ich denke, dass man erste Zeichen der Veränderung
sehen kann. Die empirischen Daten vieler Wertestudien stützen
diese Annahme.
Die neuen Chefs lassen ihre Mitarbeiter laufen, wenn sie
Lösungen suchen. Sie lassen Kommunikation zu. Zwar bleibt die
Hierarchie der klassischen Führung unangetastet, aber die
intellektuelle Hierarchie wechselt je nach Fragestellung.
Führungskräfte umgeben sich bewusst mit sehr unterschiedlichen
Menschen, die jeweils auf bestimmten Gebieten weit besser sind
als sie. Ihr Genie liegt in einem geradezu soziologischen
Konstruktivismus: Sie bauen mit Menschen Wissenswelten auf, die
aus der Konfrontation von Kompetenzen neue Ideen produzieren. Sie
suchen Menschen, die unterschiedliche Bereiche des
Wirtschaftslebens durchlaufen und Unterschiedliches kennen
gelernt haben. Das Wissen, in vielen Sonntagsreden als das
wichtigste Kapital unseres Landes beschworen, kann nur auf diese
Weise aktiviert werden. Das schaffen wir nicht mit einem
formalisierten Wissensmanagement, das alles schematisch
kartografiert. Aus Formalismen entstehen keine neuen Ideen. Das
geht nur mit intellektueller Konfrontation und Kommunikation.
Diese Atmosphäre kann im essayistischen Mentalitätsmilieu der
sanften Managementrebellen vorzüglich gedeihen. Sie sind so etwas
wie die "Dritte Kultur" im Management, die eine Synthese schaffen
zwischen der Kultur der Wirtschaftswissenschaften und der
Geisteswissenschaften. Und manchmal spürt man diese Verknüpfung
an ganz alltäglichen beispielhaften Änderungen der Gewohnheiten:
Menschen zu treffen, die anders sind. Also fordern die
Essayisten: Ihr Managerinnen und Manager, geht nicht immer gleich
nach Dienstschluss in die After Work Clubbings, in denen ihr
ohnehin nur andere Manager trefft. Aber auch ihr, ihr Literaten,
geht nicht immer in die Kneipen, in denen ihr ohnehin nur
euresgleichen findet. Sucht euch gegenseitig, setzt euch
auseinander, provoziert den unerwarteten Impuls. Denn den braucht
unsere Gesellschaft, wenn sich etwas ändern soll. Derartige
Kommunikationsmöglichkeiten sollten, um die Begeisterung der
Mitglieder dieses essayistischen Milieus zu wecken und zu
erhalten, aber auch innerhalb der Unternehmen konsequent
ermöglicht werden - thematisch und räumlich. Folgt man den
Ergebnissen großer Studien beispielsweise über die Attraktivität
möglicher Arbeitgeber, spielt dieser Gesichtspunkt der
vielfältigen Kontakte eine große Rolle.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Holger Rust ist Professor für Soziologie an der Universität Hannover. Er beschäftigt sich vor allem mit Bildung, Arbeit, Wirtschaft und Karriere. Neben seiner Hochschultätigkeit sammelte er breite Praxiserfahrung. Zu seinen Büchern zählt Die sanften Managementrebellen. Wie der Nachwuchs die Chefetagen aufmischen wird (Gabler 2003).
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
© changeX Partnerforum [01.10.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 01.10.2004. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Autor
Holger RustProf. Dr. Holger Rust lehrt Soziologie an der Universität Hannover und ist wissenschaftlicher Berater von Unternehmen im In- und Ausland. Schwerpunkte seiner Hochschultätigkeit sind Kommunikation und Marketing, Arbeits- und Wirtschaftssoziologie sowie quantitative und qualitative Forschungsmethoden. E-Mail: dr.holger.rust@t-online.de