Bloß kein business as usual!
Marktorientierte Innovation - das neue Buch von Clayton M. Christensen und Michael E. Raynor.
Das Timing ist alles. Noch während das Kerngeschäft floriert, sollten Unternehmen systematisch neue Geschäftsfelder aufstöbern - und nicht die Nase darüber rümpfen, dass dort nicht gleich das große Geld zu holen ist. Denn wer das tut, verpasst womöglich neue Wachstumschancen.
Auf Revolutionen setzen.
Clayton Christensen und Michael
Raynor haben eine sorgfältig strukturierte Anleitung verfasst,
wie man es anstellt, nicht nur einmal, sondern regelmäßig neue
Geschäftsfelder aufzuspüren und zu erschließen. In spröder
Sprache fachsimpeln sie über "Innovationen" und geben dem, der
die Lektüre durchhält (die Anmerkungen zu den Kapiteln sind oft
fast so lang wie das eigentliche Kapitel), neben Allgemeinplätzen
und sehr detaillierten Beispielen auch einige wertvolle
Anhaltspunkte mit auf den Weg. Man spürt, dass sie in ihrem Buch
auch eine Lehre aus Internetboom und New Economy-Zeiten ziehen -
damals war wie in einem riesigen Labor zu beobachten, wie man es
schafft, neue Ideen durchzusetzen oder warum manche mit ihnen
gescheitert sind.
Wichtig ist vor allem die Unterscheidung zwischen
evolutionären und revolutionären Innovationen. Erstere verbessern
ein bestehendes Produkt. Diese Art von Innovation lässt sich sehr
gut in einem großen Unternehmen umsetzen. Revolutionäre neue
Produktideen, also Dinge, die komplett anders und besser sind,
sind dagegen gute Chancen für Marktneulinge, während der
Branchenführer auf die Umwälzungen meist reagiert wie ein
Kaninchen vor der Schlange. Vor diesen Newcomern müssen sich die
Giganten in Acht nehmen, denn sie (und oft nur sie) können die
Alteingesessenen entthronen. Das historische Beispiel dazu: RCA,
General Electric und AT&T konnten dem Marktführer IBM nichts
anhaben - aber die Einführung des PCs überlebte er nicht. Andere
revolutionäre Innovationen waren zum Beispiel E-Mail,
Flachbildschirme und Einwegkameras - sie alle machten Furore und
mauserten sich zu Verkaufsschlagern.
Der Rat der Autoren: "Sie müssen Ihr potenzielles Geschäft
so definieren, dass es sich auf sämtliche etablierten Mitspieler
im Zielmarkt revolutionär auswirkt. Ansonsten sollten Sie die
Finger von der Idee lassen."
Kleine Märkte nicht vernachlässigen.
Aber wie begibt man sich nun auf
den Weg zu solchen Erfolgsstorys? Der Weg ist, gelinde gesagt,
steinig. 60 Prozent der Produktentwicklungen werden eingestampft,
bevor sie überhaupt auf den Markt kommen, andere verlassen die
Regale schnell wieder. Christensen und Raynor regen zu einem
grundlegenden Umdenken an: Marktsegmentierungen beruhen
fälschlicherweise auf Merkmalen von Produkten und Kunden. Besser,
die Dinge anders zu betrachten und von den Umständen auszugehen,
unter denen Kunden Produkte kaufen und nutzen. Oder als
Ausgangspunkt Aufgaben zu nehmen, die sie erledigen möchten.
Ist eine gute Idee unter Dach und Fach, gilt es, sie unters
Volk zu bringen. Gute Chancen bieten hier die bisherigen
"Nichtkunden" oder "Kaufabstinenzler", die sich bewusst
zurückhalten, weil für ihre Bedürfnisse noch keine Lösung
greifbar ist. Wer ihre Gunst erobern kann, der hat eine dankbare
und kaufkräftige Zielgruppe bei der Hand. Aber Achtung: Viele
marktbeherrschende Unternehmen machen den Fehler, revolutionäre
Innovationen im Stammgeschäft unterzubringen und einfach so
"mitlaufen" zu lassen. Oft fühlen sie sich von der neuen Technik
bedroht, weil sie attraktiver ist als viele andere Produkte des
Unternehmens. Dermaßen vernachlässigt, kann sich das
revolutionäre Produkt nicht ungehindert den Weg auf den Markt
bahnen und ersäuft kläglich in den Untiefen der
Konzernbürokratie. Denn wenn in einem Bereich nicht gleich das
große Geld zu holen ist, rümpfen große Unternehmen oft die Nase.
Obwohl sie die Ressourcen hätten, diese Märkte erfolgreich zu
erobern. Mahnend geben die Autoren zu Protokoll: "Schnell
wachsende Unternehmen büßen die Fähigkeit ein, kleine Märkte zu
erschließen. Dabei übersehen sie, dass das die Wachstumsmärkte
von morgen sind."
Eine mögliche Lösung für das Problem: Ausgliedern. Die
Verantwortung für die Innovation an eine eigenständige
Geschäftseinheit übertragen, die sie als Chance begreifen darf.
Und dann die Gewinne einstreichen.
Wer nimmt die Dinge in die Hand?
Solche Maßnahmen wirken sich schon
auf die Unternehmensarchitektur aus. Auch auf sie sollte man
einen scharfen Blick werfen, damit Chancen nicht ungenutzt
verstreichen, mögliche neue Geschäftsfelder nicht zerredet werden
und gezielt immer wieder Innovationen produziert werden. Ein
besonderes Augenmerk richten die Autoren dabei auf das Thema
Outsourcing, also auf die Entscheidung, welche Aufgaben ein neues
Unternehmen selbst wahrnimmt und welche es bei Lieferanten und
Partnern einkauft - denn das beeinflusse die Erfolgschancen einer
Innovation in hohem Maße. Aber auch andere Fragen entscheiden
über Wohl und Wehe: Wem im Unternehmen sollte man die
Verantwortung über ein neues Produkt geben? Was für Teams braucht
man zum Entwickeln von Innovationen? Welche Manager und
Geschäftseinheiten eignen sich dafür? Sollte man damit lieber
einen alten Hasen beauftragen oder einen jungen Dynamiker mit
unverstelltem Blick? Eher der Dynamiker, so das Fazit der
Autoren. Denn "ausgerechnet diejenigen Fähigkeiten, die den
Erfolg im Stammgeschäft gewährleisten, bremsen die Erschließung
neuer Geschäftsfelder oder verhindern sie sogar." Also bloß kein
business as usual!
Doch selbst wenn es ein tolles, neuartiges Produkt auf den
Markt geschafft hat, kann das Unternehmen damit noch baden gehen.
Denn selbst das exklusivste und begehrteste Spielzeug für
Technikfreaks wird über kurz oder lang zum Massenprodukt. "Die
Standardisierung ist meist unvermeidlich", so Christensen und
Raynor. Nachahmer treten auf den Plan, Konkurrenten lassen ihre
Werke in Billiglohnländern auf Hochtouren produzieren. Kurz, die
Preise fallen. Irgendwann rufen Flachbildschirme eben nicht mehr
Ooohs und Aaahs hervor, sondern es steht einer von ihnen auf
jedem Schreibtisch. Statt diesen "Niedergang" zu beklagen (denn
ein solcher ist es aus der Perspektive der Unternehmen), raten
die Autoren, auf eine Gegenentwicklung bei Subsystemen oder
benachbarten Prozessen zu achten. Denn dort wird auch dann noch
Geld verdient, wenn der Rest zum Massenprodukt geworden
ist.
Weit genug nach vorne blicken.
Trotz all dieser Tipps bleibt das
Entwickeln von Innovationen ein schwieriges Geschäft. Denn das
Timing, das dafür nötig ist, widerspricht der menschlichen Natur.
"Das Dilemma bei Investitionen in neue Wachstumsfelder besteht
darin, dass schon dann in neues Wachstum investiert werden
sollte, wenn das Kerngeschäft noch wächst." Der Grund: Sobald im
Kerngeschäft nicht mehr so viel Gewinn gemacht wird, sprudeln die
Gelder, die man zum Erschließen von neuen Geschäftsfeldern
braucht, nicht mehr. Ein Teufelskreis. Außer, man durchbricht ihn
systematisch: "Schaffen Sie kleine Geschäftseinheiten, die
geduldig auf Wachstum warten können!"
Klingt eigentlich logisch. Warum macht es dann keiner? Die
Erkenntnisse der Autoren sind ernüchternd: "In den meisten
Unternehmen, die auch in den späteren Phasen ihrer Entwicklung
erfolgreich revolutionäre Innovationen auf den Markt brachten,
hatten noch die Gründer das Sagen." Und die agieren anscheinend
vorausschauender als viele der hoch bezahlten Manager in den
Konzernetagen.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
Clayton M. Christensen / Michael E. Raynor:
Marktorientierte Innovation.
Geniale Produktideen für mehr Wachstum,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
296 Seiten, 39.90 Euro,
ISBN 3-593-37563-X
www.campus.de
Zum changeX-Partnerportrait: Campus Verlag.
© changeX Partnerforum [02.09.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Clayton M. Christensen, Michael E. Raynor: Marktorientierte Innovation. . Geniale Produktideen für mehr Wachstum. . Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 296 Seiten, ISBN 3-593-37563-X
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